Zwei arbeitsintensive Tage verbrachte WKÖ-Präsident Christoph Leitl im seit 2006 unabhängigen Montenegro, dessen Wirtschaftskammer ihr 90-Jahr-Jubiläum feierte. Als WKÖ-Präsident tritt Leitl am 18. Mai ab, als Chef der Europäischen Wirtschaftskammern (Eurochambres) bleibt er hingegen bis Ende 2019 im Amt.

Die Westbalkanstaaten wollen in die EU, fühlen sich von ihr aber vernachlässigt. Ist Ihr Besuch ein Zeichen an die Enttäuschten?
CHRISTOPH LEITL: Wir müssen uns um diesen Teil von Europa stärker annehmen. Die Türken sind hier, die Chinesen, die Russen und die Araber. Manchmal hat man den Eindruck, dass die Europäer nur zuschauen.

2025 wollen Montenegro, Serbien & Co. beitreten – realistisch?
Seitens der EU ist gesagt worden, 2025 ist möglich. Man muss sich aber hier schon beeilen. Es liegt an den Balkanländern, diese Ziellinie zu erreichen.

Zuvor waren Sie in der Türkei – dort wird Österreich, anders als hier in Montenegro, derzeit nicht gerade wertgeschätzt.
Das ist wie bei einem See. Politischer Wind verursacht hohe Wellen, der See darunter ist ruhig – das sind Wissenschaft, Kultur und Wirtschaft.

Österreichs Politik soll in der Türkei-Frage also nicht noch zusätzliche Wellen auslösen?
Ja, ich würde mir wünschen, dass die Politik politische Angelegenheiten regelt und nicht die Wirtschaft als Geisel nimmt.

Hat es denn Sinn, den Abbruch auf Eis gelegter Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu fordern, wie es Österreich macht?
Man sollte das überdenken. Wenn man jemandem eine Hoffnung nimmt, dann bewegt er sich zum Gegenteil. Das kann nicht im Sinne Europas sein.

Die Chinesen sind auf dem Balkan höchst aktiv, bauen in Montenegro gerade die Autobahn.
Das sollte ein Weckruf für uns alle sein. Wir leben in einer offenen Welt, wir müssen aber schauen, dass wir alle gleiche Bedingungen haben. China gegen Europa und die USA: Das wird das Dreiermatch der Zukunft. Ist Europa uneinig, wird es zum Match China–USA.

Am Donnerstag feiert die Europäische Wirtschaftskammer, deren Chef Sie sind, ihr 60-Jahr-Jubiläum. Wird das Ihre zentrale Botschaft sein?
Die Chinesen wollen bis 2049, dem 100-Jahr-Jubiläum der kommunistischen Revolution, die politisch, wirtschaftlich und militärisch stärkste Nation der Welt sein und damit beweisen, dass ihr System der Demokratie überlegen ist. Wir feiern 2049 das 100-Jahr-Jubiläum des Europarates und den Beginn der europäischen Einigung. Wir müssen zeigen, dass die Demokratie dem Staatsdirigismus Chinas überlegen ist.

Schaffen wir das?
Nicht so, wie wir es heute machen. Die Demokratie ist von der Bürokratie überwuchert und droht sie zu ersticken. Wenn es uns gelingt, die Demokratie effizient zu machen, haben wir beste Chancen, dass wir mit unserem Modell siegreich sind. Wir können uns dann aber Verschleppungen, wo findige Anwälte immer wieder neue Dinge hereinbringen wie Wachtelkönig und Fledermaushabitat, nicht mehr leisten.

Aber darf das dann auch auf Kosten der Bürgerrechte gehen?
Nein, natürlich nicht. Ich will die effiziente Demokratie: Verfahren so zu verdichten, dass sie rasch und rechtsgültig abgewickelt werden. Schaffen wir das, wird die Demokratie siegreich sein, sonst werden chinesische Systeme im Vorteil sein. Derzeit läuten die Alarmglocken – wenn wir sie nicht hören, werden sie zu Sterbeglocken.

Am 18. Mai übergeben Sie Ihr Amt in der WKÖ an Harald Mahrer. Soll sich jetzt auch die Sozialpartnerschaft neu erfinden?
Sie muss eine Standortpartnerschaft werden. Das Verteilen der Zuwächse ist vorbei. Die Sozialpartner müssen sich völlig neu orientieren.

Die von der FPÖ geforderte Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft scheint vom Tisch zu sein.
Ich bin der FPÖ dankbar, dass sie die Diskussion, die jetzt in eine andere Richtung geht, losgetreten hat. Dass die gesetzliche Mitgliedschaft nicht mehr angerührt wird, davon gehe ich aus. Es geht jetzt darum, die Kammer effizient zu machen. Ich habe getan, wovon ich überzeugt bin, dass es machbar ist – alles andere ist Sache der nächsten Generation.