Es waren elf Minuten, die die Filmwelt nachhaltig veränderten. Lieutenant Frank Bullitt und sein Ford Mustang lieferten sich eine beinharte Verfolgungsjagd mit den Bösewichten in den Straßen von San Francisco. „Bullitt“ war 1968 der erste Film, den Steve McQueens eigene Produktionsfirma Solar Productions für die Film- und Fernsehgesellschaft Warner Bros. realisierte. Der Schauspieler hegte eine große Leidenschaft für Motorräder und für leistungsstarke Autos und hatte es sich zum Ziel gesetzt, die Zuschauer mit möglichst realen Actionszenen zu begeistern.

In „Bullitt“ gelang ihm das auf besonders eindrucksvolle Weise: Gemeinsam mit Regisseur Peter Yates schuf er einen packenden Polizei-Thriller, der nicht zuletzt wegen der packenden Verbrecherjagd, die in Echtzeit in der Öffentlichkeit gedreht wurde, diversen Stunts und Crash-Szenen in die Filmgeschichte einging. So etwas hatte das Publikum vorher noch nie gesehen.

Der 1968er Ford Mustang GT Fastback, der unter dem Spitznamen “Bullitt” zu Weltruhm gelangte, ist untrennbar mit dem Klassiker verbunden. Aber eigentlich waren es bei den Dreharbeiten sogar zwei: Der Mustang mit der Seriennummer 559, der seit 1974 im Besitz der Familie Kiernan ist, diente in „Bullitt“ als sogenanntes „Hero Car“. Mit ihm wurden insbesondere zahlreiche Nahaufnahmen mit Steve McQueen am Steuer gedreht. Darüber hinaus kam ein weiterer, identischer Ford Mustang GT Fastback als „Jump Car“ zum Einsatz. Dieser 558er-Mustang – benannt nach den Endziffern der Fahrgestellnummer 8R02S125558 – wurde für die Stunts entsprechend modifiziert.

Nach den Dreharbeiten verschwanden die automobilen Stars von der Bildfläche und galten lange Zeit als verschollen. Vier Jahrzehnte lang rankten sich um den Verbleib Mythen, Gerüchte und Vermutungen. Alle Recherchen endeten in einer Sackgasse. Fast unvermeidlich gewann diese Legende ein Eigenleben – das Filmauto wurde so etwas wie der Heilige Gral der Klassiker-Szene. Das „Jump Car” tauchte kürzlich in Mexiko auf und das “Hero Car” mit der Fahrgestellnummer 559 war mehr als 44 Jahre lang im Besitz der Familie Kiernan. Und das kam so.

„Das ,Hero Car‘ befindet sich heute ziemlich genau in dem Zustand, in dem es meine Eltern 1974 erworben haben“, erzählt der heutige Besitzer Sean Kiernan. „Sie entdeckten den Mustang in einer Kleinanzeige in der Oktober-Ausgabe der Zeitschrift ,Road & Track'. Darin hieß es: 1968 Bullitt-Mustang, im Film gefahren von McQueen. Mit Nachweis. Gegen Gebot. Der Verkäufer war ein Privatdetektiv aus New Jersey. Er erzählte, dass mein Vater Robert Kiernan der einzige Interessent blieb. Wir wissen nicht genau, was mein Dad damals bezahlt hat, aber der Preis lag wohl zwischen drei- und sechstausend Dollar, damals eine Menge Geld für einen gebrauchten 68er Mustang Fastback und nach meinen Recherchen gut das Vierfache des damals üblichen Marktpreises“, so Kiernan. Die Familie lebte in Madison im US-Bundesstaat New Jersey und verwendete den berühmten Mustang als Alltagsauto.

„Mein Dad pendelte täglich mit der Bahn bis zum World Trade Center, wo er für eine Versicherung arbeitete. Mom fuhr im Mustang zur St. Vincent-Gemeinde, in der sie Grundschulkinder unterrichtete. Sie bauten das Auto nie um, deshalb besitzt es immer noch die geraden Auspuffrohre, die den Gehweg erbeben lassen. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, was sich die Kids gedacht haben, wenn meine Mutter anrollte. Mom muss sehr cool gewirkt haben“, sinniert der heutige Besitzer.

Steve McQueen war 1968 Lieutenant Frank Bullitt
Steve McQueen war 1968 Lieutenant Frank Bullitt © KK

Am Wochenende verwandelte sich das „Hero Car“ aus der Traumfabrik in ein (fast) normales Familienauto. Die Kiernans unternahmen viele Ausflüge, häufig nach Maine und in das nördliche Umland von New York – und zwar mit vermutlich ohrenbetäubender Geräuschkulisse. Denn das gesamte Dämm-Material war für die Dreharbeiten entfernt worden, im Kofferraumboden klaffte ein großes Loch als Auslass für die Nebelmaschine. „Keine Ahnung, wie unser Gepäck ausgesehen hätte, wenn es bei unseren Ausflügen geregnet hätte“, sagt Sean Kiernan. „Erst kürzlich entdeckten wir, dass es Sicherheitsgurte für die Rückbank gibt – nur waren die mit Gaffer-Tape versteckt worden. Meine Schwester Kelly fuhr offenbar nie angeschnallt. Dad baute irgendwann Lautsprecher ein, die heute noch funktionieren. Dann hieß es: keine Klimaanlage, Fenster runter, Radio an.“

Die nächste Wendung nahm die Geschichte 1977, so Kiernan: „Steve McQueen höchstpersönlich rief meinen Dad an. Er hatte den Vorbesitzer ausfindig gemacht und von ihm unsere Nummer bekommen. Steve wollte das Auto kaufen. Er war ein Typ, der das Wort ‚Nein‘ nicht oft hörte – doch genau das antwortete mein Vater. ‚Nein danke, wir möchten den Mustang nicht verkaufen‘. McQueen schrieb uns daraufhin einen Brief, in dem er sein Interesse nochmals verdeutlichte. Ganz offen sagte er, er wolle das Auto zurückhaben und bot einen Deal an, der allerdings nicht ‚too much monies‘ kosten dürfe. Dad hat den Brief nie beantwortet, denn für ihn gehörte der Mustang zur Familie.“

Sean Kiernan kam 1981 auf die Welt, und etwa zu dieser Zeit wurde das Film- und Familienauto stillgelegt. Der Fastback hatte rund 46.000 Meilen – rund 74.000 Kilometer – auf dem Tacho. Seans Mutter entschied sich für einen deutlich alltagstauglicheren Plymouth Horizon – mit Sicherheitsgurten. „Dad war immer ein ‚Car Guy‘, aber in den 1980ern entdeckte er seine Leidenschaft für Pferde. Statt schneller Autos zählten für ihn jetzt vor allem vierbeinige Vollblüter“, erinnert sich Sean Kiernan. „Als wir auf eine Farm in Kentucky – nicht weit von Cincinnati in Ohio – umzogen, besaßen wir schon so viele Pferde, dass sie für uns alle zum Full-Time-Job wurden. Ich liebte Autos und Pferde gleichermaßen. Wir hatten immer irgendeinen coolen Untersatz. Als ich etwas älter war, erfuhr ich von der Geschichte unseres Mustang. Das Auto faszinierte mich. Ich setzte mich ans Steuer, und obwohl er nie ansprang, stellte ich mir vor, wie ich Tausende von Meilen damit fuhr. Dabei habe ich natürlich auch kräftig im Getriebe gerührt. Keine Ahnung, wie der Hurst-Schalthebel diese Behandlung überlebt hat.“

Nach Steve McQueens Tod im Jahr 1980 nahm die Suche nach dem „Bullitt“-Mustang richtig Fahrt auf. „Dad wollte das Auto nicht zum Verkauf anbieten, nahm sich aber auch nicht die Muße, daran zu arbeiten. So wurde es mit der Zeit so etwas wie ein Familiengeheimnis“, erklärt Sean Kiernan. „Mein Vater war ein vielbeschäftigter Manager im Pferde-Rennsport, aber den Stolz über seinen seltenen Besitz genoss er ganz im Stillen. 1995 zogen wir auf eine kleinere Farm in der Nähe von Nashville um. Ein paar Jahre später setzte sich mein Dad zur Ruhe. Ich arbeitete mittlerweile in einer Autolackiererei. In den späten 1990er-Jahren sprachen Dad und ich erstmals über eine Restaurierung.

Robert Kiernan begann, sein Kleinod zu zerlegen, bis der Mustang in Einzelteilen die gesamte Doppelgarage füllte. Dummerweise stand „nebenbei“ weiterhin die Bewirtschaftung der Farm an. Doch gerade als Vater und Sohn das Projekt richtig angehen wollten, schlug das Schicksal zu: Robert erkrankte an Parkinson. „Wir redeten zwar viel über Autos, aber praktisch ging nichts weiter“, bedauert Sean. 2014 verstarb sein Vater. „In den vergangenen zwei Jahren habe ich allein daran gearbeitet, den Mustang wieder in seinen früheren Zustand zu versetzen. Der Motor wurde neu aufgebaut, die alten Teppiche ersetzt, und ein neues Lenkrad eingebaut, das genau der Filmversion entspricht. Ansonsten habe ich die Gebrauchsspuren unserer Familie und die Patina der jahrelangen Standzeit erhalten.“

Auch auf eine neue Lackierung verzichtete Sean Kiernan. Viele Fans wünschen sich, die Nummer 559 würde im Hochglanz-Finish auftreten: „Doch der Lack glänzte nie“, unterstreicht Sean. „Für den Film entfernten die Requisiteure alle Logos und Schriftzüge, den Lack bearbeiteten sie mit Scheuerschwämmen, damit er möglichst matt wirkt. Nach Ende der Dreharbeiten erhielt die Karosserie eine dicke Schicht Füller, um die Schäden zu verdecken, und eine einzige Lackschicht im typischen ‚Highland Green‘.“

Die gesamte Ausstattung – Sitze, Verkleidungen, der „gelochte“ Kofferraum und sogar die Kamera-Halterungen – blieb bei der behutsamen Restaurierung unverändert und entspricht genau dem Zustand während der Dreharbeiten. Mit winzigen Ausnahmen, wie Sean Kiernan weiß: „Die Jungs, die das ‚Hero Car‘ für den Verkauf vorbereiteten, setzten die Antenne wieder auf dem rechten Vorderkotflügel ein und tauschten den runden Außenspiegel gegen das viereckige Serienteil aus. Den Hurst-Schalthebel hat der Vorbesitzer eingebaut und wir haben es dabei belassen.“

Der vordere Stoßfänger und die Frontschürze sind Neuteile – die Originale hatte Seans Großvater in den 1970ern beim Zurücksetzen in der Kiernan’schen Auffahrt demoliert. Sie erhielten keine künstliche Patina und sind eindeutig als Ersatzteile zu identifizieren. „Das Auto ist ehrlich, und so wollte ich es auch haben“, sagt Sean Kiernan und betont: „Es ist keine Profi-Restaurierung, ich habe alle Arbeiten selbst vorgenommen. Als Hommage an meinen Vater und an unser langjähriges Familiengeheimnis.“

In den vergangenen 18 Monaten begutachteten zahlreiche Experten das Fahrzeug. Kevin Marti bestätigte als Erster, dass es sich tatsächlich um das „Hero Car“ mit der Seriennummer 559 aus „Bullitt“ handelt. Daraufhin nahm Sean Kiernan Kontakt zur Historic Vehicle Association in Washington, D.C., auf. Die Klassiker-Spezialisten kümmerten sich um Authentifizierung, Dokumentation und Konservierung des Fahrzeugs und der zugehörigen Sammlerstücke. Akribisch fotografierten und scannten sie den Fund und dokumentierten ihn für das National Historic Vehicle Register, unterstützt von Mitarbeitern des beim US-Innenministerium geführten Verzeichnisses für amerikanisches Technik-Erbe (Historic American Engineering Record).

Alle Dokumente werden in der berühmten US-Kongress-Bibliothek archiviert – der ‚Bullitt‘-Mustang ist erst das 21. Fahrzeug, dem diese Ehre zuteil wird. Die Historic Vehicle Association (HVA) ließ zudem eine TV-Dokumentation über die einzigartige Geschichte des Filmautos drehen, die noch 2018 ausgestrahlt werden soll.