Warum entscheiden superreiche Finanzmanager in Glaspalästen über Zinsen oder die Menge an Bargeld? Warum liegt die Macht über Währungen bei den Notenbanken und nicht bei jenen Menschen, die ihr hart verdientes Geld in den Wirtschaftskreislauf bringen und so für Stabilität und Wachstum sorgen? Sollten nicht diejenigen die Kontrolle über das Geldsystem haben, die tagtäglich mit Euros, Dollars oder Yen ihre Einkäufe bezahlen? Diese Fragen stellte sich das Hackerkollektiv mit Namen Satoshi Nakamoto und startete nach einem Jahr Arbeit am 3. Jänner 2009 das Bitcoin-Protokoll, eine neue Form einer digitalen Währung. Es ist das Gegenkonzept zum Geldsystem der Notenbanken. Ein intelligentes Verschlüsselungskonzept, die Blockchain, schützt Bitcoin vor Manipulation.

Der Traum jedes Anarchisten

Es gibt keine zentrale Instanz, Überweisungen werden von Tausenden dezentralen Computern durchgeführt. Für die stromintensive Rechenleistung werden die Betreiber des Netzwerks, Miner genannt, mit neuen Bitcoins belohnt. Außerdem ist die Zahl der Bitcoins mit 21 Millionen Stück begrenzt, im Gegensatz zu Notenbanken, die frisches Geld „drucken“ können. Noch sind nicht alle Bitcoins im Umlauf, es entstehen täglich neue, doch spätestens im Jahr 2140 ist damit Schluss. Bitcoin ist damit der Traum jedes Anarchisten, ein System frei von Kontrolle. Kein Staat, keine Politik, die Gemeinschaft bestimmt selbst über die Geldmittel. Bis heute wird diese Idee hochgehalten von den Programmierern, welche Bitcoin weiterentwickeln: Sie sind der Core und sehen sich als Bewahrer des Erbes von Satoshi Nakamoto, als Verteidiger dieses ultraliberalen und unkontrollierten Systems.

Doch Bitcoin ist nicht nur der Traum der Anarchisten, er ist auch das Ideal des neoliberalen Kapitalismus. Ein Wirtschaftssystem bar jeglicher staatlicher Eingriffe, die einzig wirklich freie Marktwirtschaft. Minern und Wechselstuben, die Euro und Dollar gegen Bitcoin tauschen, geht es weniger um Ideologie denn um Profit.

Zwischen diesen Fronten stehen die Nutzer. Im vergangenen Jahr hat die digitale Währung massiv an Beliebtheit gewonnen. Der Kurs hat sich verzehnfacht. Große Fonds haben das System entdeckt. Ohne lästige Regulierung kann man nach Belieben Kurse steuern. Für die Börsenprofis gleicht Bitcoin einer Gelddruckmaschine. Die Kursgewinne locken auch Kleinanleger, die angesichts der möglichen Gewinne das Risiko des Totalverlusts in Kauf nehmen. Doch Bitcoin ist am Scheideweg. Das System ist nicht für diese hohe Anzahl an Transaktionen gebaut. Dauerten Überweisungen noch vor einem Jahr rund 20 Minuten, sind es heute oft Stunden. Nur hohe Gebühren an Miner beschleunigen den Vorgang. Dieses Skalierungsproblem wollten der Core und die Miner mit einem zweistufigen Update lösen. Schon der erste Teil führte zu zwei Abspaltungen, Bitcoin Cash und Bitcoin Gold. Mitte November traten die Konflikte zwischen Core und Minern über die Zukunft der Bitcoin offen zutage. Der zweite Teil des Updates wurde vom Core abgesagt. Als Reaktion verlangsamten die Akteure hinter Bitcoin Cash mit vielen Miniüberweisungen das Bitcoin-System und lockten viele Nutzer auf die eigene Plattform. Der Bitcoin-Kurs fiel innerhalb weniger Stunden um 30 Prozent, Bitcoin Cash verdoppelte sich.

Es ist der Kampf zwischen einer anarcho-liberalen Ideologie und dem Neoliberalismus. Opfer der Auseinandersetzung ist die Idee des digitalen Geldes. Würde man in einem Geschäft mit Bitcoin zahlen wollen, würde allein die Transaktion fünf Euro kosten. Für den täglichen Einkauf taugt Bitcoin nicht mehr. Der Traum des Satoshi Nakamoto, eine Währung unter der Kontrolle der Bürger, ist gescheitert. Übrig bleibt eine Art digitale Ware, die den Kräften des Turbokapitalismus hilflos ausgeliefert ist.

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