Josef Obergantschnig ist Gründer von ecobono.com, Präsident des Wirtschaftsethikklubs Ethico und allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger für Bank- und Börsenwesen. In seinem "Logbuch eines Börsianers" schildert der erfahrene Kapitalmarktexperte für die Kleine Zeitung seine persönlichen Eindrücke und Erlebnisse in diesem – auch auf dem Börsenparkett – ereignisreichen Zeiten und zieht jeweils eine Wochenbilanz.
Samstag, 1. April: Wenn Zinsen aufs Budget drücken
Irgendwie habe ich seit der Zeitumstellung noch immer einen „Mini-Jetlag“. Dagegen kann selbst ein doppelter Espresso wenig ausrichten. Ob mir da ein vorgezogenes Frühstück Abhilfe schaffen kann?
Bei diesem Gedanken schweife ich in eine längst vergangene Zeit zurück, als ich als Kind bevorzugt meine Cornflakes mit kalter Milch zum Frühstück verspeiste. Der amerikanische Traum ist in den 1980ern sogar bis in die Steiermark vorgedrungen. Die Frage, ob ich frühstücksmäßig zu meinen Wurzeln zurückkehren soll, erübrigt sich, da ich in unserer Küche keine Cornflakes finde. Wussten Sie eigentlich, dass der Arzt John Kellogg gemeinsam mit seinem Bruder Will Kellogg Cornflakes bereits Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt haben, da sie ein gesundes vegetarisches Grundnahrungsmittel für ihre Patienten gesucht haben? Die von Will gegründete Firma heißt seit 1922 Kellogg Company. Das Unternehmen beschäftigt heute weltweit rund 30.000 Mitarbeiter und wird an der Börse mit etwas mehr als 20 Milliarden US-Dollar bewertet. Das ist definitiv kein kleiner Fisch. In den letzten Jahren blieb die Performance von Kellogg aber deutlich hinter jener der Highflyer zurück.
Bleiben wir bei Uncle Sam. Die USA haben mittlerweile mehr als 31 Billionen Dollar an Schulden angehäuft. Etwas mehr als 7 Billionen Dollar werden von ausländischen Kreditgebern finanziert. Der größte Kreditgeber ist Japan mit etwas mehr als einer Billion US-Dollar. China hält aktuell US-Staatsanleihen im Ausmaß von 867 Milliarden Dollar und liegt damit vor Großbritannien mit 655 Milliarden auf Rang zwei. Die Abhängigkeit der USA gegenüber Fernost wird dadurch ersichtlich, dass Japan und China gemeinsam mehr als ein Viertel aller von Ausländern gehaltenen US-Staatsanleihen halten.
Spannend finde ich auch einen Blick in die Historie. Zwischen 2002 und 2013 hat China die Position in US-Staatsanleihen von 100 Milliarden Dollar auf den Rekordwert von 1,3 Billionen Dollar aufgebaut. Seit damals wurde das Engagement deutlich zurückgefahren. Erst 2019 hat Japan China als größten ausländischen Kreditgeber abgelöst. Die Lage in den USA ist mittlerweile äußerst angespannt. Das liegt zum einen an der hohen Schuldenlast, die mittlerweile auf ein Niveau von 129 Prozent in Relation zum BIP geklettert ist. Darüber hinaus beträgt das Budget-Defizit gegenwärtig minus 5,8 Prozent. Damit stehen die USA nur unwesentlich besser da als das europäische Sorgenkind Italien.
In den vergangenen Monaten sind die Zinsen deutlich angestiegen. Inwiefern sich das auf die einzelnen Staatsbudgets auswirkt, hängt im Wesentlichen vom Refinanzierungsbedarf und der Neuverschuldung ab. Und auch hier könnte es für die USA kritisch werden, da ein Großteil der Anleihen bereits in den nächsten Jahren auslaufen werden. Allein in den nächsten beiden Jahren laufen gerundete 40 Prozent der US-Staatsanleihen im Ausmaß von 10 Billionen Dollar aus. Gemeinsam mit dem jährlichen Budget-Defizit müssen die USA also knapp 12 Billionen Dollar neu und zu deutlich höheren Konditionen als in der Vergangenheit refinanzieren. Um das zu verdeutlichen, noch ein kleines Rechenbeispiel: Der 10-Jahreszins ist seit 2020 um 3 % gestiegen. Das bedeutet, dass bei gleichbleibenden Bedingungen die Finanzierungskosten der 12 Billionen Dollar jährlich um 360 Milliarden Dollar teurer sind als noch 2020. Und das ist nur unwesentlich weniger, als die USA für Forschung und Entwicklung ausgeben.
Dieses Phänomen betrifft aber nicht nur Staaten sondern auch Privatpersonen. Die Nachfrage für Wohnbaukredite ist in den letzten Monaten spürbar zurückgegangen. Das hängt zum einen mit den höheren Zinssätzen aber auch mit den strengeren Vergaberichtlinien der Banken zusammen. Laut OeNB liegt der Durchschnittszinssatz bei Wohnbaukrediten in Österreich bei 3,33% und damit deutlich über dem Vorjahreswert von 1,18%. Umgerechnet bedeutet das, dass sich die Zinsausgaben für Privatpersonen von 148 Millionen Euro auf 284 Millionen Euro innerhalb eines Jahres nahezu verdoppelt haben.
Das wird wohl zweifelsohne eine ordentliche Delle in dem einen oder anderen Haushaltsbudget hinterlassen. Bleibt für mich noch die Frage offen, ob ich nun Cornflakes auf unsere Einkaufsliste setzen soll?
Samstag, 24. März: Ist "Too-Big-To-Fail" steigerbar?
Zu Wochenbeginn war irgendetwas anders. Das ist verwunderlich, denn mein Montagmorgen begann wie jeden anderen Tag im Jahr mit einem Espresso, während ich über die Börsen und das Weltgeschehen in aller Ruhe nachdenke. Ob das etwas damit zu tun hat, dass wir am Wochenende einen ordentlichen Frühjahrsputz gemacht und uns von einigen Dingen getrennt haben? Wohl eher nicht.
Aber ein anderer Verlust macht mir irgendwie zu schaffen. Die schweizerische Institution Credit Suisse wurde zu Grabe getragen. Ein Unternehmen, welches mich Zeit meines Berufslebens begleitet hat. Nicht immer im positiven Sinne. Es gab schließlich einige Skandale, die letztlich das Vertrauen der Kunden bis ins Mark erschüttert haben. Und ohne Vertrauen kann keine Bank überleben. Der große Bruder UBS musste in die Bresche springen und war bereit, das angeschlagene Institut für drei Milliarden Schweizer Franken zu kaufen. Ob hier auch der Druck der Politik oder der SNB eine Rolle gespielt hat? Die Credit Suisse wurde ja als „Too-Big-To-Fail“ eingestuft.
Für mich stellt sich die Frage, ob für das neue Institut eine Steigerungsform von „Too-Big-To-Fail“ eingeführt werden muss? Haben Sie sich auch schon einmal gefragt, was „Too-Big-Too-Fail“ überhaupt bedeutet? Prinzipiell werden damit Unternehmen bezeichnet, deren Pleite gravierende Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft haben würde. Das Unternehmen ist schlicht und einfach zu groß und wirtschaftlich mit anderen Stakeholdern zu sehr vernetzt, um es in die Insolvenz gehen zu lassen. In diesem Fall eilt der Staat als Retter in der Not zu Hilfe. Auch wenn der Begriff auf die Finanzkrise 2008 infolge der Lehman-Pleite zurückgeht, liegt der Ursprung bereits in den 1980ern, als die Continental Illinois National Bank – immerhin die siebendgrößte Bank der USA – als „Too-Big-Too-Fail“ oder systemrelevant gerettet wurde.
Die G20-Länder – ein Zusammenschluss der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer – haben den Finanzstabilitätsrat (FSB) eingerichtet, welcher seit 2011 jährlich eine Liste der systemrelevanten Banken publiziert. Ein Zusammenbruch dieser Banken hätte laut Einschätzung der Experten verheerende Folgen für das Finanzsystem, die Realwirtschaft und damit auch für Unternehmen und private Haushalte. Aus diesem Grund gelten für sie verschärfte Anforderungen. Systemrelevante Banken müssen z.B. einen größeren Kapitalpuffer haben, um gegen Krisen besser gewappnet zu sein. Auf der aktuellen Liste des FSB finden sich neben der UBS und der Credit Suisse noch 28 weitere Institute, wie z.B. JPMorgan Chase, die Bank of America, ING, die Deutsche Bank oder Barclays. Und jetzt ist es erstmals so, dass zwei dieser 30 systemrelevanten Banken miteinander fusionieren.
Die UBS und Credit Suisse verwalten Vermögen in der siebenfachen Höhe des Schweizer Brutto-Inlandsproduktes. Der größte Asset-Manager der Welt ist BlackRock mit einem verwalteten Vermögen von 9,5 Billionen US-Dollar vor Vanguard mit 8,1 Billionen US-Dollar. Durch den Zusammenschluss der beiden schweizerischen Großbanken kommt die „neue“ UBS auf ein verwaltetes Vermögen von 5,9 Billionen US-Dollar und schafft es damit auf das Podium der Top-3 Asset-Manager.
Kommen wir nun zu den Notenbanken, die in diesen Tagen vor der Herausforderung stehen, eine Bankenkrise abzuwenden und die hohen Inflationsraten einzufangen.
Am Mittwoch dieser Woche hat der Präsident der US-Notenbank Jerome Powell eine weitere Zinserhöhung um 0,25 Prozentpunkte verkündet. Das ist bereits die neunte Zinsanhebung in Folge. Mit steigenden Leitzinsen setzt die Fed den Kampf gegen die Inflation fort. Das aber wiederum ist Gift für den in Trubel geratenen Bankensektor. Noch Anfang März hat Powell verdeutlicht, dass die amerikanische Notenbank bereit sei, das Tempo der Zinsschritte wieder zu erhöhen. Zur Erinnerung: Im Vorjahr wurden die Leitzinsen mehrmals um 0,75 Prozentpunkte angehoben. Durch den Kollaps mehrerer kleiner US-Banken hat Powell den Fuß aber augenscheinlich doch etwas vom Gas genommen. Durch den Zinsanstieg werden Kredite für Unternehmen und Privatpersonen teurer. Dadurch ist davon auszugehen, dass weniger Geld für Investitionen und den privaten Konsum zur Verfügung stehen.
In den USA trägt der Konsum der privaten Haushalte immerhin rund zwei Drittel zur Wirtschaftsleistung bei. Für einige US-Bürger ist die Situation schon ziemlich angespannt. 2022 waren 41 Millionen Menschen auf staatliche Lebensmittel-Hilfen angewiesen. Das sind immerhin 12 Prozent der Bevölkerung. Die Zahl ist in den letzten Jahrzehnten deutlich gestiegen. Anfang des Jahrtausends waren es noch 17 Millionen oder sechs Prozent der Bevölkerung. Besorgniserregend empfinde ich auch, dass die Zahl der Lebensmittel-Gutscheinbezieher die Anzahl der Arbeitslosen von rund sechs Millionen deutlich übersteigt. Die USA sind anscheinend nicht nur das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, sondern auch ein Land der „working poor“.
Kommen wir nach Europa. Auch die EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat wieder einmal klar und deutlich kommuniziert, dass die EZB den Fokus auf der Preisstabilität hat und die Inflation auf mittlere Sicht wieder in Richtung 2-Prozent-Marke führen möchte. Nachdem das „nicht verhandelbar“ ist, würde es mich nicht verwundern, wenn weitere Zinserhöhungen ante-portas stehen. Die Kapitalmärkte sind gut ins Jahr 2023 gestartet, in den letzten Wochen aber doch etwas unter Druck gekommen. Die Frage, ob an den Finanzmärkten auch ein Frühjahrsputz bevorsteht, kann ich Ihnen erst im Juni beantworten.
Samstag, 18. März: Alarmglocken statt Kuhglocken
Schwarz ist eine interessante Farbe. Das Herzstück der Wiener Kaffeehäuser ist und bleibt ein kleiner Schwarzer. Der starke, schwarze Kaffee ohne Milch und Zucker lässt das Herz eines Espresso-Liebhabers höher schlagen. Unternehmen wiederum können rote und schwarze Zahlen schreiben. Auch in diesem Fall ist die Farbe schwarz positiv besetzt. Der Ursprung liegt in der fernen Vergangenheit, als negative Zahlen in roter Farbe geschrieben und damit herausgehoben wurden. Und dann gibt es noch die vielsagende Redewendung: Ich sehe schwarz!
Als Börsianer kommt mir natürlich auch der 24. Oktober 1929 in den Sinn, der als Schwarzer Freitag in die Börsengeschichte eingegangen ist und als Auslöser der Großen Depression und der Weltwirtschaftskrise gilt. Und dann hätten wir auch noch den Schwarzen Schwan. An der Börse wird damit ein plötzliches, unerwartetes und sehr seltenes Ereignis beschrieben, welches große Auswirkungen auf die Weltwirtschaft und den Finanzmarkt hat. Einzig in Bezug auf selten bin ich mir nicht sicher, ob der von Nassim Taleb geprägte Begriff nicht einmal überarbeitet werden sollte. An der Börse sind Schwarze Schwäne gefühlt allgegenwärtig.
In meinen ersten Berufsjahren habe ich beispielsweise 9/11 oder die Lehman-Pleite hautnah miterlebt. Beide Ereignisse fanden im September statt. Wen wundert es, dass bei mir jedes Jahr im September die Alarmglocken läuten. Bei einer genaueren Überlegung sollte ich das aber tunlichst überdenken. Im März 2020 erlebten wir den ersten Corona-Shutdown. Vor etwas mehr als einem Jahr ist Russland in die Ukraine einmarschiert. Beide Ereignisse würde ich von ihrer Dimension auch als Schwarzer Schwan betrachten. Und nun im März 2023 sorgt der Zusammenbruch der Silicon Valley Bank für Aufsehen und setzt die Börsen vorübergehend in Schockstarre.
Seit 2001 sind 563 US-Banken gescheitert. Die Pleite der Silicon Valley Bank dürfte ein bedrohliches Ausmaß annehmen. Der Kollaps war der größte seit der Finanzkrise 2008 und der zweitgrößte in der US-Geschichte überhaupt. Die Rating-Agentur Moody’s sieht sich bereits veranlasst, den Ausblick für den Bankensektor aufgrund der Vertrauenskrise von „stabil“ auf „negativ“ herabzustufen. Insofern ist es wenig verwunderlich, dass viele Investorengesichter Sorgenfalten zieren.
Auch die europäische Credit Suisse (CS) kämpft dieser Tage mit Liquiditätsproblemen. Am Mittwoch brach die Aktie in der Spitze um 30 Prozent auf ein Allzeit-Tief ein. Auslöser war die Sorge, dass die Pleite der Silicon Valley Bank eine globale Schockwelle auslöst und die geschwächte schweizerische Traditionsbank Credit Suisse mit in den Abgrund reißt. In der Schweiz läuten die Alarmglocken. Die CS wird bis zu 50 Milliarden Euro von der Schweizerischen Nationalbank (SNB) aufnehmen, um ihre Liquidität zu stärken. Als Sicherheiten wird die Bank „erstklassige“ Vermögenswerte einbringen. Die Credit Suisse kämpft mit einer Vertrauenskrise und ist damit die erste global systemrelevante Bank seit der Finanzkrise, die maßgebliche Unterstützungsmaßnahmen erhält.
Die Credit Suisse verarbeitet viele Skandale. Bankenchef Ulrich Körner lässt keinen Stein auf dem anderen und plant tiefgreifende Umstrukturierungen. Bleibt zu hoffen, dass die Alarmglocken bald wieder von den Kuhglocken abgelöst werden.
Wie kam es überhaupt zu dem Zusammenbruch der Silicon Valley Bank? Die Bank ist im Silicon Valley, dem Mekka der Tech- und Start-up Branche, beheimatet. Die Bank hat sich darauf spezialisiert, Start-ups vor allem aus der Tech-Branche zu finanzieren. Durch den Tech-Boom in den 2010er Jahren sind die Einlagen von Unternehmen und deren Gründer exorbitant gestiegen. Und zwar so weit, dass die Summe der Einlagen die Summe der Kredite deutlich überragt hat. Die Bank hat daraufhin viel Geld in vermeintlich sichere Staatsanleihen investiert. Solange der Ertrag bei Staatsanleihen höher ist als die Zinsen, die die Bank den Sparern für ihre Einlage bezahlen muss, ist das ein rentables Geschäft. Im Vorjahr fand der Tech-Boom ein jähes Ende. Das führte zu einer Entlassungswelle und einer Reorganisation vieler Unternehmen. Die außer Kontrolle geratene Inflation hat zu steigenden Zinsen geführt, was wiederum zu einem beträchtlichen Wertverlust von Anleihen geführt hat. Die vermeintlich krisensichere Assetklasse erlebte 2022 ein Horrorjahr.
Laut einer Studie von Professor Edward McQuarrie von der Santa Clara University war es für US-Anleiheninvestoren sogar das schlechteste Jahr aller Zeiten. Das will was heißen, denn seine Analysen gehen 250 Jahre zurück. Langlaufende US-Staatsanleihen verloren 2022 mit minus 29,3 Prozent mehr als der amerikanische Aktienmarkt mit minus 18,1 Prozent. Die unter Druck geratenen Tech-Unternehmen zogen systematisch ihre Einlagen von der Silicon Valley Bank ab. Um die Einlagen auszahlen zu können, musste die Bank Anleihen zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt mit hohen Verlusten verkaufen. Das blieb nicht unbemerkt. Die Gerüchteküche brodelte. Aus Angst davor, ihr Geld nicht mehr zurückzubekommen, haben viele Unternehmen große Geldbeträge abgezogen. Nachdem an einem einzigen Tag ganze 42 Milliarden US-Dollar abgehoben wurden, kam es zu einer behördlichen Schließung der Bank. Die Pleite war damit besiegelt.
In diesem Umfeld bleibt die Zinserhöhung der Europäischen Zentralbank um weitere 0,50 Prozentpunkte nahezu ein „Randereignis“. Was können wir daraus lernen? Die Bank war branchenmäßig nicht ausreichend diversifiziert, da die Mehrzahl der Kunden aus dem Tech-Sektor stammt. Wenn dieser in Probleme gerät, hat das fatale Auswirkungen. Wie heißt es so schön: Diversifikation ist der einzige Free-Lunch! Darüber hinaus hat die Bank mit den Einlagen der Kunden „spekuliert“. Der sogenannte Leverage-Effekt hat sich in der Krise so richtig entfalten können. Auch hier habe ich eine alte Börsenweisheit zur Hand: Der Kredit ist der siamesische Zwilling der Spekulation!
Ob die Pleite der Silicon Valley Bank auch als Schwarzer Schwan in die Geschichte eingehen wird, wage ich gegenwärtig noch zu bezweifeln. Für mich persönlich stellt sich die Frage, ob ich meine Grundnervosität von September künftig auf Februar/März verlagern sollte?
Samstag, 11. März: Von Verdiensten der US-Chefs
Heute Morgen bin ich durch die Wiener Innenstadt geschlendert. Unweigerlich ist mir ein Starbucks Logo ins Auge gestochen. Irgendwie passt das nicht in mein Bild von Wien mit seinen traditionellen Kaffeehäusern und grantigen Kellnern. Als ich so vorbeischlenderte, werde ich beinahe von einer jungen Frau mit einer „Tall Latte“ in der Hand, die hastig aus der Filiale schreitet, angerempelt. Als bekennender Espresso-Liebhaber kann ich nur sagen: Zum Glück ist nichts passiert, Frau und Kaffee sind unversehrt.
Unweigerlich muss ich an den Starbucks-Index denken, der analog dem Big-Mac-Index den Preis eines Tall Latte in unterschiedlichen Ländern angibt. Starbucks betreibt mittlerweile 32.000 Geschäfte in über 80 Ländern dieser Welt. Die Bandbreite des Kaffeepreises reicht von 7,17 US-Dollar in der Schweiz bis 1,31 Dollar in der Türkei. Überrascht hat mich, dass der Tall Latte in Deutschland mit 4,49 Dollar um mehr als einen Dollar teurer ist als in Österreich 3,48 Dollar.
Spannend finde ich auch, wenn man den Preis eines Kaffees in Relation zum Einkommen setzt. Während Menschen in Kambodscha 86% ihres Tageslohnes ausgeben müssten, kostet ein Tall Latte einem US-Amerikaner lediglich 2,1%.
Haben Sie sich schon einmal gefragt, wie viel die Top-Verdiener der S&P-500-Unternehmenslenker verdienen? Der Top-Verdiener heißt Peter Kern, der CEO des Online-Reiseanbieters Expedia. Kern verdiente inklusive Bonuszahlungen 296,2 Millionen US-Dollar. Das ist das 2.897fache des Mediangehalts seiner Mitarbeiter. Mit David Zaslav von Warner Bros. Discovery mit 246,6 Millionen Dollar und dem Amazon-Chef Andrew Jassy mit $212,7 Millionen verdienen drei Manager über 200-Millionen-Dollar.
Sie werden sich wahrscheinlich auch fragen, wie viel Tim Cook, CEO von Apple, dem wertvollsten Unternehmen der Welt verdient? Cook hat 98,7 Millionen Dollar eingestreift und ist damit der am siebendbeste bezahlte S&P-500-Chef. Spannend finde ich auch das Gehalt von Eric Yuan, dem Gründer und CEO von der Videokonferenzplattform Zoom, die gerade in den ersten Corona-Jahren einen enormen Zuwachs verzeichnen konnte. Seit 2022 ist aber etwas Sand im Getriebe. Eric Jan hat sich von 15% seiner 1300 Mitarbeiter trennen müssen. Aber auch er hat seinen Gürtel enger geschnallt und sein Jahresgehalt auf 6.304 Dollar heruntergeschraubt. Auch wenn er es mit einem geschätzten Vermögen von 4,1 Milliarden Dollar verkraften wird, wird diese Geste sowohl von Mitarbeitern als auch Aktionären wertgeschätzt.
Und nun kommen wir noch zur Frage, wie alt denn die Chefs der großen Unternehmen überhaupt sind? Das Durchschnittsalter liegt bei 57 Jahren. Der jüngste in diesem elitären Managerkreis ist ein gewisser Mark Zuckerberg. Seines Zeichens Gründer und CEO von Meta (ehemals Facebook). Neben Zuckerberg sind lediglich drei weitere Manager noch in ihren Dreißigern.
Machen wir einen Schwenk nach China. Das aufstrebende Land hat sich selbst ein Wachstumsziel von 5% für 2023 gesetzt. Volkswirte sind bisher sogar von einem höheren Wachstum ausgegangen, da der Industrieoutput und die Konsumentenausgaben nach dem Ende der Corona-Restriktionen einen wahren Rebound erleben.
Apropos Rebound. In diesem Zusammenhang ist wohl auch Tesla zu nennen. Einer der Verlierer des Jahres 2022 gehört, trotz des Preisrückganges in den letzten Tagen, zu den großen Gewinnern 2023. Der Trend zu Aktien scheint weiter anzuhalten. Elon Musks Vorzeigeunternehmen führt auch das Ranking der beliebtesten Aktien privater Investoren an. Spannend finde ich, dass in der Top-10 Liste sich auch zwei ETF's, die in den breiten Aktienmarkt und damit in eine Vielzahl von Unternehmen investieren, wiederfinden. Auffallend ist auch, dass prominente Namen wie Amazon, Apple, Alphabet, Meta und Microsoft nichts an Attraktivität verloren zu haben scheinen.
Diese Woche stand auch wieder ganz im Zeichen des US-Notenbankpräsidenten, der in einer vielbeachteten Rede mehr Tempo bei den Zinserhöhungen in Aussicht stellt und damit die Märkte unter Druck setzte. Oberkellner Jerome wird uns Investoren wohl Zinserhöhungen der Marke Espresso anstatt eines Latte Macchiatos servieren.
Samstag, 4. März: Die salzige Suppe von Uncle Sam
Heute Morgen bin ich mit dem Zug unterwegs. Als ich aus dem Fenster blicke, erkenne ich aus der Ferne das gelbe Logo einer amerikanischen Fastfood-Kette. Ob die wohl auch einen guten Espresso verkaufen?
In den letzten Jahrzehnten haben sich viele US-Unternehmen auch in Europa einen Namen gemacht und zum Teil eine nahezu monopolartige Stellung eingenommen. Dazu brauche ich gar nicht weit schauen. Auf dem Tisch vor mir liegt ein Mobiltelefon mit einem Apfel-Logo, auf dem ich gerade danach google, wie groß der US-Aktienmarkt eigentlich ist. In den USA leben aktuell rund 330 Millionen Menschen oder 4 Prozent der Weltbevölkerung. Damit ist man das drittbevölkerungsreichste Land der Welt. Allerdings doch mit deutlichem Respektabstand zu China und Indien, in denen jeweils 1,4 Milliarden Menschen leben.
Von der wirtschaftlichen Seite her ist die USA aber immer noch die größte Volkswirtschaft der Welt und trägt knapp 25 Prozent zum Welt-BIP bei. Die Dominanz der US-Wirtschaft hat in den letzten Jahren durch den stetigen Fortschritt Chinas etwas gelitten. Seit den 1870er-Jahren ist die USA die größte Volkswirtschaft der Welt. Und es scheint sich anzudeuten, dass China bereits in diesem Jahrzehnt die mehr als 150 Jahre Vormachtstellung beendet und zur größten Volkswirtschaft der Welt aufsteigen wird.
Das dürfte Uncle-Sam wohl gehörig die Suppe versalzen. Auf meiner Recherche stoße ich auf eine Analyse, die die größten Börsen der Welt vergleicht. Die großen Börsen in den USA sind die New York Stock Exchange (NYSE) und die technologielastige Nasdaq. An der NYSE sind gegenwärtig 2400 Unternehmen mit einem Börsenwert von 22,8 Billionen US-Dollar gelistet. An der Nasdaq notieren sogar 3700 Unternehmen, die mit 16,2 Billionen Dollar bewertetet sind. Gerade im letzten Jahrzehnt haben Tech-Aktien die Performance-Listen angeführt. Das hat dazu geführt, dass der Anteil der US-Börsen an der Welt-Marktkapitalisierung von knapp unter 30 Prozent auf aktuell 42 Prozent angestiegen ist. Und das wiederum ist deutlich mehr als der Anteil am Welt-BIP.
Dahinter folgt die Shanghai Stock Exchange mit einer Marktkapitalisierung von 6,7 Billionen Dollar auf dem dritten Rang. Spannend finde ich, dass auf der größten chinesischen Börse mit 1600 Unternehmen doppelt so viele notieren wie auf der Euronext. Die Euronext ist ein Börsenverbund aus den Handelsplätzen Paris, Amsterdam, Mailand, Brüssel, Dublin, Oslo und Lissabon. Der Börsenwert aller Euronext-Unternehmen liegt bei 6,1 Billionen US-Dollar. Die Japan Stock Exchange (5,4 Billionen US-Dollar) vollendet die Top-5. Spannend finde ich auch eine Umfrage von PWC unter potenziellen Börsenkandidaten. Knapp zwei Drittel aller Unternehmen gaben an, ein Listing an der NYSE oder Nasdaq anzustreben. Und das betrifft nicht nur US-Unternehmen sondern Unternehmen aus der ganzen Welt.
Kommen wir noch zu den europäischen Börsen. Grundsätzlich eignen sich Immobilien gut dafür, um sich gegen eine Inflation zu schützen. Preissteigerungen in anderen Lebensbereichen münden im Regelfall auch in steigenden Immobilienpreisen. Aktuell sind wir aber in der Situation, dass die Kreditraten vieler Haus- und Wohnungsbesitzer durch den Zinsanstieg der letzten Monate deutlich angestiegen sind. Die Notenbanken haben sich dem Kampf gegen die hohen Inflationsraten verschrieben. In diesem Umfeld ist die Nachfrage nach Immobilienfinanzierungen deutlich zurückgegangen. Und das hat sich auch in den Aktienkursen niedergeschlagen.
Der Stoxx Europe 600 Real Estate Index investiert in Real Estate Investment Trusts (REITs). Im Vergleich zum Gesamtmarkt haben Immobilien-REITs in den letzten Monaten deutlich Federn lassen müssen. Was sind denn nun überhaupt REITs? REIT ist die Abkürzung für reine in der Immobilienbranche tätige Aktiengesellschaften. Die Geschäftsfelder können z.B. den Erwerb und die Veräußerung oder die Vermietung und Verwaltung von Immobilien sein. Die Unternehmen erhalten Steuerbegünstigungen und verpflichten sich im Gegensatz dazu, staatliche Auflagen zu erfüllen. Und die wichtigste davon ist, dass ein Großteil der Erträge an die Investoren ausgeschüttet werden muss. Die Mindestquoten und Steuerbegünstigungen unterliegen der nationalen Gesetzgebung. Als ich wieder aus dem Zugfenster blicke, sehe ich schwarz. Ich fahre gerade durch einen Tunnel. So schwarz würde ich die Situation der REITs aber nicht einstufen. Ob ich mit meiner Prognose richtig liege, erfahren Sie, wenn ich aus dem Tunnel komme.
Samstag, 25. Februar: Bill Gates und sein Feierabendbier
Kommt sie, oder kommt sie nicht? Diese Frage haben sich diese Woche vermutlich viele Börsianer gestellt. Und damit meine ich nicht den obligatorischen Kater nach einer ausufernden Faschingsparty. Der Blick richtet sich auf die abwärts gerichtete Wirtschaftsdynamik und die Frage, ob ein schärferer Wirtschaftsabschwung oder gar eine Rezession ante-portas stehen.
In Deutschland hat diese Woche das IFO-Institut einen neuen Statusbericht publiziert. Der IFO-Geschäftsklimaindex ist zwar im Februar das vierte Mal in Folge gesunken, allerdings sehen die mehr als 9000 befragten Führungskräfte bereits einen Silberstreifen am Horizont. Auch wenn sich die deutsche Wirtschaft sukzessive aus der Schwächephase herausarbeitet, dürfte man um eine milde Rezession nicht herumkommen. Einen Vorgeschmack haben wir im 4. Quartal 2022 mit einem Rückgang von 0,2 Prozent bekommen. Mal schauen, was die nächsten Wochen und Monate so bringen.
An den Kapitalmärkten läuft es momentan auch eher schleppend dahin. Nach dem erfolgreichen Jahresbeginn hat sich in den letzten Wochen die Unsicherheit wieder etwas breit gemacht. Vor allem Zinsängste sorgen zunehmend für Sorgenfalten auf den angespannten Gesichtern vieler Börsianer. In Deutschland haben sich die Renditen für 10-jährige deutsche Staatsanleihen in den letzten sechs Monaten verdoppelt. Mit rund 2,5 Prozent ist das Niveau zwar historisch betrachtet immer noch niedrig, allerdings auch auf dem höchsten Wert seit elf Jahren. In Japan sind am Aschermittwoch die Zinsen für Staatsanleihen über das obere Ende des von der Notenbank definierten Zinsbandes gestiegen. Das hat die Bank of Japan veranlasst Notkäufe durchzuführen und Staatsanleihen aufzukaufen, um sich vehement gegen weitere Zinsanstiege zu stemmen. Japan hat aktuell eine Schuldenquote in Relation zum BIP in der Höhe von 262,5 Prozent und ist damit vor Venezuela und Griechenland das meistverschuldeste Land der Welt. Gerade für hochverschuldete Länder sind steigende Zinsen Gift, da jede neue Finanzierung zusätzlich das Staatsbudget belastet.
Die US-Notenbank hat in atemberaubender Geschwindigkeit die Leitzinsen angehoben. Darin sind sich alle einig. Bei den Prognosen tun sich mittlerweile deutliche Unterschiede zwischen Notenbanker und Marktteilnehmern auf. Während die Marktteilnehmer von einer Rezession und Zinssenkungen ausgehen, gehen die Prognosen der Währungshüter weiter nach oben. Eine bekannte Börsenweisheit lautet: „Never fight the Fed!“ Irgendwie wäre es auch anmaßend, sich mit den eigenen beschränkten Mitteln gegen die US-Notenbank mit ihren „unbegrenzten“ finanziellen Mitteln zu stellen, meinen Sie nicht auch? Das scheint wie der Kampf Davids gegen Goliath. Falsch liegen können aber sowohl die Währungshüter als auch die Marktteilnehmer. Wer kann schon wissen, wie wir in einem Jahr dastehen werden!
Neues gibt es auch auf der Tech-Front zu berichten. Elon Musk und Mark Zuckerberg machen gemeinsame Sache. Nach Twitter wird auch Facebook (Meta) kostenpflichtige Abos einführen und damit versuchen, schwindende Werbeeinnahmen zu kompensieren. Ob damit verbunden auch eine weitreichende Änderung des Facebook-Geschäftsmodels einhergeht, bleibt abzuwarten. Wenn es für Musk und Zuckerberg nicht klappen sollte, können sie ja dem Beispiel von Microsoft-Gründer Bill Gates folgen und beim Bierkonzern Heineken einsteigen. Gates gab vor wenigen Jahren an, kein großer Biertrinker zu sein. Ob sich das durch seine Beteiligung groß ändern wird, bleibt abzuwarten!
Ich für meinen Teil bleibe wohl lieber bei meinem Espresso. Bleibt zu hoffen, dass Bill Gates seine Dividende nicht in Bierflaschen ausbezahlt bekommt. Bei seinem Investment von 883 Millionen Euro kann Gates auf eine Gewinnausschüttung in der Höhe von rund 15 Millionen hoffen. Bei einem Flaschenpreis von 1 Euro wären das stattliche 15 Millionen Flaschen Bier. Selbst wenn der liebe Bill Gates mit all seinen Freunden gemeinsam künftig sein Feierabendbier genießt, wird ihn diese Anzahl kräftig überfordern.
Samstag, 18. Februar: Kodak und Nokia lassen grüßen
Kommen wir noch in die USA. Im Jänner lag die Arbeitslosenrate bei 3,4 Prozent. Das ist der tiefste Wert seit mehr als fünf Jahrzehnten! Volkswirte gehen davon aus, dass damit der Druck auf die amerikanische Fed weiterhin anhalten wird. Durch den ausgedünnten Arbeitsmarkt ist davon auszugehen, dass der Lohndruck weiter zunehmen wird. Und das wiederum führt oft zu steigenden Preisen. Aktuell stehen wir bei einer Inflationsrate von 6,4 Prozent. Das ist zwar deutlich niedriger als im Juni 2022 (9,1 Prozent), allerdings immer noch deutlich über der Wohlfühlzone der amerikanischen Notenbanker. Es ist für mich daher schwer vorstellbar, dass die Inflation bei diesen Arbeitsmarktbedingungen in absehbarer Zeit deutlich sinkt. Fed-Chef Powell hat ja bereits angedeutet, dass die Marktteilnehmer geduldig sein müssen und sich darauf einstellen sollten, dass die Zinsen weiter steigen. Ich bin schon gespannt auf den nächsten Arbeitsmarktbericht am 10. März und wohin die Reise gehen wird.
Der Arbeitskräftemangel ist auch ein bestimmendes Thema in der EU. Laut Berechnungen der Agenda Austria haben in Österreich 35,6 Prozent aller Dienstleistungsunternehmen und 21,3 Prozent aller Industrieunternehmen Produktionseinbußen aufgrund des Arbeitskräftemangels hinnehmen müssen. Deutschland ist noch stärker betroffen. 41,7 Prozent der Dienstleister und 38,8 Prozent der Industriebetriebe sind davon betroffen. Der Kampf der Unternehmen um kompetente Arbeitskräfte hat längst begonnen. Es ist auch in Europa zu befürchten, dass sich das auf höhere Löhne und in weiterer Folge in höheren Preisen niederschlagen wird. Steht die Inflation 2.0 bereits ante-portas? Ich weiß es nicht. Aber es würde mich nicht wundern, wenn wir noch einige Zeit mit hohen Inflationsraten konfrontiert sind.
Samstag, 11. Februar: Leerverkäufe und Grenzen der KI
Die künstliche Intelligenz (KI) erobert das Internet. ChatGPT ist neu! ChatGPT ist cool und kennt die Antwort auf beinahe jede Frage. Der User kann sprachbasiert der künstlichen Intelligenz Fragen zu unterschiedlichsten Themen stellen und erhält auf Wunsch vordefinierte Textzusammenfassungen oder einen ausformulierten Business Plan. Klingt beeindruckend, nicht wahr!? Seit November 2022 ist diese Anwendung kostenlos zu testen.
Für neue Applikationen und Tools ist es wichtig, einmal die Schwelle von einer Million Anwendern zu erklimmen. Erfolgreiche Beispiele aus der Vergangenheit lehren uns, dass das Erklimmen dieser Hürde kein Sprint sondern eher ein Marathon ist. Netflix ging 1999 an den Start und benötigte 3,5 Jahre, um in den Million-User-Bereich vorzustoßen. Airbnb startete 2008 und benötigte 2,5 Jahre. Twitter brauchte 2,5 Jahre, Facebook 8 Monate, Spotify 5 Monate. Der bisherige Spitzenreiter ist Instagram. Die Social-Media Plattform benötige nur zweieinhalb Monate nach der Auflage, um die 1-Million-Anwender Schwelle zu überwinden. Das ist sehr beeindruckend, finden Sie nicht auch?
Im Vergleich zu ChatGPT gleicht das aber beinahe einem Kindergeburtstag. Bereits fünf Tage nach dem Produkt-Launch wurde die Millionenschwelle erreicht. Mittlerweile ist die Plattform so überlaufen, dass zwischenzeitlich Schwierigkeiten aufgetreten sind, sich als neuer User überhaupt registrieren zu können. ChatGPT scheint der Beginn einer Revolution zu sein. Vergleichbar mit dem Internet oder auch dem Smartphone. Gerade der Tech-Gigant Google kommt dadurch gehörig unter Druck. Im Vergleich zu einer klassischen Google-Abfrage, durch die man sich ein eigenes Meinungsbild erst „erarbeiten“ muss, kann man den Weg durch ChatGPT gehörig abkürzen und erhält bereits ein, nach den eigenen Bedürfnissen erstelltes, fix ausgearbeitetes Konzept. Der Aufschrei der Skeptiker und Kritiker lässt nicht lange auf sich warten. Wie gehen Schulen oder Universitäten mit diesem Thema um? Besteht die Gefahr, dass KI-Texte die Datenflut im Internet auf ein bisher ungeahntes Niveau ausweiten?
Auch diese Befürchtung macht Google durchaus zu schaffen. Die Haupteinnahmequelle sind Werbeeinschaltungen. Unternehmen werden aber in Zukunft kaum Geld in die Hand nehmen, um mit der Künstlichen Intelligenz anstatt dem zahlungskräftigen Konsumenten in Kontakt zu kommen. Zu den prominenten Geldgebern von ChatGPT gehören Elon Musk oder auch Microsoft. Auch Google ist bereit, Milliarden in diesen Bereich zu investieren. Google-Vorstand Sundar Pichai hat bereits angekündigt, drei KI-Produkte auf den Markt bringen zu wollen. Der Kampf der Giganten ist eröffnet. Ich bin schon sehr gespannt, wohin die Reise gehen wird.
An den Finanzmärkten ist ein Kampf um die Adani-Gruppe entfacht. Gautam Adani zählte zu Jahresbeginn mit einem geschätzten Vermögen von 120 Milliarden US-Dollar noch zu den reichsten Menschen der Welt. Der indische Mischkonzern, der u. a. Häfen, Flughäfen, Kraftwerke bzw. einen Fernsehsender oder auch als Waffen- und Zementhersteller fungiert, wurde 1988 gegründet. Für Adani lief alles gut, bis der Hedgefonds Hindenburg Research sich laut eigenen Angaben das Ziel gesetzt hat, bei dem Unternehmen Unregelmäßigkeiten aufzuspüren und davon durch Leerverkäufe zu profitieren. Bei einem Leerverkauf werden Aktien verkauft, ohne dass sie im Besitz des Hedgefonds sind. Wenn die Strategie aufgeht, kann der Hedgefonds die Aktien in weiterer Folge die Unternehmensanteile deutlich billiger kaufen und damit seine Position glattstellen. Je tiefer der Adani-Kurs fällt, desto besser für den Hedgefonds.
Der Angriff hat bereits Spuren hinterlassen. Adanis Vermögen ist 2023 um unglaubliche 63 Milliarden Dollar eingebrochen. Ende Dezember war er noch der drittreichste Mensch dieses Planten. Wenige Wochen später ist er bereits aus den Top-20 gefallen. Der Aufsteiger des Jahres 2022 kam 2023 gewaltig unter die Räder. Der Wind kann aber auch wieder sehr schnell drehen. Vielleicht nimmt sich Adani Elon Musk als Beispiel. Der große Verlierer des Jahres 2022 ist 2023 bereits wieder einer der großen Gewinner. Nach den herben Kursverlusten im letzten Jahr konnten sich Musk und die anderen Tesla-Aktionäre heuer bisher über deutliche Kursgewinne von mehr als 80 Prozent freuen. Ähnliches gilt für Bitcoin-Investoren. Auch wenn diese nicht im Ausmaß jener von Tesla sind, gab es 2023 starke Zugewinne. Wie heißt es so schön: Totgesagte leben oft länger!
Abschließend kommen wir noch einmal zu ChatGPT. Meinem Test zufolge waren die Ergebnisse durchaus beeindruckend. Mir ist es aber auch gelungen, der KI die Grenzen aufzuzeigen. Auf meine Frage hin, ob ich lieber einen Espresso oder doch einen Cappuccino beim Schreiben dieser Zeilen bevorzuge, blieb ChatGPT ziemlich leise. Nach meinem Stress-Test kann ich Sie beruhigen. Auch in Zukunft wird das Logbuch eines Börsianers nicht von einer Künstlichen Intelligenz geschrieben :-)
Samstag, 4. Februar: Mit Bär durchs Tal der Tränen
Und schon wieder ist es passiert! Die amerikanische Notenbank hat die Leitzinsen um weitere 0,25 Prozentpunkte auf 4,75 Prozent angehoben. Vor einem Jahr wäre ich beinahe die Wette eingegangen, für jede Zinserhöhung der Fed einen Espresso pro Tag zu trinken. Zu meinem Glück bin ich da nochmals rausgekommen. Es war nämlich die achte Zinserhöhung in Folge. Und acht Espressi tagein tagaus, wären selbst für mich eine große Herausforderung.
Fed-Präsident Jerome Powell scheint aktuell nur eine Richtung zu kennen. Ob das an seinem Koffeinkonsum liegen mag, kann ich leider nicht beantworten. Die Angst vor der Inflation scheint aber nach wie vor der bestimmende Faktor zu sein. Um einen wirtschaftlichen Schock zu vermeiden, ist davon auszugehen, dass keine weiteren „drastischen“ Zinserhöhungen auf einmal durchgeführt werden. Die Inflation betrug in den USA im Dezember 6,5 Prozent und ist damit zum zweiten Mal in Folge zurückgegangen. Die anvisierten 2 Prozent scheinen aber noch weit entfernt. Apropos 2 Prozent! Das ist auch das mittelfristige Inflationsziel der Europäischen Zentralbank.
In Österreich hat die Inflation laut einer ersten Schätzung der Statistik Austria im Jänner mit 11,1 Prozent den höchsten Wert seit 70 Jahren erreicht. Von einer Trendumkehr kann hier also keine Rede sein. Die Inflation ist auch in anderen Euro-Ländern das große Thema schlechthin. Insofern ist es wenig verwunderlich, dass die EZB einen Tag nach der Fed auch die Leitzinsen angehoben hat. Diesmal hat Christine Lagarde ihren US-Kollegen Jerome übertrumpft. Der Leitzins wurde um 0,50 Prozentpunkte auf aktuell 3 Prozent angehoben.
Der Internationale Währungsfonds sieht die Lage anscheinend ein bisschen anders. In seiner Jänner-Prognose gehen IWF-Experten davon aus, dass sich die Lage an der Inflationsfront doch etwas entspannen sollte. Die Prognostiker rechnen damit, dass wir weltweit im ersten Halbjahr 2023 den Höchststand erleben werden. In 80 Prozent aller Länder wird die Kerninflation aber deutlich über dem Vor-Pandemie-Niveau bleiben. Bei der Kerninflation wird der Lebensmittel- und Energieanteil ausgenommen. Grund dafür ist, dass gerade diese Komponenten großen Schwankungen unterliegen. Das wird uns Otto-Normal-Verbraucher dieser Tage wenig interessieren, da die Segmente Energie und Nahrungsmittel einen großen Teil unserer Haushaltsbudgets vereinnahmen. Es gibt aber durchaus auch Positives vom IWF zu berichten. Die Wachstumsprognose für die Weltwirtschaft wurde im Jänner seit der letzten Schätzung im Oktober von 2,7 Prozent auf 2,9 Prozent angehoben.
Die Kluft zwischen entwickelten Volkswirtschaften, die um 1,2 Prozent wachsen, und Schwellenländern mit einer Wachstumsrate von 3,9 Prozent bleibt groß. Während China und Indien mit 5,2 Prozent bzw. 6,1 Prozent wachsen, hinken die USA mit 1,4 Prozent und die Eurozone mit 0,7 Prozent bereits deutlich hinterher. Kommen wir noch zu den Aktienmärkten. Seit den Tiefstständen konnten bereits deutliche Kursgewinne erwirtschaftet werden.
Erleben wir jetzt gerade eine Trendwende oder nur einen Bluff vor dem nächsten Abwärtstrend? Seit 1927 gab es insgesamt 20 Bärenmarkt-Rallyes. Damit wird eine temporäre Erholungsphase in einem Abwärtstrend definiert, in der sich die Märkte um zumindest 15 Prozent erholen konnten. Wie schaut es 2023 aus? Haben wir das Tal der Tränen bereits durchschritten oder blufft der Bär? Das kann nur die Zukunft beantworten. Aber irgendwie fühle ich mich an den März und April 2020 zurückerinnert. Nach den großen Kursverlusten und nach dem ersten Corona-Shutdown war die Unsicherheit groß. Der Blick in die Zukunft düster. Nichtsdestotrotz erlebten wir im Anschluss eine sehr erfreuliche Börsenphase. Und das gegen die Meinung aller Skeptiker.
Ob das auch 2023 der Fall sein wird, weiß ich nicht! Klar ist lediglich, dass viele erfolgreiche Investoren es schaffen, langfristig ihrer Strategie treu zu bleiben und den Lärm der Wallstreet auszublenden. Und das gelang dem Norwegischen Staatsfonds in der Vergangenheit sehr gut. Die Entscheidungsträger bleiben ihrer Strategie auch in schwierigen Marktphasen treu. Ziel ist es, die Erdöleinnahmen über mehrere Generationen zu verteilen. Aufgrund des langen Veranlagungshorizonts scheuen die Manager auch nicht davor zurück, Risiken einzugehen. Das Jahr 2021 bescherte den zweithöchsten Gewinn der Geschichte des Staatsfonds. Und 2022 musste der Fonds einen Rekordverlust in der Höhe von 152 Milliarden Euro hinnehmen. Das ist mehr als das Doppelte im Vergleich zur Finanzkrise. Das ist natürlich sehr bitter. Die Entscheidungsträger wissen aber auch, dass schlechte Jahre Teil des Geschäfts sind und langfristig – zumindest war es in der Vergangenheit so – durch gute Jahre wieder wett gemacht werden können. Wie heißt es so schön: Ein höheres Ertragspotenzial bezahlst du mit der einen oder anderen schlaflosen Nacht! Und das wiederum liegt mit Sicherheit nicht daran, dass du den einen oder anderen Espresso zu viel getrunken hast.
Samstag, 28. Jänner: Positive Stimmung im Mikrokosmos
2023 hat für mich so richtig an Fahrt aufgenommen. Mit einem Espresso in der Hand fällt es mir wesentlich leichter, frühmorgens meine Gedanken schweifen zu lassen und über die Finanzmärkte nachzudenken. Diese Woche standen für mich Gespräche mit deutschen, amerikanischen und österreichischen Investoren auf der Agenda. In meinem Mikrokosmos ist die Stimmung im Vergleich zum Vorjahr deutlich positiver. Das bestimmende Thema bleibt die Inflation. Mit dem Jahreswechsel werden die Zeiger wieder auf Null gestellt. Die negative Performance gehört der Vergangenheit an. Das hat anscheinend doch irgendwie eine bereinigende Wirkung auf das Seelenwohl der so „rational“ agierenden Investoren. Und dabei möchte ich mich gar nicht ausnehmen.
Blenden wir zu den Kapitalmärkten. Hier schwenkt das Zinspendel kräftig hin und her. Auf der einen Seite stehen jene, die auch für 2023 deutlich höhere Zinsen sehen und damit die Kapitalmärkte unter Druck setzen. Auf der anderen Seite formieren sich jene, die davon ausgehen, dass in den nächsten Monaten die Inflation deutlich zurückgehen und sich damit die Lage entspannen wird. Das ist aber nicht nur für Investoren sondern auch für alle Kreditnehmer relevant. Zumindest jene, deren Finanzierung mit einer variablen Verzinsung ausgestattet ist.
Von den neu abgeschlossenen Krediten sind fast die Hälfte variabel verzinst. Und von den Bestandskrediten haben laut Angaben der Österreichischen Nationalbank lediglich 6 Prozent eine reine Fixzins- bzw. 46 Prozent eine variable Variante. Und der verbleibende Rest hat sich für eine gemischte Variante mit unterschiedlichsten Ausprägungen entschieden. Damit sind 94 Prozent aller Kreditnehmer von Zinserhöhungen mehr oder weniger stark betroffen.
Wenn man der EZB-Präsidentin Christine Lagarde Glauben schenken kann, dürfte der Zinsanhebungszyklus auch 2023 bis auf weiteres fortgesetzt werden. Der Kampf gegen die Inflation steht im Vordergrund. Die nächste Zinsentscheidung findet bereits am 2. Februar statt. Ob die Zinsen weiter angehoben werden, ist sehr wahrscheinlich. Die Frage scheint nur, um wie viel?
Kommen wir noch zur Aktienseite. Mit der Schweiz verbindet man Schokolade, Sicherheit und Schifahren. Die Credit Suisse ist eine Schweizer Großbank und ist eines der größten Finanzunternehmen der Welt. Vom Börsenkurs ist das Unternehmen aber nur mehr ein Schatten seiner selbst. Seit der Immobilienkrise 2008 ging es stetig Richtung Süden. Die Aktie hat seither mehr als 90 Prozent an Wert eingebüßt. Und das in einer sehr schwankungsintensiven aber durchaus prosperierenden Börsenphase, in der vor allem Technologie-Unternehmen gigantische Gewinne erzielen konnten.
Und als ob das noch nicht genug wäre, gehört das Schweizer Traditionsunternehmen längst mehrheitlich ausländischen Investoren. Die größten Anteile hält die Saudische Nationalbank mit knapp 10 Prozent. Gleich dahinter folgt der Staatsfonds von Katar, der seine Anteile auf knapp 7 Prozent aufgestockt hat. Auch US-Investoren, wie BlackRock oder Vanguard, halten hohe Anteile. Die Top-7 Investoren kommen ausschließlich aus den Golfstaaten oder den USA und halten in Summe knapp ein Drittel aller Anteile. Der größte Schweizer Investor ist die UBS mit 1,4 Prozent aller Anteile.
Das ist kein Einzelfall. Wir erleben einen großen Transformationsprozess. Manch ein Zyniker mag sogar von einem Ausverkauf Europas sprechen. Dieser Transformationsprozess wird bei einem Blick auf die Weltwirtschaft sichtbar. Das Welt-BIP hat 2022 erstmals die 100-Billionen-Dollar-Schallmauer durchstoßen. Die USA ist seit 1872 die größte Volkswirtschaft. Mit einem Anteil von rund 25% führt man das Ranking noch deutlich vor China mit 18% an. Noch in dieser Dekade soll es zu einer Wachablöse kommen und das chinesische Jahrhundert eingeleitet werden. Für mich ist aber klar: Meinen Espresso werde ich nicht gegen einen Reiswein eintauschen!
Samstag, 21. Jänner: Zwischen Kräutertee und Datenflut
Im Dezember und Jänner ist die Zeit der Prognosen. Wir werden defacto täglich mit Meinungen und Ausblicken eingedeckt. Renommierte Institute, wie der Internationale Währungsfonds oder die Weltbank oder auch Investmenthäuser, wie Goldman Sachs oder Morgan Stanley haben eine klare Meinung, wie es 2023 weitergehen wird. Darüber hinaus spielen auch Social-Media-Plattformen, wie LinkedIn oder Medienkonzerne, wie CNBC, Bloomberg oder Reuters in der Meinungsbildung eine wesentliche Rolle.
Ob es an meinem Kräutertee liegen mag – ja, ich lebe immer noch meine selbstauferlegte Espresso-Abstinenz – oder einfach an der unglaublichen Datenflut liegt, kann ich nicht beantworten. Aber irgendwie ist es verdammt schwierig, sich einen Überblick zu verschaffen. Und genau diese Problemstellung hat sich die „2023 Global Forecast Series“ zur Aufgabe gemacht. Im Rahmen einer umfassenden Datenanalyse wurden die wesentlichen Themen komprimiert zusammengefasst.
Beginnen wir mit der Wirtschaft. Für 2023 geht die Mehrheit davon aus, dass Chinas Wirtschaft ein Comeback feiert. Das Risiko einer globalen Rezession wird als hoch eingestuft. Die Mehrheit geht auch davon aus, dass die Inflationsraten zurückgehen und die Zinsen weiter ansteigen werden.
Von der geopolitischen Seite her wird davon ausgegangen, dass der Russland-Ukraine-Krieg auch 2023 nicht enden wird. Darüber hinaus werde die europäische Einheit auf die Probe gestellt, weil einige Länder mit einem sehr rauen wirtschaftlichen Gegenwind und einer abnehmenden Dynamik zu kämpfen haben werden.
Für die Kapitalmärkte scheint es ein erfreuliches Jahr zu werden. Die Prognostiker gehen mehrheitlich davon aus, dass viele Aktienmärkte heuer deutlich steigen werden und auch der Anleihenmarkt, der 2022 schwer unter die Räder gekommen ist, ein Comeback feiern wird. Besonders positiv wird die Lage für Schwellenländer eingeschätzt.
Von der technologischen Seite her geht der Trend immer mehr in Richtung künstliche Intelligenz. Und viele gehen auch davon aus, dass für TikTok oder auch andere Tech-Unternehmen der regulatorische Druck deutlich zunehmen wird.
Und in der letzten Kategorie „Everything Else“ gehen die Prognosen davon aus, dass Indien ein sehr starkes Jahr haben wird, die Arbeitskultur weiterhin in Richtung Flexibilität gehen wird und dass viele große Einzelhandelsketten Recyclingprogramme ins Leben rufen werden.
So schlecht dürfte das Jahr 2023 gar nicht werden, meinen Sie nicht auch?
Kommen wir zur EZB. Der Chefvolkswirt Philip Lane hat angedeutet, dass die Zentralbank vorerst auf dem im Juli 2022 begonnenen Zinsanhebungskurs bleiben werde. Aktuell liegen die Leitzinsen bei 2,5 Prozent. Wohin die Reise gehen wird, wollte Lane aber nicht verraten. Auch Frankreichs Notenbankchef Francois Villeroy schlägt in die gleiche Kerbe und geht davon aus, dass der Kampf gegen die hohen Inflationsraten noch nicht gewonnen ist. Die europäische Wirtschaft zeige sich robuster als erwartet und den Höhepunkt der Inflation erwarte er in den nächsten Monaten. Das nächste EZB-Meeting findet am 2. Februar statt. Villeroy zeigte sich ziemlich überrascht, dass in den Medien von einer Zinsanhebung von „nur“ 0,25 Prozentpunkten ausgegangen wird und verwies auf die Worte von EZB-Präsidentin Christine Lagarde bei der letzten Pressekonferenz im Dezember: „Wir sollten erwarten, dass die Zinsen für einige Zeit in einem Tempo von 0,50 Prozentpunkten angehoben werden. Und diese Worte sind heute immer noch gültig.“
Des Sparers Freud, des Kreditnehmers Leid! Ausgenommen sind nur jene, deren Kreditzinsen mit einem Fixzinssatz ausgestattet sind. Spannend finde ich auch, dass der Trend in Deutschland Richtung Aktien geht. Und das ausgerechnet im schwachen Börsenjahr 2022. In Summe ist jeder fünfte Deutsche am Aktienmarkt engagiert. Das sind um 830.000 Menschen mehr als im Jahr davor. Besonders populär sind Aktien bei 600.000 jungen Erwachsenen. Das sind immerhin um 40 Prozent mehr als 2021. Die hohen Inflationszahlen scheinen ihre Wirkung zu entfalten.
Für mich persönlich heißt es bald Abschied zu nehmen. Nein, keine Sorge, ich werde auch 2023 Woche für Woche mein Logbuch weiterschreiben. Die Zeit des Kräutertees ist morgen vorbei. Der Espresso erlebt ein Revival!
Samstag, 14. Jänner: Oder doch nur ein Wunschtraum?
Das Jahr 2023 ist erst wenige Tage alt und irgendwie habe ich das Gefühl, es unterscheidet sich diametral zu den Dezembertagen. Kommt es mir nur so vor, oder hat sich die Stimmung unter den Investoren doch deutlich verändert? Oder ist der Wunschtraum der Vater meines Gedankens? An der Börse gibt es ein ständiges Wechselspiel zwischen Gier und Angst.
Während ich meinen Kräutertee – ja, Sie haben richtig gelesen, ich bin immer noch in meiner „freiwilligen“ Abstinenzzeit – trinke, analysiere ich den "Fear & Greed Index". Dieser Indikator wird von CNN erstellt und hat sich das Ziel gesetzt, die Emotionen der Börsenteilnehmer zu erfassen. Der Index schwankt zwischen 0 und 100. Alles über 50 zeigt eine positive Stimmung an (Greed), alles unter 50 eine negative Stimmung (Fear) an. Aktuell liegen wir mit 55 Punkten knapp im positiven Bereich. Am 28. Dezember lag der Wert noch bei 32 Punkten – auf dem Börsenparkett herrschte Angst. Und Ende September sogar bei 18 Punkten. Die Ampel hat anscheinend einmal auf grün geschaltet.
Machen wir einen Schwenk zur Volkswirtschaft. Vor kurzem hat mich Gerald, ein befreundeter Versicherungsmanager, darauf aufmerksam gemacht, dass Österreich 2022 laut Einschätzung des Internationalen Währungsfonds (IWF) mit 4,7 Prozent ein größeres Wirtschaftswachstum aufweist als der jahrzehntelange Wachstumskaiser China mit „nur“ 3,2 Prozent. Die Zahlen für Österreich werden auch vom WIFO bzw. dem IHS bestätigt. Für das starke Wachstum sind vor allem Sonderfaktoren wie eine starke Erholung des Dienstleistungssektors sowie eine positive Entwicklung der Industrieproduktion in den ersten Monaten verantwortlich.
2023 verkehrt sich das Bild aber wieder. Während Österreichs Wirtschaftsdynamik deutlich einbricht – laut IWF sprechen wir von 1,0 Prozent - nimmt Chinas Wirtschaft bereits wieder Fahrt auf. Für 2023 wird ein Wachstum von 4,4 Prozent prognostiziert, was wiederum deutlich über anderen großen Ländern wie den USA (1,0 Prozent) oder Deutschland (-0,3 Prozent) liegt. Der Traum Chinas, die USA bald als größte Volkswirtschaft der Welt abzulösen, dürfte wohl in wenigen Jahren in Erfüllung gehen.
Apropos USA. Die Sparquote der Haushalte liegt aktuell bei 2,2 Prozent und damit auf den tiefsten Stand seit 2005. Die hohen Inflationsraten, steigende Zinsen und damit höhere Kreditkosten scheinen eine Delle in das Haushaltsbudget vieler Amerikaner geschlagen zu haben. Im 50-Jahres-Durchschnitt lag die Sparquote immerhin bei 7,9 Prozent. Der US-Konsument ist für rund zwei Drittel der Wirtschaftsleistung verantwortlich. Insofern ist es wenig verwunderlich, dass einige Analysten bereits vor einer anstehenden Rezession warnen. Einige „Investoren“ gehen bereits Wetten ein, dass die amerikanische Notenbank aus Angst vor einem Wirtschaftseinbruch den Fuß vom Gas nehmen wird und den Zinsanhebungszyklus deutlich verlangsamen wird.
Die rasant steigenden Zinsen haben zu deutlichen Verlusten bei Anleihen geführt. Die vermeintlich krisensichere Assetklasse erlebte 2022 ein Horrorjahr. Laut einer Studie von Professor Edward McQuarrie von der Sana Clara University war es für US-Anleiheninvestoren sogar das schlechteste Jahr aller Zeiten. Das will was heißen, denn seine Analysen gehen 250 Jahre zurück. Langlaufende US-Staatsanleihen verloren 2022 mit minus 29,3 Prozent mehr als der amerikanische Aktienmarkt mit minus 18,1 Prozent. Das bisher zweitschlechteste Jahr war 1980 mit minus 17,1 Prozent. Und daran können sich dich wenigsten Börsianer erinnern. Selbst ich als heutiger Silberfuchs war damals noch ein Dreikäsehoch!
Samstag, 7. Jänner: Die Uhren werden auf Null gestellt
Neues Jahr, neues Glück? Das werden wir nach wenigen Tagen im Jahr definitiv noch nicht beantworten können. Eines ist aber klar, die Uhren werden auf Null gestellt und das dicke Minus des Jahres 2022 gerät schön langsam wieder in Vergessenheit. Das Kalenderjahrdenken scheint uns von klein auf anerzogen worden zu sein. Auf der anderen Seite ist es auch gut so. Der MSCI All-Country World Index hat 2022 immerhin das schlechteste Jahr seit der Finanzkrise und Lehman-Pleite im Jahr 2008 erlebt.
Werfen wir einen Blick auf die Finanzmärkte. Der US-Arbeitsmarkt hat sich 2022 als widerstandsfähiger Stabilisator der Wirtschaft herausgestellt. Diese hatte ohnehin mit der hohen Inflation genug zu kämpfen. Im November lag die Arbeitslosenquote bei lediglich 3,7 Prozent und damit nur knapp über dem Tiefststand eines halben Jahrhunderts, den wir Anfang 2022 gesehen haben. In der Eurozone liegt die Arbeitslosenrate mit 6,5 Prozent zwar etwas darüber, allerdings auch auf dem niedrigsten Niveau seit der Euro-Einführung.
Der wirtschaftliche Ausblick bleibt für 2023 aber getrübt. In vielen Ländern wird mit einem deutlichen Wirtschaftsabschwung, in manchen sogar mit einer Rezession gerechnet.
Kommen wir noch zur amerikanischen Notenbank, die diese Woche die Wall Street durch eine anhaltend aggressive Rhetorik unter Druck setzte. Für die Sitzungen im Februar und März wird von einigen bereits mit einer weiteren Anhebung der Leitzinsen um jeweils 0,50 Prozentpunkten gerechnet.
Neues gibt es auch vom FTX-Gründer Sam Bankman-Fried zu berichten, der vor Gericht auf unschuldig plädiert. Der Gründer der insolventen Kryptobörse ist unter anderem wegen Betrugs, Geldwäsche und anderer Straftaten angeklagt. Besonders schwer wiegt der Verdacht, 1,8 Milliarden US-Dollar an Kundengeldern veruntreut zu haben. So wird dem 30-jährigen vorgeworfen, riesige Summen von Anlegern von seiner Plattform abgezweigt zu haben und damit Luxusimmobilien gekauft, Spenden an Politiker getätigt oder andere hochriskante Finanzgeschäfte abgewickelt zu haben. Die Börsenaufsicht auf den Bahamas gab diese Woche bekannt, dass sie Kryptowährungen in der Höhe von mehr als 3,5 Milliarden US-Dollar beschlagnahmt habe und diese Gelder für geschädigte Kunden und Gläubiger bereitgehalten werden. Die Frage stellt sich nun, ob es überhaupt genügend Käufer für eine derart hohe Transaktionssumme gibt und ob bzw. wie die Aufsicht das überhaupt zu Geld machen kann. Bei einer Verurteilung drohen ihm bis zu 115 Jahre Gefängnis. SBF – so wurde Sam Bankman-Fried jahrelang beinahe liebevoll in der Kryptobranche genannt, gab an, nur noch über ein Vermögen von 100.000 US-Dollar zu verfügen. Vor der FTX-Pleite gehörte er mit einem geschätzten Vermögen von 26 Milliarden US-Dollar zu den reichsten Menschen der Welt.
Für einen kam es aber noch schlimmer. Elon Musk besaß vor einem Jahr noch geschätzte 270 Milliarden US-Dollar. Aktuell sind es „nur“ mehr 126 Milliarden US-Dollar. Damit ist sein Vermögen innerhalb eines Jahres um unglaubliche 144 Milliarden US-Dollar geschrumpft. Und der 2022 eingeschlagene Abwärtstrend geht für Elon Musk auch 2023 weiter. Bereits in den ersten Tagen des Jahres hat er mehr als zehn Milliarden US-Dollar verloren.
Wagen wir noch einen Blick in die Ferne. 2022 hat der amerikanische S&P 500 knapp ein Fünftel seines Wertes eingebüßt. In den letzten 50 Jahren kam es nur zweimal vor, dass der Index zwei Jahre in Folge eine negative Performance erleiden musste. Einmal war das in den 1970ern, einmal nach dem Platzen der Internetblase in den Jahren 2000 – 2003. Ich hoffe für Investoren, dass es bei diesen beiden Ausnahmen bleibt und 2023 ein positives Ende nimmt. Apropos Trend: Es ist hart, aber ich halte mich nach wie vor strikt an meinen selbstauferlegten Espresso-Verzicht. Im Gegensatz zu anderen Themenfeldern ist aber hier eine Prognose nicht allzu schwierig und muss auch nicht nebulös in einen Wortschwall verpackt werden. Wie auch die Jahre davor wird sich spätestens ab Mitte Jänner jeden Morgen ein wohliger Kaffeegeruch in unserer Wohnung ausbreiten. Der Trend der koffeinlosen Zeit und der fallenden Börsenkurse wird mit Sicherheit gebrochen. Die Frage ist nur: Wann?!
Samstag, 31. Dezember: Zeit für die Neuausrichtung
Heute ist es soweit. 2022 neigt sich unwiderruflich dem Ende zu. Für mich persönlich ist es nicht nur der letzte Tag des Jahres, sondern auch jener Tag, bevor ich meinen Espressokonsum auf Null herunterfahre. All jene, denen mein Gemütszustand Sorgen bereitet, kann ich beruhigend hinzufügen, dass meine Abstinenz nur ein paar Tage andauert. Der Jahreswechsel ist für mich eine Zeit der Neukalibrierung und der Neuausrichtung. Und da gehört der Koffeinverzicht für mich dazu. Auch an den Finanzmärkten sehnen wir uns nach einer Neuausrichtung. Ab nächster Woche wird die Performance auf Null gestellt. Nach dem herausfordernden und historisch herausragenden Jahr wird es aber auch Zeit.
2022 hat alles von uns abverlangt. Nahezu alle Asset-Klassen weisen eine deutlich negative Wertentwicklung auf. Und genau das macht 2022 zu einem außergewöhnlichen Jahr. In der Vergangenheit hat mir die Diversifikation – also die Verteilung auf mehrere Vermögensklassen – wertvolle Dienste erwiesen. Nicht so 2022!
Auch vermeintlich sichere Wertpapiere, wie z.B. österreichische oder deutsche Staatsanleihen mussten zum Teil herbe Verluste hinnehmen. Je länger die Laufzeit, desto größer war der Verlust. Eine österreichische Staatsanleihe mit einer knapp 100-jährigen Laufzeit musste 2022 Kursverluste von 55 Prozent hinnehmen. Der Kurs einer 10-jährigen Staatsanleihe ist immerhin um 22 Prozent zurückgegangen. Ich bin seit gut 25 Jahren in der Finanzbranche tätig, aber so etwas habe ich noch nicht erlebt.
Die Phase der Null- oder Negativzinsen ist definitiv vorbei. Im Jahr 2014 sind die Anleihenrenditen in einigen Ländern das erste Mal in den negativen Bereich geschlittert. Im Jahr 2020 haben Anleihen im Gegenwert von über 18 Billionen US-Dollar eine negative Rendite und damit eine negative Ertragserwartung ausgewiesen. Als Investor war damit klar, das man am Ende des Tages weniger herausbekommt als man eingezahlt hat. Laut Lehrbuch ein unvorstellbares Szenario. Aber auch ein Indiz dafür, dass in diesen Tagen selbst Unvorstellbares Realität werden kann. All jene, die das mit Skepsis betrachten, kann ich beruhigen. Die Zeit der Negativ-Renditen scheint endgültig vorbei.
Nach den Zinsanstiegen in den letzten Monaten ist das Volumen der Anleihen mit einer negativen Rendite auf defacto Null gesunken. Für Investoren, die bereits seit längerem in Anleihen investiert sind, ist das natürlich ein schwacher Trost. Wenn wir einen Blick in die Zukunft wagen, haben sich die Rahmenbedingungen im Vergleich zum Vorjahr doch deutlich verbessert. Immerhin gibt es jetzt schon positive Renditen, die aber immer noch deutlich unter der aktuellen Inflationsrate liegen. Damit hat der Investor real Geld verloren, aber zumindest sind sie positiv! Im Gegensatz zu den Anleihen war der Kursrückgang für die Aktienmärkte 2022 durchaus im Rahmen. Ein klassischer Bärenmarkt beginnt ja schließlich erst bei einem Rückgang von zumindest 25 Prozent. Auffallend aber war, dass einstige Highflyer zu Verlierern geworden sind.
Gerade der Technologiesektor ist 2022 gewaltig unter die Räder gekommen. Als Sinnbild dafür möchte ich Tesla heranziehen. Zu Beginn des Jahres war das Unternehmen an der Börse noch mit 1,2 Billionen US-Dollar bewertet. Ein Jahr danach liegt der Börsenwert bei „nur“ mehr 355 Milliarden Dollar. Das entspricht immerhin einem satten Minus von gerundeten 70 Prozent! Im Gegensatz dazu konnten bereits totgesagte Energie-Unternehmen eine beeindruckende Performance aufweisen und damit andere Marktsektoren deutlich übertrumpfen. Es muss aber auch festgehalten werden, dass langfristige Investoren trotz der Kurs-Rallye im letzten Jahr bei längerer Betrachtungsdauer kein Geld verdient haben. Aber das ist eine andere Geschichte.
Was erwartet uns 2023? Das ist wohl die Frage aller Fragen. Bevor ich Ihnen meine subjektive Einschätzung darlege, möchte ich der Form halber festhalten, dass niemand die Zukunft seriös vorhersagen kann. Insofern bitte ich Sie, meine Ausführungen als Status-Quo Einschätzung zu betrachten. Ich persönlich gehe davon aus, dass wir im kommenden Jahr eine abnehmende Wirtschaftsdynamik erleben werden. Der Konjunkturmotor stottert und weitere Zinsanhebungen der großen Notenbanken werden diesen Trend noch verschärfen. In Laufe des Jahres wird sich die Lage auf der Inflationsfront aber deutlich entschärfen und damit für positive Impulse sorgen. Aktienseitig sind die Bewertungen im historischen Vergleich im „Normal-Bereich“ – also weder als extrem teuer noch als extrem billig zu bewerten. Nachdem bereits viel Negatives in den Kursen eingepreist ist und ich davon ausgehe, dass sich ein Silberstreif am Horizont abzeichnet, sehe ich 2023 durchaus optimistisch entgegen. Ich gehe nicht davon aus, dass wir ein fulminantes Kursfeuerwerk erleben werden, aber eine deutlich positive Performance würde mich nicht überraschen.
Und auch für Anleiheninvestoren blicke ich optimistisch in das Jahr 2023. Immerhin haben wir schon positive Renditen. Und auch für mich persönlich ist angerichtet. Spätestens Mitte Jänner ist meine Kaffee-Abstinenz wieder Geschichte und ich werde wieder genussvoll meiner Espresso-Leidenschaft frönen. Und eines können Sie mir glauben. Im Gegensatz zu den anderen Prognosen wird diese mit 100-prozentiger Sicherheit aufgehen.
Insofern bleibt mir nur noch Ihnen einen entspannten Jahresausklang und alles Gute für 2023 zu wünschen. Prosit Neujahr!