Vier Monate nach dem Anschlag auf die Skripals in Südengland sind dort wieder ein Mann und eine Frau durch den Kampfstoff Nowitschok vergiftet worden. Das teilte Scotland Yard am späten Mittwochabend mit. Das britische Paar liegt lebensbedrohlich erkrankt in derselben Klinik der Stadt Salisbury wie damals der ehemalige russische Doppelagent Sergej Skripal (67) und seine Tochter Julia (33).

Bei den Opfern handelt es sich nach Polizeiangaben um einen 45-Jährigen und eine 44-Jährige aus der Region. Zunächst sei die Frau am Samstag kollabiert, später mussten die Ärzte auch den Mann ins Krankenhaus bringen. Der Sicherheitsrat der Regierung, das sogenannte Cobra-Komitee, tritt am Donnerstag zu einer Krisensitzung zusammen.

Zufall oder Anschlag?

Es sei unklar, ob das Paar absichtlich als Ziel ausgewählt wurde, erklärte Neil Basu von Scotland Yard am Abend vor Journalisten. Wissenschafter müssten auch klären, ob das Gift mit der Substanz identisch sei, die bei den Skripals verwendet worden war. Unter dem Begriff Nowitschok läuft eine ganze Gruppe eines bestimmten Nervengifts. "Die Möglichkeit, dass diese beiden Fälle miteinander verbunden sein könnten, ist für uns eindeutig eine Frage, der wir nachgehen", sagte Basu.

Britische Medien hatten bereits spekuliert, dass das Paar möglicherweise unabsichtlich mit dem Gift in Berührung gekommen sein könnte, das beim Anschlag auf die Skripals verwendet worden war.

Bewusstlos auf Bank

Im März waren Teile der Innenstadt von Salisbury abgeriegelt worden, nachdem die Skripals mit dem Kampfstoff vergiftet worden waren. Sie saßen bewusstlos auf einer Parkbank. Großbritannien bezichtigte Russland, als Drahtzieher hinter der Tat zu stehen. Nowitschok war in der früheren Sowjetunion hergestellt worden.

Das Attentat auf die Skripals löste eine schwere internationale Krise aus. Zahlreiche westliche Staaten, nicht aber Österreich, wiesen Dutzende russische Diplomaten aus. Moskau reagierte mit ähnlichen Maßnahmen. Die Skripals leben inzwischen an einem unbekannten Ort.

Bereiche abgesperrt

Nach dem jüngsten Vorfall wurden einige Bereiche in Salisbury und in dem Wohnort des Paares, dem rund 13 Kilometer weiter nördlich gelegenen Amesbury, vorsichtshalber abgesperrt. Bewohner des Ortes reagierten verunsichert und forderten mehr Informationen von den Behörden. Die Gesundheitsbehörde ging zunächst nicht von einer "bedeutenden Gesundheitsgefährdung" für die Öffentlichkeit aus. Der Sprecher von Premierministerin Theresa May sagte, dass sich der Krisenstab der Regierung sich getroffen habe, um über den neuen Vorfall zu sprechen.

Das Paar soll unter anderem eine Veranstaltung in einer Kirche besucht haben, bevor es am Samstag erkrankte. Die Beamten waren zunächst davon ausgegangen, dass die beiden möglicherweise verunreinigtes Heroin oder Crack-Kokain eingenommen haben könnten und sich daher im kritischen Zustand befinden.

Das Forschungslabor für Chemiewaffen im nahe gelegenen Porton Down wurde mit den Untersuchungen befasst. Dort war auch das Nervengift Nowitschok im Fall Skripal identifiziert worden. Unabhängige Untersuchungen der Organisation für ein Verbot der Chemiewaffen (OPCW) bestätigten damals das Ergebnis.

Ermittler prüfen mögliche Kreuzkontamination

Die lebensbedrohliche Vergiftung geht einem Bericht zufolge womöglich auf denselben kontaminierten Gegenstand zurück. Das im Fall Skripal verwendete Behältnis für den Kampfstoff Nowitschok könnte ungewollt auch die nun erkrankten Briten in Lebensgefahr gebracht haben, berichtete die Nachrichtenagentur Press Association in der Nacht auf Donnerstag.

Statt eines zweiten Anschlags prüfen die Ermittler auch den Verdacht einer solchen Kreuzkontamination, schrieb die Nachrichtenagentur unter Berufung auf eine ranghohe Regierungsquelle.

Der vor dem Anschlag auf die Skripals verwendete Behälter zur Aufbewahrung des Nervengifts sei bis heute nicht gefunden worden, berichtete PA unter Verweis auf die Regierungsquelle. Denkbar sei deshalb, dass das Paar mit demselben Gegenstand in Berührung kam - ohne bis dahin selbst etwas mit dem Kriminalfall Skripal zu tun gehabt zu haben.