Während die Suche nach möglichen weiteren Opfern in den Trümmern der eingestürzten Autobahnbrücke von Genua weiterlief, hat die italienische Regierung am Donnerstag den Betreiberkonzern Atlantia erneut angegriffen. Innenminister Matteo Salvini forderte Entschädigungszahlungen von bis zu 500 Millionen Euro für betroffene Familien und örtliche Behörden.

Die Zahl der Todesopfer wurde von der Regierung von 39 auf 38 korrigiert, die Zahl der Verletzten von 16 auf 15. Unterstützt durch Bagger und Kräne suchten die Rettungskräfte am Donnerstag weiter nach Vermisstes. "Wir suchen immer noch nach Hohlräumen, in denen Menschen sein könnten - lebendig oder nicht", sagte Feuerwehrsprecher Emanuele Gissi. Nach Angaben von Genuas Staatsanwaltschaft könnten noch zehn bis 20 Menschen unter den Trümmern sein.

Spezialisten arbeiteten daran, die Trümmer in große Betonblöcke zu zerschneiden und mit Kränen abzutragen, um Spürhunde in den Schutt schicken zu können. Die Arbeit sei sehr gefährlich, da die Trümmer und auch der noch stehende Rest der Autobahnbrücke instabil seien, betonte Feuerwehrsprecher Gissi.

Die vierspurige Morandi-Brücke im Westen von Genua war am Dienstag auf einer Länge von mehr als 200 Metern eingestürzt. Lastwagen und Autos stürzten rund 45 Meter in die Tiefe und wurden teils unter Betontrümmern begraben.

Italienische Medien berichteten von unglaublichen Geschichten Überlebender. Marina Guagliata und ihre 24-jährige Tochter waren in einem Geschäft unter der Brücke, als Betonbrocken das Gebäude zertrümmerten. "Ich war bis zu meiner Brust begraben, und meine Tochter war komplett verschüttet", erzählte die 58-Jährige einem Fernsehsender. Ihre Tochter Camilla wird wegen mehrerer Brüche im Krankenhaus behandelt.

Salvini forderte von der italienischen Infrastruktur-Gruppe Atlantia finanzielle Hilfe, um Familien und den örtlichen Behörden bei der Bewältigung des Unglücks zu helfen. "Wenn wir fünf Millionen Euro stellen, sollten sie 500 Millionen Euro anbieten", sagte er Reportern. Es brauche ein "unmittelbares, konkretes und spürbares Signal" an die Familien, fuhr der Chef der fremdenfeindlichen Partei Lega fort.

An der Börse in Mailand verlor die Atlantia-Aktie weiter an Wert. Der Kurs brach am Donnerstag um mehr als 22 Prozent ein. Zuvor war der Handel mit der Aktie des Mutterkonzerns des Autobahnbetreibers Autostrade per l'Italia kurzzeitig ausgesetzt worden.

Rom macht Autostrade per l'Italia für das Unglück verantwortlich und wirft dem Privatunternehmen mangelhafte Wartungsarbeiten vor. Die Firma betreibt die A10, zu der die eingestürzte Brücke gehört. Die Regierung drohte dem Unternehmen mit dem Entzug der Lizenz sowie hohen Strafzahlungen.

Autostrade per l'Italia wies die Vorwürfe zurück. Die Brücke sei vorschriftsmäßig vierteljährlich überprüft worden. Außerdem seien zusätzliche Tests mittels hochspezieller Geräte erfolgt.

Am Donnerstag kritisierte Atlantia, die Regierung habe mit dem Lizenzentzug gedroht, "ohne dass es irgendeine Überprüfung der Unglücksursache" gegeben habe. Der Konzern warnte, angesichts des noch bis zum Jahr 2038 laufenden Vertrags könnten der Regierung hohe Ausgleichszahlungen drohen.

Die Regierung hatte am Mittwoch einen zwölfmonatigen Ausnahmezustand in der Hafenstadt verhängt. Damit werden unter anderem Hilfen für die mehr als 630 Anrainer erleichtert, die nach dem Einsturz ihre teilweise unter der Brückenkonstruktion stehenden Wohnhäuser verlassen mussten.

Am Samstag soll in der Messehalle Fiera de Genova eine Trauerfeier für die 38 Todesopfer abgehalten werden. Bei dem Unglück wurden außerdem mindestens 15 Menschen verletzt, neun von ihnen schwer.

Die fürs Wochenende angesetzten Spiele der beiden genuesischen Fußballclubs in der ersten italienischen Liga wurden verschoben. Der Präsident der Serie A entsprach damit dem Wunsch von Sampdoria und CFC Genua.