In Süddeutschland zieht die OMV mit Aldi ein Tankstellennetz auf. Was bedeutet das?
Rainer Seele: Wir exportieren ein Erfolgsmodell von Österreich nach Deutschland. Das ist das Segment, in dem wir beim Treibstoffabsatz das größte Wachstum im Konzern haben. Wir verfolgen eine duale Strategie. Mit Hofer und Aldi setzen wir auf großen Absatz, bei den OMV-Tankstellen auf das Dienstleistungssegment.

Gibt es schon eine Diesel-Delle? Weniger Dieselautos werden ja schon verkauft.
Noch sehen wir keinen Rückgang. Längerfristig werden wir ihn haben, insbesondere in Europa. Aber es war nicht der Diesel, der die Käufer betrogen hat, sondern die Automobilindustrie. Die Technik ist hervorragend. In den nächsten fünf bis zehn Jahren werden wir gerade den Diesel brauchen, um die CO2-Ziele zu erreichen. Würden wir alle Diesel auf Benziner umstellen, gäbe es eine deutliche Zunahme an CO2-Emissionen. Längerfristig sind alternative Antriebe die Zukunft.

Hat die OMV zu diesen Zukunftsthemen eine Vision 2050?
Wir erarbeiten gerade eine Langfriststrategie. Die wird 2018 in den Aufsichtsrat gehen.

Braucht die OMV künftig noch alle Raffinerien?
Es wird noch größeren Druck geben, Kapazitäten stillzulegen. Der Kerosinanteil wird allerdings attraktiver werden. Wir machen uns auch Gedanken, wie wir bei der Borealis die Palette der weiterverarbeiteten Produkte ausbauen. Ich kann viel über Polypropylen, Polyethylen erzählen. Oder Benzol.

Wer versteht Sie dann noch?
Ich gebe zu, ich bin Chemiker, der in die Betriebswirtschaft abgedriftet ist. Naturwissenschaftler haben Pioniergeist, manche so viel, dass sie ausbrechen. Etwa ins Management.

Wie leben Sie Ihren Pioniergeist in der OMV aus?
Ich bin ein großer Unruheherd. Was meinen Sie, wie ich den Leuten Dampf mache, dass wir immer wieder Neues bieten. Etwa unser Hofer-Tankstellen-Konzept exportieren.

Das ist doch sicher eine Kleinigkeit im Vergleich zu dem, was Sie sonst noch überlegen.
Wir sind auf sehr fortschrittlichem Wachstumskurs, werden in diesem Jahr nach dem Closing des Zukaufs von Juschno Russkoje eine tägliche Fördermenge von rund 400.000 Barrel (zuvor 300.000, Anm.) schaffen. Wir sagen jetzt nicht, wir sind tolle Helden und ruhen uns aus, sondern peilen die 500.000 an. Dass wir ein integriertes Unternehmen sind von der Förderung bis zum Verkauf an den Endkunden, spielt dabei eine zentrale Rolle. Dafür denken wir wie an eine weitere Internationalisierung.

Die OMV hat durch viele Verkäufe jetzt mehr als vier Milliarden „Cash in der Täsch“, wie Sie es ausdrücken würden. Was werden Sie damit machen?
Ich bin zwar ein Unruhegeist, habe aber keine Unruhe, viel davon auszugeben. Einen Teil davon werden wir sicher einsetzen, wenn wir noch heuer die Anteile am Öl- und Gasfeld Russkoje übernehmen.

Soll sich Europa die US-Sanktionen gegen Russland gefallen lassen?
Wir brauchen Dialog, keine Trotzphase, dürfen nicht in einen Konfliktkurs hineinsteuern, auch wenn es kein fairer Umgang ist, ein Ermächtigungsgesetz zu verhängen, somit unter Ausschluss der europäischen Partner. Das ist das total Konfuse, wir wissen ja gar nicht, wogegen das genau zielt.

Wie ist der aktuelle Stand bei der Nordstream II?
Die Vorbereitungen laufen, um 2018 die Rohre zu verlegen.
Wird die OMV noch mehr in Russland, mit Gazprom machen?
Wir hatten in Russland zwei riesengroße Projekte. Das eine mit 100.000, das andere mit 80.000 Barrel am Tag. In dieser Größenordnung werden wir vorläufig keine Projekte mehr angehen. Dass das nächste Kapitel der OMV wieder Russland heißt, wäre doch ein bisschen langweilig. Russland wird zehn bis 15 Prozent unserer Gesamtaktivitäten sein. Ich möchte bei der OMV schon für mehr gesehen werden als für Russland.

Nämlich?
Was die OMV mit dem Wachstumskurs will, ist die Kostenführerschaft in Europa.

Aktuell produziert die OMV ein Barrel um rund neun Dollar.
Jetzt kratzen wir auch schon die Emaille aus dem Topf. Mit den bestehenden Operations werden wir keine großen Sprünge mehr sehen. Russkoje produziert um zwei Dollar, das bringt einen Riesenschub. Für die angepeilten sieben Dollar müssen wir uns schon noch ein bisschen weiterbewegen.

Möchten Sie auf der Kostenseite noch etwas losschlagen?
Für uns nicht mehr tragfähige Kosten waren mit ein Grund, warum wir das UK-Geschäft und die Produktion in Tunesien verkauft haben.

Können Sie in einer einfachen Rechnung für den Laien auflisten, was die zahlreichen Verkäufe zu Preisen deutlich unter den Anschaffungswerten „gekostet“ haben und was sie bringen?
Das ist eine verlockende Fragestellung, aber ich kann sie nicht präzise beantworten. Wir müssen kein Geld mehr bereithalten für Investitionen. Das waren in der Nordsee 3,7 Milliarden Euro, die wir freibekommen haben für die eigene Planung. Zudem kam eine Milliarde in die Kasse. Bei der Gas Connect Austria hat uns der Verkauf von 49 Prozent 600 Millionen gebracht. Dabei führen wir sie so weiter, als wäre nichts passiert. Nicht monetär getrieben, sondern strategisch war der Verkauf der Petrol Ofisi. Hier war keine weitere Integration möglich. Wir haben Geld zurückgeholt, auch wenn wir große Abwertungen gemacht haben, und haben uns in laufende Förderungen eingekauft. Das bringt sofort gute Ergebnisse.

Wird sich an der profitablen OMV-Beteiligung an der Chemietochter Borealis etwas ändern?
Von diesem Syndrom, das hier in Wien herbeigeredet wurde, dass wir unsere Anteile verlieren würden, haben wir uns nie anstecken lassen. Im Gegenteil, die gehört absolut in unser Portfolio. In Abu Dhabi, wo wir mit der National Oil Company die weltgrößten Anlagen dieser Art gemeinsam aufgebaut haben, stehen wir erst am Anfang. Wir haben eine lange Phase der Investitionen gehabt, jetzt fängt die Erntephase an. Die Prinzessin Borealis entwickelt sich toll, und wenn man immer noch verliebt ist, muss man sich die Frage stellen: Machen wir mehr?

Machen Sie mehr?
Die Frage heißt: Wie weit können wir in die Gasproduktion investieren? Ein Land mit so reichhaltigen Reserven kann damit den Eigenbedarf decken, statt Gas zu importieren. Wir wollen auch dort ein integriertes Geschäftsmodell.

Sie sind sehr ehrgeizig, da kann Sie der OMV-Aktienkurs nicht freuen.
Er war einmal in den niedrigen 20ern, die zuletzt 48 reflektieren für mich bei Weitem noch nicht den Wert der OMV.