Hinweis: Dieser Artikel ist zunächst 2019 bei Futter, dem jungen Magazin der Kleinen Zeitung, erschienen.

Seinen ersten Kontakt mit der Polizei hatte Amir F.(Name von der Redaktion geändert) im Alter von 14 Jahren. Mit einem Freund war er im Zug in Richtung Wolfsberg unterwegs. "Er hatte keine Fahrkarte und wurde erwischt. Obwohl ich schon ein Ticket hatte, bin ich mit ihm ausgestiegen. Aus Solidarität", sagt er. Eine Entscheidung, die ihm zum Verhängnis werden sollte.

Das Duo suchte nach einer Möglichkeit, ohne Geld heimzukommen - und stahl deshalb ein Auto aus einer Werkstatt. "Wenig später wurden wir schon von der Polizei aufgehalten", sagt F. Der Grund, warum der heute 23-Jährige später im Gefängnis landen sollte, war aber ein anderer: F. und seine Freunde wurden bei einem Einbruch in ein Grazer Reisebüro auf frischer Tat ertappt.

Heute ist F. verheiratet, hat eine Tochter und einen Job, mit dem er auf ehrliche Weise sein Geld verdient. Der Neustart nach der Haftstrafe ist ihm gut gelungen. Doch es sollte ein steiniger Weg werden.

Schlechter Einfluss

"Wenn ich heute zurückdenke, war es wohl der schlechte Einfluss meiner Freunde, der mich auf die schiefe Bahn gebracht hat", sagt F., der vor seiner Festnahme in einer Wohnung lebte, in die er einen Freund und dessen Freundin aufnahm. Eine Entschuldigung für seine Entscheidungen solle das aber nicht sein. Die 170 Euro, die er monatlich für Essen bekam, reichten bald nicht mehr. Geld musste her und das schnell.

"Wir waren einfach vier Trottel, die auf das große Geld gehofft hatten", sagt F. Im Reisebüro, in dem sie in der verhängnisvollen Nacht zuschlugen, befand sich ein Tresor, den das Quartett abtransportierte. Dabei wurden sie beobachtet: "Keine zehn Minuten später hat uns die Polizei gefasst."

Sein erster Gedanke nach der Festnahme? "Ich dachte sofort an meine Mutter. Ich wusste, sie würde das am meisten treffen." Die Konsequenz für die nächtliche Exkursion ins Reisebüro waren sechs Monate Haft in der Klagenfurter Justizanstalt.

Alltag hinter Gittern

Und so begann für F. die Zeit hinter Gittern. Seine Zelle teilte er mit fünf anderen Männern. "Ich will nicht verharmlosen, was ich getan habe, aber die Straftaten meiner Zellengenossen waren schon eine Stufe weiter", sagt F. Ein paar seiner "Mitbewohner" saßen wegen Drogendelikten, ein anderer war wegen Menschenhandels inhaftiert.

Aber wie sieht der Alltag im Gefängnis aus? "Die meisten sehen fern. Ich habe versucht, mich irgendwie zu beschäftigen", erzählt der Ex-Häftling. Wäschesäcke und Wasserflaschen wollte der 23-Jährige, so sagt er, als Hanteln umfunktionieren. "Aber das wurde mir weggenommen, weil damit ja jemand verletzt werden könnte." Und so begann er zu schreiben: Briefe und Rap-Texte. Besuch durfte er einmal pro Woche empfangen.

"Oft habe ich aber einfach nur aus dem Fenster geschaut", sagt F. "Jeder Tag im Gefängnis ist halt doch ein verlorener Tag. Man kann den Großteil des Tages über nicht hinausgehen. Man kann gar nichts machen."

Der Gedanke, dass seine Strafe vergleichsweise kurz und absehbar war, macht F. stets Mut. Entlassen wurde er sogar zwei Tage früher als erwartet. Und so fuhr F. zu seinem Elternhaus, um seine Mutter zu überraschen. Es war ein sehr emotionales Wiedersehen. "Sie hat geweint", sagt F. und fügt hinzu: "Aus Freude!"

Neustart nach Haftstrafe

Auf seinem Weg zurück ins "normale" Leben hat ihm der Verein Neustart geholfen. 760 Personen betreut die Organisation in Kärnten (Stand 2019). Darunter sind neben Ex-Häftlingen auch Menschen mit Vorstrafen und Jugendliche. Es geht darum, die Klienten an potenzielle Arbeitgeber zu vermitteln und sie bei der Wohnungssuche zu unterstützen. "Unser Hauptziel ist aber nicht nur, Menschen mit Ressourcen zu versorgen", heißt es seitens der Organisation. "Wichtig ist auch die Deliktverarbeitung."

So wird mit den Klientinnen und Klienten analysiert, warum sie ihre Tat begangen haben und welche alternativen Handlungsmöglichkeiten es gegeben hätte: "Jeder Rückfall bedeutet ein neues Opfer. Täterarbeit ist daher auch Opferschutz."

"Will Vorbild sein"

F.s zweieinhalb Jahre alte Tochter war einer der Hauptgründe, warum er sein Leben wieder auf die Reihe bekommen wollte. "Ich will ja doch ein Vorbild sein", sagt er. Bald fand F. einen Job bei einem Zustellunternehmen. Sein aktueller Chef weiß über seine Vergangenheit Bescheid. "Aber da ich seit meiner Freilassung nicht mehr auffällig geworden bin, war das okay für ihn." 

F. hat aus der Erfahrung gelernt: "Ein Erfolgsrezept gibt es zwar nicht. Aber ich glaube, wenn ich alleine geblieben wäre und mich nicht auf meine Freunde eingelassen hätte, dann wäre ich nie auf die Idee gekommen, so etwas Blödes zu tun."

Inzwischen hat der junge Vater einen neuen Freundeskreis. Obwohl zu den meisten so gut wie kein Kontakt mehr besteht, erfährt er ab und zu, was aus seinen alten Kumpels geworden ist. "Einer sitzt wieder. Dieses Mal wegen Drogen, glaub ich", sagt F. "Ein anderer hat hingegen ein Unternehmen gegründet." Das und seine persönliche Geschichte zeigen vor allem eines: "Für einen Neustart ist es nie zu spät."