Der Tod einer Britin durch den Kampfstoff Nowitschok sorgt in Großbritannien für große Verunsicherung. Die Polizei richtete am Montag eine Warnung an die Öffentlichkeit: Sie könne nicht garantieren, dass niemand mehr mit dem Nervengift in Berührung komme, sagte der leitende Ermittler, Neil Basu. Er rief zur Vorsicht auf.

Premierministerin Theresa May äußerte sich "entsetzt und schockiert" über den Tod der 44-jährigen dreifachen Mutter Dawn Sturgess. Die Frau, die in einer Unterkunft für Obdachlose im südenglischen Salisbury gelebt hatte, war am Sonntag an den Folgen einer Vergiftung durch Nowitschok gestorben. Sturgess und ihr 45-jähriger Partner Charlie Rowley waren vor einer Woche in ein Krankenhaus in Salisbury eingeliefert worden. Rowleys Zustand ist weiterhin kritisch.

Abfallbehälter durchsucht

Die Behörden nahmen Ermittlungen wegen Mordverdachts auf. Der Fall stellt die Ermittler vor Rätsel: Völlig unklar blieb, wie das verarmte Paar mit dem höchst seltenen Nervengift in Berührung kam. Der örtliche Parlamentsabgeordnete John Glen sagte der BBC, Sturgess und Rowley hätten "regelmäßig Abfallbehälter durchsucht"; möglicherweise seien sie dabei mit dem Gift in Kontakt gekommen.

Die Polizei äußerte sich besorgt: Solange der kontaminierte Gegenstand nicht gefunden ist, kann laut Behörden nicht ausgeschlossen werden, dass weitere Menschen mit dem Gift in Kontakt kommen könnten. Ermittler Basu, Leiter der britischen Terrorabwehr, riet dazu, "keine absonderlichen Gegenstände wie Nadeln, Spritzen oder unübliche Behältnisse" aufzuheben.

Polizei und Gesundheitsbehörden versicherten, das Risiko für die Bevölkerung sei gering. Seit dem Vorfall hätten sich 21 besorgte Menschen bei den Behörden gemeldet und seien untersucht worden. Bei niemandem sei eine Kontaminierung mit Nowitschok festgestellt worden, sagte Basu.

Bewohner der mittlerweile geräumten Obdachlosenunterkunft zeigten sich erschüttert über die Nachricht vom Tod der Frau. "Das hätte mir oder meiner Partnerin genauso passieren können", sagte der 27-jährige Ben Jordan der Nachrichtenagentur AFP. "Wir sind wirklich, wirklich traurig. Ich bete für Charlie."

Premierministerin Theresa May äußerte sich "entsetzt und schockiert". Polizei und Sicherheitskräfte täten nun ihr Bestes zur Aufklärung des beunruhigenden Vorfalls. Etwa hundert Anti-Terrorspezialisten sind mit den Ermittlungen befasst, die nach Polizeiangaben "Wochen und Monate" dauern können.

Anschuldigung ohne Beweise

Der Vorfall ereignete sich in Amesbury unweit von Salisbury, wo im März mit demselben Kampfstoff ein Anschlag auf den ehemaligen russischen Doppelagenten Sergej Skripal und seine Tochter Julia verübt worden war. Beide überlebten. Wie Sturgess und Rowly wurden auch die Skripals im Salisbury District Hospitals behandelt.

Die Ermittler gehen der Annahme nach, dass das vergiftete britische Paar mit Nowitschok-Resten in Kontakt kam, die bei dem Anschlag im März übrig geblieben sein könnten. Die britische Regierung und ihre Verbündeten machen Russland für den Anschlag auf die beiden Skripals verantwortlich. Moskau weist das entschieden zurück. Nowitschok war ursprünglich von der damaligen Sowjetunion entwickelt worden.

"Es wird Zeit, dass Russland genau erklärt, was vorgefallen ist", hatte der britische Innenminister Sajid Javid am Donnerstag im Parlament gesagt. Es seien "Aktionen der russischen Regierung", die "bewusst oder zufällig" britische Bürger in Gefahr brächten. Der Kreml entgegnete am Montag, es sei "absurd", Russland mit dem Vorfall in Verbindung zu bringen. "Natürlich bedauern wir den Tod der britischen Bürgerin sehr", fügte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow hinzu.