Was Gäste aus einem fernen Kontinent denken, die es zu Elfriede Jelineks „Rechnitz (Der Würgeengel)“ in die Josefstadt verschlägt? Vermutlich wären sie ratlos. Wer nie etwas vom Massaker an über 180 jüdischen Zwangsarbeitern im burgenländischen Ort Rechnitz in den letzten Kriegstagen 1945 gehört hat, den wird die Inszenierung eher verwirrt zurücklassen.
Das liegt zunächst an Elfriede Jelineks Text. Er kommentiert in bohrenden Schleifen die Mordlust der besoffenen Menschenjagdgesellschaft auf dem Schloss der Gräfin Margit Batthyány und das allgemeine Schweigen darüber nach dem Krieg. Jelineks Zeitsprünge, Kalauer, Wortspiele und komplexen geschichtsphilosophischen Exkurse eigenen sich wenig für die Bühne. Ihrem großen Monolog Dramenstruktur zu verpassen, überlässt die Autorin den Deutenden. Regisseurin Anna Bergmann entschied sich für radikale Enthistorisierung. Nicht einmal ein Hakenkreuz kommt vor, die schießwütigen NS-Bonzen tragen Armbinden mit einem Fantasieemblem. Wenn nicht gelegentlich ein rechter Arm hochschnellte, das Morden könnte jederzeit stattgefunden haben.
Ehe das Spiel beginnt, lässt Bergmann die bizarren Figuren, denen sie die drastisch gekürzten Textfragmente Jelineks anvertraut, auf der Drehbühne vorbeiziehen: Jäger, Bedienstete, Hochadel und Parteibonzen, lüstern und brutal. Den ganzen Abend begleitet die Musik aus der deutschen Nationaloper „Der Freischütz“ in der gewagten Adaptierung von Moritz Nahold und Heiko Schnurpel. Die Verbindung der Schauerromantik Carl Maria von Webers mit dem makabren Geschehen in der Mordnacht zählt zu den stärksten Momenten des Abends.
Dem Team verlangt diese grelle Travestie viel ab. Ohne die vielfachbegabte Sona MacDonald fehlte ihm der Halt, die Mitte. Mit ihrer Gesangskunst formt Agathes Lied aus der Oper ebenso zum abgründigen Kommentar zu den Lustmorden wie das traditionelle Totengebet der Juden, das ihr Bergmann anvertraut. Um sie herum groteske Mörder und Schönredner in wechselnden Rollen: Michaela Klamminger, Elfriede Schüsseleder, Tamim Fattal, Dominic Oley, Oliver Rosskopf und Götz Schulte. Gesonderte Erwähnung gebührt Robert Joseph Bartl für seine schauderbar nette Darstellung eines Jägers und eines österreichischen Nachkriegspolitikers – der Qualtinger ist da nicht weit. Anhaltender Applaus für einen ungemütlichen Abend.
Kritik Theater in der Josefstadt
Jelineks "Rechnitz" als groteske Menschenjagd

