Die EU-Kommission zeigte sich alarmiert und prüft den Kartellverdacht. Experten zufolge drohen den Firmen neue Strafen in Milliardenhöhe - vom Imageschaden ganz zu schweigen.

Die Branche ist wegen der Manipulation von Abgaswerten ohnehin schon unter Druck. Die deutsche Bundesregierung verlangte von den Firmen, für mehr Transparenz zu sorgen. Die Politik steht aber selbst in der Kritik, zu nachsichtig mit der Autobranche umzugehen.

Dem deutschen Magazin "Der Spiegel" zufolge haben sich die fünf führenden Marken - VW, Audi, Porsche, BMW und Mercedes-Benz - seit den 90er-Jahren in geheimen Zirkeln über die Technik ihrer Fahrzeuge, über Kosten, Zulieferer, Märkte und Strategien abgesprochen. Der "Spiegel" beruft sich auf einen Schriftsatz, den VW bei den Wettbewerbsbehörden eingereicht haben soll. Dieser sei eine Art Selbstanzeige.

"Bereits Unterlagen beschlagnahmt"

Treffen die Vorwürfe zu, könnte es sich um eines der größten Kartelle der deutschen Wirtschaftsgeschichte handeln. Die EU-Kommission teilte mit, sie und das Bundeskartellamt hätten Informationen zu dem Fall erhalten und würden diesen nachgehen. Es sei aber noch zu früh, um weitere Angaben zu machen. Laut "Spiegel" hat die Kommission bei den beteiligten Unternehmen bereits Unterlagen beschlagnahmt und erste Zeugen befragt.

Experten wie Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach sprachen von einem "Supergau für die Glaubwürdigkeit" der Branche. Die Anschuldigungen kämen angesichts der Diskussion über Diesel-Fahrverbote in Städten, Nachrüstungen von Diesel-Fahrzeugen und rückläufigen Diesel-Neuzulassungen zur Unzeit. Er gab der Politik eine Mitschuld - wegen der "Kultur des Wegschauens". Die Bevölkerung habe den Eindruck, Gesundheitsinteressen würden geringer bewertet als die Interessen der Industrie. Ähnlich äußerte sich der deutsche Autobranchenexperte Ferdinand Dudenhöffer: Es sei in Deutschland alles getan worden, um die Autobranche und die Schlüsseltechnik Diesel zu schützen, sagte der Professor für Automobilwirtschaft an der Universität Duisburg-Essen dem MDR. "Und erreicht hat man genau das Gegenteil."

Der deutsche Verkehrsminister Alexander Dobrindt sagte, Absprachen wären eine zusätzliche Belastung für die Branche. "Die Kartellbehörden müssen ermitteln, die Vorwürfe detailliert untersuchen und gegebenenfalls notwendige Konsequenzen ziehen", so der CSU-Politiker. Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD) forderte Aufklärung, "ohne Ansehen von Personen oder Unternehmen". Es gehe um nicht weniger als die Glaubwürdigkeit der deutschen Automobilindustrie. "Alle sind gut beraten, jetzt umfassend mit den staatlichen Stellen zu kooperieren und für Transparenz zu sorgen. Die Zeit der Salamitaktik muss endgültig vorbei sein. Ohne umfassende Aufklärung kann Vertrauen nicht wiederhergestellt werden."

Großer Diesel-Gipfel in Berlin

Die Unternehmen mauerten allerdings. "Zu Spekulationen und Sachverhaltsvermutungen auf Grundlage der Spiegel-Berichterstattung äußern wir uns nicht", sagte etwa Volkswagen-Chef Matthias Müller in einem Interview der "Rheinischen Post". BMW teilte dem "Spiegel" mit, sich nicht an Spekulationen beteiligen zu wollen. Ähnlich äußerte sich Daimler. Der Autobauer hat dem Magazin zufolge ebenfalls eine Art Selbstanzeige eingereicht.

Anfang August treffen sich Politik und Industrie zum Diesel-Gipfel. VW-Chef Müller sagte, es sei bei angemessenen Vorlaufzeiten durchaus vorstellbar, dass es einen verbindlichen Termin für den Ausstieg aus dem Diesel-Antrieb geben könne, sollte die Branche im Gegenzug Unterstützung bei der Elektromobilität bekommen. "Wir sind darüber im Gespräch mit der Politik." Es brauche ansonsten eine verbesserte Infrastruktur. "Jeder weiß, dass die Zukunft elektrisch fährt." Beim Diesel-Gipfel müsse es eine Lösung auf Bundesebene geben, die für alle Kunden verbindlich sei.

Industriekommissarin Elzbieta Bienkowska schrieb in einem Brief an die Verkehrsminister der EU-Staaten, ein Zusammenbruch des Diesel-Marktes in Folge von Fahrverboten der Kommunen müsse verhindert werden. Das würde nur die Möglichkeiten der Unternehmen schmälern, in saubere Technologien zu investieren. Sollte es dennoch zu Fahrverboten kommen, müssten überall gleiche Regeln gelten.

Inzwischen denken immer mehr Auto-Hersteller laut über Alternativen zum Diesel nach. Nach Ansicht von Dobrindt wird es den Diesel als Übergangstechnologie aber noch viele Jahre geben. "Wir brauchen ihn auch, um die Klimaschutzziele bei der CO2-Einsparung zu erreichen", sagte er dem "Focus".

VW-Betriebsrat fordert rasche Aufsichtsratssitzung 

"Es muss sofort in der kommenden Woche eine außerordentliche Aufsichtsratssitzung geben", sagte ein Sprecher des Gremiums am Sonntag der Deutschen Presse-Agentur.

"Der Vorstand ist in der Pflicht, das Aufsichtsgremium umfassend zu informieren. Das ist bislang nicht geschehen." Auch gegenüber den Mitarbeitern sollten die Manager sich erklären.

Laut einem "Spiegel"-Bericht sollen sich VW, Audi, Porsche, BMW und Daimler über eine Dauer von vielen Jahren in einem gemeinsamen Kartell über Technik, Kosten und Zulieferer abgestimmt haben.

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) hatte bereits am Freitag Aufklärung verlangt. Er habe - wie auch Landeswirtschaftsminister Olaf Lies - aus Medien von den Vorwürfen erfahren. Weil und Lies sowie VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh sitzen im Aufsichtsrat des Konzerns.

BMW: Keine Absprache bei Diesel-Abgasreinigung 

Der deutsche Autohersteller BMW hat unterdessen Berichte über wettbewerbswidrige Absprachen im Bereich der Abgasreinigung von Dieselfahrzeugen zurückgewiesen. "Diskussionen mit anderen Herstellern über AdBlue-Behälter zielten aus Sicht der BMW Group auf den notwendigen Aufbau einer Betankungsinfrastruktur in Europa ab", erklärte der Münchner Autobauer am Sonntag.

"Wir suchen auch in der Abgasreinigung den Wettbewerb." Die von BMW eingesetzte Technologie unterscheide sich deutlich von anderen im Markt.

"Der Spiegel" hatte berichtetet, dass BMW, Volkswagen, Audi, Porsche, und Daimler sich über die Größe der Tanks für das Harnstoffgemisch AdBlue abgesprochen hätten. Es wird gebraucht, um Stickoxide zu neutralisieren. Aus Kostengründen hätten sich die Hersteller auf kleine Tanks verständigt. Doch diese reichten nicht mehr für strengere Abgaswerte aus, deshalb hätten die Unternehmen getrickst.

Den Vorwurf, dass aufgrund zu kleiner AdBlue-Behälter eine nicht ausreichende Abgasreinigung in Diesel-Fahrzeugen der aktuellen Norm Euro 6 erfolge, wies BMW zurück. Diese Fahrzeuge wiesen auch auf der Straße ein sehr gutes Emissionsverhalten auf. Deshalb erübrige sich für Euro-6-Diesel-Pkw ein Rückruf oder eine Nachrüstung. Bei den älteren Dieseln der Norm Euro 5 sei BMW bereit, ein freiwilliges und kostenloses Software-Upgrade durchzuführen, bekräftigte der Konzern.

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