Die britische Premierministerin Theresa May wird nach Angaben ihres Büros vor den Verhandlungen über einen Brexit in einer Grundsatzrede zur Einigkeit aufrufen. May werde an ihre Landsleute appellieren, die Verbitterung nach dem Volksentscheid für einen EU-Austritt zu überwinden und ein neues Großbritannien zu bauen, teilte Mays Amt am Sonntag mit.

Die Regierungschefin der Konservativen will sich am Dienstag vor ausländischen Diplomaten, ihrem eigenen Brexit-Verhandlungsteam und anderen hohen Regierungsvertretern äußern. Finanzminister Philip Hammond sagte, sollte es keine Einigung mit der EU über einen Zugang zum gemeinsamen Markt geben, könnte das Land sein Wirtschaftsmodell überdenken. Diese Äußerungen wurden als Warnung interpretiert, Großbritannien könnte Unternehmenssteuern als Druckmittel bei den Brexit-Verhandlungen einsetzen.

Formeller Austrittsprozess spätestens Ende März

May will den formellen Austrittsprozess bis Ende März in Gang setzen. Bisher hat sie sich zur Enttäuschung von Investoren, Unternehmern und Abgeordneten kaum dazu geäußert, welches Abkommen sie mit der EU anstrebt. May werde die Notwendigkeit betonen, sich hinter gemeinsamen Zielen wie dem Schutz und dem Ausbau von Arbeitnehmerrechten zu sammeln, teilte ihr Büro weiter mit. Aus den bisher veröffentlichten Redeauszügen ist nicht ersichtlich, ob May auf die Schlüsselfrage eingehen wird: Will sie Großbritannien innerhalb des gemeinsamen Marktes oder der Zollunion halten, oder wenn nicht, welches Ziel strebt sie an?

In britischen Medien wie der "Sunday Times" wurde spekuliert, May strebe einen "klaren und harten" Brexit an, wozu der Austritt aus dem gemeinsamen Markt und der Zollunion gehören würde. May werde zu erkennen geben, dass sie "bereit ist, Großbritannien aus dem europäischen Binnenmarkt und der Zollunion zu führen", schrieb auch der "Telegraph" in seiner Sonntagsausgabe.

Wirtschaftsmodell ändern

Ein Ausscheiden aus dem Binnenmarkt zählt als Voraussetzung, um die unkontrollierte Einwanderung von EU-Bürgern in das Land zu stoppen - eines der zentralen Wahlversprechen der Brexit-Befürworter. Die Zollunion muss Großbritannien verlassen, wenn es in der Lage sein will, bilaterale Freihandelsabkommen mit Drittstaaten wie Australien oder den USA abzuschließen. Das ist eines der erklärten Ziele der Regierung.

Bisher hat es May vermieden, ein Ausscheiden des Landes aus dem Binnenmarkt konkret in Erwägung zu ziehen. Große Teile der Wirtschaft befürchten dramatische Folgen, sollte Großbritannien seine Mitgliedschaft im Binnenmarkt aufgeben.

Das Votum vom 23. Juni habe die klare Botschaft gesendet, dass das Land Kontrolle über die Zuwanderung haben müsse, bekräftigte Finanzminister Hammond in der Zeitung "Welt am Sonntag". Sollte Großbritannien keinen Zugang zum europäischen Markt haben, "wenn wir ausgesperrt werden, wenn Großbritannien die Europäische Union verließe ohne eine Übereinkunft über einen Marktzugang, dann könnten wir zumindest kurzfristig wirtschaftlichen Schaden erleiden. In diesem Fall könnten wir gezwungen sein, unser Wirtschaftsmodell zu ändern."

Es sei zu hoffen, dass das Land in Bezug auf das Steuer- und Sozialsystem sowie die Regulierung der Wirtschaft erkennbar europäisch bleiben könne. "Aber wenn man uns zwingt, etwas anderes zu sein, dann werden wir etwas anderes werden müssen", so Hammond. Die Regierung in London hat bereits niedrigere Steuersätze für Unternehmen angekündigt.

Eine Gruppe von Abgeordneten hatte May bereits am Samstag dazu aufgerufen, "Position zur Mitgliedschaft im europäischen Binnenmarkt und in der Zollunion" zu beziehen. Bis Mitte Februar forderten die Abgeordneten einen detaillierten Brexit-Plan von der Regierung. Diese lehnt das ab. Sie werde dem Parlament erst Ende März einen Plan vorlegen, teilte das Brexit-Ministerium mit.