Es geht um Klartext, wenn Daimler-Vertriebsvorständin Britta Seeger das Wort ergreift: „Wir wollen ja nie reagieren als Unternehmen, sonst bist du schon auf der Verliererstraßen, wir wollen agieren.“ Britta Seeger, Mutter von Drillingen, hat, so nennt man das wohl, eine Bilderbuchkarriere bei Daimler hingelegt. Sie stieg direkt nach der Matura ins Unternehmen ein, und ist seit 2017 Vorstandsmitglied der Daimler AG. Sie gilt als Teamplayerin, aber durchsetzungsstark. Ihre Agenda wird das Bild vom Auto, wie wir es kaufen, wie wir es nutzen, grundlegend verändern.

Der unlängst vom Konzern veröffentlichte Leitbegriff „Electric only“ ist ja nur ein Teil der Revolution bei Mercedes, jener Marke, die für sich einnimmt, Erfinder des Automobils zu sein. Das Mercedes-Geschäft wird ja aktuell auf elektrisches Fahren ausgerichtet. 2025 sollen rund 50 Prozent der Neuverkäufe mit vollelektrischen oder Plug-in-Autos erfolgen – doppelt so viel wie bisher geplant. Bis zum Ende des Jahrzehnts will man gar „vollelektrisch“ werden und eine eigene Batterie-Zellproduktion aufbauen: acht Gigafabriken mit einer Gesamtkapazität von mehr als 200 Gigawattstunden.

Britta Seegers Vision geht aber noch weiter, auf nur scheinbaren Nebenschauplätzen: Bis 2025 sollen 25 Prozent der Autos online gekauft werden. Der Vertrieb, also der Autokauf, wird überhaupt auf den Kopf gestellt. Mercedes rollt Abo-Modelle für Autos in Europa aus, vor allem im Elektro-Markt sind sie ein wichtiger Trigger. Kunden wollen ausprobieren, ob sie und die E-Mobilität überhaupt zusammen passen.

Dazu kommen Services, die das Auto selbst zum Geschäftsmodell machen. Beim neuen Elektro-Luxusliner EQS kann etwa die Hinterachslenkung (10 Grad) per App frei geschaltet werden, für das Jahresabo werden in Deutschland 489 Euro fällig. Immer mehr Funktionen können so temporär genutzt werden. Auch andere Automobil-Konzerne (Lichtoptionen etwa, mehr Boost für den E-Motor) verfolgen diesen Weg.

Mercedes führt dieser Weg bis hin zu den Services des Alltags: Von der Pizzabestellung aus dem Auto heraus (funktioniert in China schon) bis zum Bezahlen des Tankvorgangs im Auto. Man muss nicht einmal mehr in die Tankstelle, in Zeiten der Pandemie.

Das Auto soll also nicht nur bei Mercedes zu einem rollenden Handy und Multifunktionstool werden, genauso wie wir beim Handy Abos abschließen oder Apps kaufen. Die Verknüpfung dieser beiden Welten sollen die bisher als träge und alt geltenden Autokonzerne neu definieren. Und wenn deutsche Gemeinden anfragen, ob sie die Kameras der Mercedes-Fahrzeuge dafür nützen können, um den Zustand der Straßen der Kommunen zu überwachen, muss auch Seeger darüber entscheiden, wie viel Geschäftsmodell dem Kunden heute schon zumutbar ist. „Klar dürften wir diese Daten ohne Einverständnis unserer Kunden niemals weitergeben“, sagt Seeger.

Man hätte aber eine Bereitschaft der Kunden festgestellt, an dieser sogenannten Schwarmintelligenz – je mehr mitmachen, desto genauer die Daten – teilzunehmen. Weil auch sie davon profitieren: mehr Sicherheit, bessere Straßeninfos. Aber ohne Kunden-Einverständnis gebe es auch kein Geschäft, erklärte sie 2019 im Interview mit der Kleinen Zeitung. Heute sagt sie: „Unter dem Brennglas der Pandemie gibt es bei der Digitalisierung einen neuen Bewusstseinsfokus.“ Das belebe den Einstieg zur neuen Mobilität.

Aber auch der klassische Autoverkauf, so wie wir ihn heute kennen, steht vor einem grundlegenden Wandel. Daimler will auf den so genannten Direktvertrieb umgestellt, sprich: Der Händler vor Ort wickelt ab und macht den Service. Aber das Anbahnen des Geschäfts, die Kontakte, das alles läuft letztlich über Mercedes selbst. „Der Autohandel ist eine der letzten Branchen, in denen ich Kunden zwinge, dass sie das Geschäft besuchen, um einen Vertrag zu unterschreiben.“

Es habe keine gemeinschaftlichen Bestrebungen gegeben, das zu ändern, andere Branchen wie der Buchhandel könnten sich das längst nicht mehr leisten, der Wandel betreffe aber auch den Autoverkauf. Seeger: „Ich halte das deshalb für kein zukünftiges, nachhaltiges Geschäftsmodell.“

Die Konsequenzen der neuen Strategie? Preistransparenz, man zahlt beim Händler genauso viel wie online auf der Mercedes-Hompage. „Was wegfällt, sind die Nachlässe“ so Seeger. Also das Feilschen um Prozente. Dafür erhalte man absolute Verlässlichkeit und Transparenz bei der Preisgestaltung. Die Partnerschaft zum Händler sei trotzdem entscheidend: „Das macht uns ja auch als Marke stark. Es gibt nur eine andere Rollenverteilung“, so Seeger.

Sie habe zuletzt zum Beispiel die drei Studentenwohnungen ihrer Kinder ausschließlich online möbliert. Der Wandel in den Köpfen, so die Botschaft, sei längst im Gange oder vollzogen. Die Kundenfrequenzen in den Autohäusern seien ja erheblich gesunken, auch deshalb müsse man sich neu und online ausrichten – trotz der Rabattschlacht, die es auch im Luxussegment gibt.