Außenminister Alexander Schallenberg hat am Mittwochabend (Ortszeit) bei der UN-Generaldebatte in New York die von der EU wegen des Angriffs auf die Ukraine verhängten Wirtschaftssanktionen verteidigt. Es werde versucht, das Narrativ zu verbreiten, dass die aktuelle Krise in Bezug auf Lebensmittel, Energie und Finanzen mit diesen Sanktionen zusammenhängen würden, sagte Schallenberg bei seiner Rede vor der Vollversammlung und stellte in Folge klar: "Das ist einfach falsch!"

"Es gibt keine EU-Sanktionen für die Ausfuhr von Getreide, Ölsaaten oder anderen Nahrungsmitteln, für Düngemittel oder Gas in Drittländer", betonte der ÖVP-Außenminister laut Redetext. "Stattdessen setzt die Russische Föderation Lebensmittel und Energie auf zynische Weise als Waffe ein." Russlands Präsident Wladimir Putin stoße "Millionen von bedürftigen Menschen auf der ganzen Welt in Armut, Hunger und Schulden". Mittlerweile seien laut der "UN Global Crisis Response Group" bereits 1,7 Milliarden Menschen auf der ganzen Welt betroffen.

Kein "europäischer Krieg"

Der Konflikt in der Ukraine trage sich zwar in Europa zu, es handle sich aber um keinen "europäischen Krieg", unterstrich Schallenberg seine Position. Es sei aber auch "kein Konflikt von Ost gegen West oder Nord gegen Süd", argumentierte der Außenminister. "Die Trennungslinie verläuft zwischen der Rechtsstaatlichkeit und dem Gesetz des Dschungels."

Putin setze explizite "nukleare Erpressung" und "gefälschte 'Volksabstimmungen'" ein und verstoße damit eindeutig gegen das Völkerrecht. Dieses gelte aber "für alle", erklärte Schallenberg, "unabhängig vom geografischen, religiösen oder ethnischen Kontext." Zudem handle es sich um einen "eklatanten und vorsätzlichen Verstoß gegen die Gründungscharta der Vereinten Nationen", betonte der Außenminister. In dieser Charta habe sich jeder einzelne Staat verpflichtet, "internationale Streitigkeiten mit friedlichen Mitteln beizulegen" und "sich der Androhung von Gewalt gegen die territoriale Unversehrtheit oder politische Unabhängigkeit eines Staates zu enthalten".

Zudem sei dieser Verstoß "nicht von irgendeinem Staat" begangen worden, erinnerte Schallenberg, sondern von einem ständigen Mitglied des UNO-Sicherheitsrats, "dem Organ, das für die Wahrung der Charta und des internationalen Friedens und der Sicherheit zuständig ist."

Damit würden die Grundlagen "unserer Sicherheit und Stabilität in Frage gestellt", betonte der Außenminister. "Plötzlich befinden wir uns in einer Welt, in der die Rechtsstaatlichkeit durch das Gesetz des Dschungels ersetzt wird." Eine solche Welt stelle "eine fundamentale Bedrohung für uns alle dar, insbesondere für kleinere Länder wie Österreich".

"Dieser Angriffskrieg gegen die Ukraine hat mehrere Illusionen zerstört", sagte Schallenberg: "Die Illusion, dass die Sicherheitsarchitektur, die wir nach dem Fall des Eisernen Vorhangs geschaffen hatten, weiterhin eine Friedensdividende zahlen und Stabilität und Wohlstand garantieren würde. Zudem habe es den Glauben gegeben, "dass das europäische Friedensprojekt Kriege auf unserem Kontinent verhindern würde und dass Krisen und Spannungen letztlich mit friedlichen Mitteln, durch Dialog und Diplomatie, gelöst werden können."

"Der Angriff Russlands war wie ein geopolitischer Kübel voller Eis, der uns ins Gesicht geschleudert wurde", formulierte Schallenberg plastisch, "er riss uns brutal aus unseren Tagträumen von einem post-historischen, post-nationalen Europa."

Russland wolle seine neoimperialistische Rechnung mit "Bomben und Bajonetten" begleichen, setzte Schallenberg fort, "indem es Zivilisten ins Visier nimmt und Gräueltaten verübt, die nach dem humanitären Völkerrecht als Kriegsverbrechen eingestuft werden können." Diese "Bomben und Bajonette" würden auch auf "die schwächsten Länder der Welt" zielen, stellte der Außenminister fest. "Sie stürzen sie in eine dreifache Krise, in der es an Nahrungsmitteln, Energie und Finanzmitteln mangelt."

Die Rede, in der Putin am Mittwoch eine Teilmobilmachung der russischen Bevölkerung angekündigt hatte, mache deutlich, "dass dieser Konflikt nicht so bald zu Ende sein wird", bedauerte der Außenminister. Umgehend gab er sich aber kämpferisch: "Wir sollten nicht in Angst, Selbstzweifel und Defätismus verfallen. Seien wir unerschütterlich und bereit, unsere Werte zu verteidigen."

Sanktionen gegen Russland werden verschärft

Die Außenminister der 27 EU-Mitgliedsstaaten hatten sich am Rand der UN-Vollversammlung in New York am späten Mittwochabend als Reaktion auf die von Putin verkündete Teilmobilmachung in Russland darauf geeinigt, ihre Sanktionen gegen Russland zu verschärfen. Konkrete Details wurden aber nicht genannt. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sagte, die Staaten hätten die politische Entscheidung getroffen, neue sektorspezifische und individuelle Maßnahmen zu ergreifen. Außerdem werde die EU die Ukraine weiterhin mit mehr Waffen unterstützen. Allerdings gab es sofort Widerspruch aus Ungarn. Ministerpräsident Viktor Orbán forderte die Aufhebung der EU-Sanktionen bis Ende des Jahres.

Schallenberg verwies in der "ZiB 2" des ORF-Fernsehens von Mittwochabend (MESZ) auf die bisherigen EU-Sanktionspakete: "Woran man jetzt denken könnte, sind Lückenschließungen und Präzisierungen." Zu weiteren Schritten, "etwa im Energiebereich, vor allem im Gas", werde es ein "klares 'Nein' geben", bekräftigte Schallenberg die bisherige Linie Österreichs.