Nicht nur Wissenschaftler wie Robert Schlögl vom Max-Planck-­Institut für Chemische Energiekonversion in Mühlheim fordern eine offene Diskussion, wie das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 in Europa auch im Verkehr erreicht werden kann. Er hält synthetische Kraftstoffe, von Wasserstoff bis zu synthetischem Diesel und Benzin, für wichtige Ergänzungen zum batterie­elektrischen Antrieb. Diese könnten langfristig auch in nötigen Mengen erzeugt werden, da sie sich hervorragend als Speicher von Strom eignen. Biomasse dagegen hält Schlögl für nur begrenzt verfügbar, da sie in Konkurrenz zur Lebensmittelproduktion stehe. Am wichtigsten sei es, so Schlögl, eine Energiewende einzuleiten, die innerhalb eines Jahrzehnts die Emissionen des Gesamtenergiesystems senke und die Abhängigkeit von den Erdölimporten stark reduziere. Das bedeutet, dass es kostengünstige Lösungen mit vorhandenen Komponenten braucht, damit sich in kurzer Zeit viele Kunden dafür entscheiden.

Doch um das Klimaziel zu erreichen, sind weitere große Schritte nötig. Ein Ansatz sind strombasierte synthetische Kraftstoffe, auch E-Fuels genannt, die aus Ökostrom und CO2 oder CO erzeugt werden. Ihr Plus: Sie sind meist flüssig und können die vorhandene Tank­infrastruktur sowie die herkömmlichen Verbrennungsmotoren nutzen. Außerdem sie sind im optimalen Fall CO2-neutral und verursachen deutlich weniger Schadstoffe als aktuelle Motoren. Und, so Eberhard Jacob von Bodman-Ludwigshafen beim Wiener Motorensymposium: Sie ermöglichen die Integration der Mobilität in nachhaltige Energiesysteme, was die EU mit dem „Green Deal“ anstrebt.

Regional können Biokraftstoffe zwar auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen, vor allem in Ländern mit unsicherer Stromversorgung, großem Biomasseangebot und geringer Kaufkraft der Kunden. In vielen Regionen der Welt können sich Staaten den Aufbau einer Stromlade- oder Wasserstoffinfrastruktur schlicht nicht leisten. Laut Schlögl wird vielfach auch die nötige Energiemenge für den Transport unterschätzt. 2017 war in der EU der Energieverbrauch des Transportbereichs deutlich höher als der Gesamtstromverbrauch.

Grundsätzlich wird seit Langem versucht, den Verbrauch von Benzin und Diesel im Pkw-Bereich zu senken. Die EU gilt weltweit als Vorreiterin in Sachen CO2-Reduktion bei Pkw und inzwischen auch bei Lkw. Der erste große Schritt war die Beimengung von sogenannten Biokraftstoffen zu Benzin und Diesel. Verschiedene Projekte zeigen, dass noch deutlich mehr möglich ist. VW etwa betreibt Werksfahrzeuge mit 33 Prozent „Ersatzdiesel“ (R33 von Shell). Der Test mit diesem synthetischen Diesel aus altem Frittieröl entspricht der Kraftstoffnorm und kann ohne Motorumrüstung dem fossilen Diesel beigemengt werden. Damit lassen sich laut VW mindestens 20 Prozent CO2 einsparen, allerdings nur, wenn die Herstellung dieses Kraftstoffs mitberücksichtigt wird („Well to Wheel“, von der Quelle bis zum Rad) und nicht bloß die Auspuffabgase. In der Schweiz ist dies anders als in der EU bereits der Fall.

Grüner Wasserstoff

Wenn es nur um den Wirkungsgrad geht, wäre es am vernünftigsten,bei der Umwandlung von Ökostrom zu grünem Wasserstoff zu bleiben, also beim ersten Schritt zu E-Kraftstoffen, so Schlögl. Viele Projekte bauen auch darauf, selbst in Kombination mit einem Verbrennungsmotor. Mit dabei sind das Institut für Verbrennungskraftmaschinen und Thermodynamik unter der Leitung von Helmut Eichlseder an der TU Graz und Bosch. Graz ist mit der TU sowie dem Institut ­HyCentA das Zentrum für die österreichische Wasser­­stoff­forschung. Die serienmäßige Umsetzung dieses Wasserstoffantriebs ginge laut Eichls­eder vergleichsweise rasch, in rund vier Jahren. „Die größere Schwierigkeit liegt in der Bereitstellung von grünem Wasserstoff“.

Die meiste Energie benötigt die Erzeugung von E-Fuels wie E-Diesel oder E-Benzin, die nach der Herstellung von grünem Wasserstoff weitere Umwandlungsschritte durchlaufen. Aber: Sie sind für Fahrzeuge leicht, kostengünstig und sicher zu speichern und zu tanken, anders als Wasserstoff. Sie bieten wie Wasserstoff die Chance, so Schlögl, das immer größere Dilemma des Stromtransports zu lösen. Das bisherige System mit Hochspannungsleitungen könne mit den Erfordernissen etwa schnell wachsender Wind­energieanlagen immer weniger mithalten. Genehmigung und Bau neuer Fernleitungen dauern Jahrzehnte, wie Beispiele in Salzburg oder in Deutschland zeigen. Gespeichert in E-Fuels ließe sich der Strom dagegen ohne neue Stromtrassen wie Erdöl transportieren.

Erdöl als Ressource ablösen

Für den Emissionsexperten Jacob haben synthetische und E-Kraftstoffe aus grünem Strom und recyceltem CO2 „das Potenzial, Erdöl als Ressource abzulösen“. Wird die Herstellung der Energie und der Fahrzeuge sowie das Recycling berücksichtigt, können E-Fuels bei CO2 besser abschneiden als batterieelektrische Antriebe. Die Preise von Diesel und Benzin aus Erdöl gelten, solange diese Kraftstoffe nicht verboten sind, als Maßstab. Da setzt der Erdöl-Preisverfall im Zuge der Coronakrise den E-Fuels zusätzlich zu. Darin sieht Jacob in der EU die größte Herausforderung. Asien könnte auch hier wie bei den Batteriezellen wieder wegen des Kostenvorteils Europa den Rang ablaufen. China stellt bereits großtechnisch synthetischen Diesel her.

Ein großer Kostenschnitt wäre möglich, wenn Solar- und Windstrom in dafür bevorzugten Regionen erzeugt würden: im Mittelmeer- und nordafrikanischen Raum. Dies bestätigt auch eine große deutsche Studie über klimaneutrales Fahren im Jahr 2050. In diesem südlichen Gebiet kann, so Jacob, Ökostrom um 2 Cent pro Kilowattstunde erzeugt werden und damit zu einem Bruchteil der Kosten von Windstrom etwa aus der Nordsee. Wird dieser Wüstenstrom vor Ort via Elektrolyse zu grünem Wasserstoff verarbeitet, ist er auch ohne Hochspannungsleitungen transportierbar.

An Importen von grüner Energie führt laut Schlögl und Jacob für die EU kein Weg vorbei. In Europa gibt es nur kleinere Versuchsanlagen. Eine wurde von Audi 2013 im deutschen Werlte vorgestellt, wo E-Gas via grünen Wasserstoff und abgespaltenes CO2 erzeugt wird. Audi arbeitet auch an Projekten, um flüssige E-Fuels zu erzeugen. Reiner Mangold, Leiter des Bereichs „Nachhaltige Produktentwicklung“ bei Audi: „Unser Engagement in diesem Bereich hängt davon ab, welche Signale die Politik in Bezug auf E-Fuels sendet.“ Das Engagement müsse sich rechnen. Aber auch Porsche hat sich zur E-Fuels-Entwicklung bekannt.

Weltweit größte Wasserstoff-Elektrolyse

Den Sprung in die milliardenteure Großserie wagt als Erster Shell. Der Ölmulti startet mit Partnern einen Mega-Windpark (NortH2) mit einer Leistung von drei bis vier Gigawatt bis 2030 und zehn Gigawatt bis 2040 in Groningen (NL). Dieser Windstrom ist für die Herstellung von grünem Wasserstoff gedacht. Dafür baut Shell Rheinland die laut eigener Aussage weltweit größte Wasserstoff-Elektrolyse, die pro Jahr 1300 Tonnen grünen Wasserstoff liefern soll. Heute wird der verwendete Wasserstoff zum Großteil aus Erdgas erzeugt, was deutlich billiger ist, aber CO2 verursacht. Mit dem Projekt NortH2 sollen bis 2040 sieben Megatonnen CO2 pro Jahr eingespart werden.

Shell testet zudem kostengünstige Varianten, CO2 aus Abgasen von Industrie- und Müllanlagen abzuspalten. Ein Versuch lief mit österreichischen Partnern in Wien beim Kraftwerk Simmering. Es gelang, mehr als 90 Prozent CO2 aus der Abluft zu holen. Solcherart „recyceltes“ CO2 lässt sich für die Produktion von E-Kraftstoffen einsetzen.

Trotz eindeutiger technischer Fortschritte bei der E-Fuels-Herstellung  gibt es eine große Hürde: „Unter den aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen gibt es keinen wirtschaftlichen Grund, in teure E-Fuel-Anlagen zu investieren“, so Ulrich Kramer von den Ford-Werken in einem Beitrag über „Zukünftige Kraftstoffe“ (Springer-Verlag). Solange in der EU nur Auspuffgase („tank to wheel“)  berücksichtigt werden, ändert sich nichts. Der neue Green Deal der EU könnte aber helfen. Ein Umdenken ist nötig, weil die Schere zwischen den geplanten und den tatsächlichen CO2-Einsparungen im Pkw- und Lkw-Verkehr immer weiter auseinandergeht.

Stefan Hartung, Geschäftsführer der Robert-Bosch- GmbH, ist überzeugt, dass nur zusammen mit E-Fuels die CO2-Ziele der EU für 2030 erreicht werden können. Die direkte Elektrifizierung brauche zu lange, vor allem im Schwerlastverkehr. „Das CO2-Senkungspotenzial erneuerbarer Kraftstoffe ist vergleichbar zum kompletten Effekt aus Digitalisierung und starker Verkehrsverlagerung sowohl im Personen- als auch im Güterverkehr“, so Hartung  beim Wiener Motorensymposium. Nachsatz: „Dieses Potenzial darf nicht ungenutzt bleiben.“

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