"Um sieben am Morgen willst Du hier sein? Erst um sieben? Vergiss es, Mann. Viel zu spät!" Joseph schüttelt sich vor Lachen, während er sich seine, nun ja, etwas auffällige Sonnenbrille penibel zurechtrückt. Dabei sind diese Gläser noch das am wenigsten Schrille an seinem Outfit: Er steckt in einem perfekt aufgebügelten Anzug, den von oben bis unten aus Union Jacks zieren. Selbst seine Doc Martens sind mit der Flagge des Königreichs versehen. Die Einser-Panier, alle Jahre für ganz besondere Anlässe hervorgeholt.

Royale Stammgäste

Der sympathische, ursprünglich aus Ghana stammende End-Dreißiger lebt seit 25 Jahren in Battersea im Südwesten von London. Er war schon bei der Trauung von Prinz William und seiner Kate dabei, beim Neunziger der Queen und ihrem 60-jährigen Amtsjubiläum 2012 ebenso. Joseph ist einer von unzähligen Royalisten im Great Park, die "es" sich nicht entgehen lassen wollen – und natürlich am Tag vor der Hochzeit bereits zugegen sind.

Viele Mosaiksteinchen ergeben ein Brautpaar
Viele Mosaiksteinchen ergeben ein Brautpaar © Thomas Golser

"Es" – das ist natürlich die Hochzeit des Jahres. Meghan und ihr Harry trauen sich, der junge, einst dem Partyleben nicht abgeneigte Prinz, ist gezähmt. Vorfreude in Rot, Blau und Weiß – ein Land ganz bei sich und zugleich völlig außer sich. Joseph schwärmt in den höchsten Tönen von der Prinzengemahlin, betont den multikulturellen Aspekt und die Bedeutung des Commonwealth: "Sie wird die Menschen zusammenbringen!" Die Nacht verbringt er im Park, auch wenn Zelte aus Sicherheitsgründen verboten wurden. Das Wetter spielt immerhin mit, schön, als sei es vom Buckingham Palace bestellt worden.

Town Crier Tony, 82 Lenze jung
Town Crier Tony, 82 Lenze jung © Thomas Golser

Zuvor habe ich Tony, einen sogenannten Stadtschreier und resche 82 Jahre jung, getroffen. "Eine ausgezeichnete Wahl hat der Prinz da getroffen. Meghan, das ist eine Frau zum Heiraten. Ob aus der aber noch eine Diana wird?" sinniert der bunt Kostümierte aus Chelmsford in Essex – bis er seine Glocke zu schütteln beginnt und auf etwas zu viel Dezibel setzt. Laute(r) Freude! Nicht allzu viel später treffe ich Tony im "The Prince Harry"-Pub wieder, er ruht sich gerade aus und isst mit Firmlingsappetit etwas Frittiertes, entfernt an Huhn Erinnerndes.

Eigens umgetauft

Das Lokal, das vorher "The Tree Tuns" hieß, taufte sich am vorigen Dienstag eigens um – kein schlechter Zeitpunkt dafür, möchte man meinen. Kelly, die das Pub führt, zapft in sportlichem Tempo "Harry und Meghan's Windsor Knot Royal Wedding Pale Ale." Sie hofft, dass Harry persönlich eines Tages bei ihr vorbeischaut, große Porträtbilder des Prinzen hängen immerhin schon an der Wand. Als ich mir meine Notizen mache, spricht mich unvermutet ein recht junger Mann im dunklen Bankiersanzug an: "Schreib, dass nur all die Sicherheitsvorkehrungen 30 Millionen Pfund kosten! Die bezahlen wir, die Steuerzahler!" Gut, ich habe es geschrieben, auch wenn realistischere Einschätzungen bei sieben Millionen Pfund liegen – was freilich auch eine ganze Menge Geld ist. Kelly gibt zu Protokoll, dass ihr Harry nicht ganz so am Herzen liege wie ihr Lokal. Er sei ja ohnehin nur Nummer sechs in der aktuellen Thronfolge. "Aber viel Glück", grinst sie schief.

Über dem Städtchen hängt schon seit Tagen eine beinahe greifbare Dunstglocke aus feierlicher Vorfreude und Erregtheit, durchmischt mit landestypischem Odeur von Fish and Chips. Schon am Bahnhof hängen Schilder mit "Harry & Meghan Central" darauf, kaum ein Geschäft hat seine Auslage nicht entsprechend dekoriert. Man kann Harry und Meghan unter anderem essen, trinken und anziehen, wie Blicke in Speisekarten und Schaufenster verraten.

Ajit, der in Windsor ein Souvenirgeschäft betreibt
Ajit, der in Windsor ein Souvenirgeschäft betreibt © Thomas Golser

Einer, der weiß, wie der Hase einträglich rennt, ist Ajit. Seit 25 Jahren betreibt er sein Geschäft "Windsor Gifts & Souvernirs". Erinnerungs-Teetassen mit den Brautleuten als Motiv gehen weg wie geschnittenes Brot, die Flaggen mit ihren Gesichtern sind seit zehn Tagen ausverkauft, erzählt er. Der Tag der Zeit der Hochzeit sei dann der Tag des Jahres, aber: "It's celebration, not business!“. Als ihn eine angereiste Dame wegen eines ganz speziellen Tischtuchs, das sie haben will, in die Mangel nimmt (sie bekommt das letzte Exemplar), ist es Zeit, weiterzugehen. Die Atmosphäre ist zumindest am Tag vor der Hochzeit noch sehr entspannt – abgesehen vielleicht von den unzähligen TV-Teams, die sich schon einmal warmmoderieren. Britischer als all das hier geht es dann kaum. Ein wenig wie eine erweiterten Familienfeier, zu der geladen wurde.

Die Hochzeit von William und Kate fand einst in London statt, doch Windsor sei einfach wesentlich stimmungsvoller schwärmen Sally und Georgina, im Herzen junge gebliebene Damen aus Essex. Mit Union Jacks sparen auch sie nicht, sie sind seit Jahrzehnten immer dabei gewesen – außer bei der Hochzeit von Prinz Charles und Camilla. "No, don’t like her too much", verzieht Sally ihr Gesicht, als hätte sie in eine Grapefruit gebissen. Für Meghan hingegen hat auch sie Vorschusslorbeeren übrig: "Der Charity-Gedanke ist ihr so wichtig", lobt sie. "This lady is just fabulous!" Wer wird an Tagen wie diesen der Monarchie auch ihre Existenzberechtigung absprechen?

Enormes Sicherheitsaufgebot

Die Stunden verstreichen wie im Flug, wer eine Menschenphobie hat, sollte derzeit freilich eher einen Bogen um die ansonsten relativ geruhsame 28.000-Einwohnerstadt machen. Als es zurück zum Bahnhof geht, treffe ich zwei der unzähligen Polizisten, die längst präsent sind. So respektgebietend ihre umgeschnallten Maschinenpistolen sind, so herzlich ist ihr Lachen. "Foto? Ja klar, drück nur ab!", sagen sie mit Augenzwinkern.

Alan, ein Stadtschreier, gibt am Bahnhof sein Bestes
Alan, ein Stadtschreier, gibt am Bahnhof sein Bestes © Thomas Golser

Am Bahnhof ergibt sich dann noch ein Schwatz mit Alan, dem guinness-zertifizierten Rekordhalter unter den Stadtschreiern. "Über 30 Jahre Erfahrung" steht auf seinem Visitenkärtchen. Auch er spendet vorab seinen Segen, eine Beziehung, die einen Ozean überwindet, scheint auf jeden Fall eine Chance verdient zu haben. Um die Wartezeit zu überbrücken, mache ich an einem Stand beim Zusammensetzen eines riesigen Mosaikbilds von Harry und Meghan mit.

Wer will, bekommt kleine Steinchen in die Hand und trägt seinen Teil bei. Wie alle an diesem Wochenende in Windsor.

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