Große Fragen verlangen oft einfache Antworten: Wie schaut die Arbeit einer Nachhaltigkeitsforscherin aus, um die großen Fragen der Menschheit zu beantworten?
INES OMANN: Das ist gar nicht so einfach zu erklären, weil die Aufgaben sehr breit gefächert sind. Ich bin Volkswirtin, arbeite vor allem sozialwissenschaftlich, meist im Team und mit Menschen aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Wir überlegen gemeinsam, wie wir Antworten auf die großen Fragen der Menschheit finden, um aus der Bewertung Empfehlungen für Entscheider abzuleiten.

Welche wichtigen Fragen für unser Leben versuchen Sie konkret zu beantworten?
Diese Fragen drehen sich um Klimawandel, Erhalt der Ökosysteme oder Biodiversität, aber auch um soziale Fragen wie das Verringern der Schere zwischen Arm und Reich, Bildung und Wertewandel sind relevant. Dahinter steht für mich der Anspruch eines besseren Lebens für alle. Denn Nachhaltigkeit ist kein Ziel, sondern ein Weg, den wir beschreiten können, um zu einem guten Leben für alle zu kommen – jetzt und für die nächsten Generationen.

Ein hochgestecktes Ziel.
Ja, sehr. Das Wort Nachhaltigkeit ist schon sehr abgenützt und wird auch missbraucht, ich kann diese Haltung auch sozialökologische Transformation nennen.

Woran arbeiten Sie aber ganz konkret?
Ich forschte in den letzten drei Jahren in Leipzig etwa zur Frage, wie wir zu einem nachhaltigen Lebensstil kommen können. Wir untersuchten sieben europäische Regionen, die bereits nachhaltig agieren, in Österreich war es das Mühlviertel. Was macht eine Region nachhaltig? Was kann ich von ihr lernen, wie kann man sie stärken? Wir haben dabei auch den ökologischen Fußabdruck – in Österreich insgesamt und in der Region selbst – genommen.

Unterscheidet sich dieser Fußabdruck je nach Region?
In den meisten europäischen Regionen: ja. In Österreich ist das differenziert: Bei Ernährung und Wohnen/Bauen ist er im Mühlviertel kleiner, nicht aber bei der Mobilität, weil das eine typische Pendler-Region ist. Da gibt es natürlich einen Handlungsbedarf. Das wäre eines meiner typischen Projekte.

Ändert sich die Gesellschaft in Richtung Nachhaltigkeit – oder sitzen wir dabei nur einem großen Marketingschmäh auf?
Ja, Letzteres leider auch. Wenn ich Nachhaltigkeit als Lebensstil definiere, der unsere fundamentalen Bedürfnisse erfüllt, aber mit möglichst wenigen negativen Neben­effekten, dann ist das eine ziemlich harte Definition: Ich darf eigentlich nur Ressourcen verwenden und nutzen, die nachwachsen, nichts aus der Erde nehmen, was nicht nachwächst – etwa fossile Rohstoffe, Mineralien, Erze. Neben dieser starken Nachhaltigkeit gibt es auch die schwache, ­wonach ich verschiedene ­Formen von Kapital auch substituieren kann. Ich sehe mich in der Mitte: Wenn ich lebe, brauche ich Materie, Energie, Land. Aber die Frage ist: Kann ich meine Bedürfnisse mit ­weniger Ressourcen erfüllen oder muss ich sie immer so erfüllen, wie ich es jetzt ­mache? Zum Beispiel das ­Bedürfnis nach Freiheit: mit Autos und Reisen oder mit ­einer Wanderung bzw. der ­Äußerung meiner Meinung?

Ist unsere Gesellschaft auf dem Weg zur Nachhaltigkeit?
Ich sage vorsichtig Ja, weil ich das Gefühl habe, dass immer mehr Menschen in den reichen Ländern erkennen, dass ihnen ihr Lebensstil nicht ­guttut – weil wir zu viel haben, weil es zu schnell ist, weil kaum mehr freie, ungeplante, selbstbestimmte Zeit zur Verfügung steht. Weniger ist oft mehr. Manche leben diesen entschleunigten Lebensstil schon, manche spüren, dass er ihnen guttun würde. Ich schätze, dass etwa 20 Prozent der Menschen in den reichen ­Ländern dafür bereits offen sind. Und dann gibt es die, die Nachhaltigkeit missbrauchen, etwa in der Werbung. Auch bei „nachhaltigen Aktien“ wäre ich sehr vorsichtig. Und dann gibt es Firmen, die Nachhaltigkeitsberichte machen – auch da wäre ich ebenso sehr vorsichtig. Mein Gefühl sagt mir: Traditionelle KMU in ­Österreich meinen es oft ernst, die großen multinationalen eher weniger.

20 Prozent der Bevölkerung sind nicht sehr viel.
Stimmt. Aber wenn die kritische Masse 10 bis 15 Prozent ist, die ihr Leben ändert, kann das reichen, um andere mitzunehmen.

Wie äußert sich nachhaltiger Lebensstil?
Es gibt drei Bereiche, die am meisten Ressourcen verbrauchen: Mobilität, Ernährung und Wohnen. Wenn ich in ­diesen drei Bereichen ver­suche, meinen Ressourcen­verbrauch herunterzufahren, kann ich schon sehr viel tun. Am leichtesten ist das in der Ernährung, wenn ich mehr ­regional und saisonal einkaufe, mehr Bio und weniger Fleisch und Milchprodukte – das ist eine Entscheidung, die ich täglich treffen kann.

Und wie ist das Thema Mobilität einzuordnen?
Auch das ist eine bewusste Entscheidung. Ich kann weniger fliegen, weniger Auto ­fahren, mehr öffentlichen ­Verkehr – sofern vorhanden – oder das Rad nutzen. Beim Bauen ist es das Schwierigste – wenn einmal gebaut ist, dann kann ich nicht von heute auf ­morgen in eine andere Wohnung. Aber welche Energie ich verwende, kann ich vielleicht entscheiden. Und statt neu zu bauen, kann ich Bestehendes nutzen, indem ich renoviere.

Das ist die technische Seite.
Ja, ich muss dann auch über­legen: Was brauche ich selber? Ich kann, wenn möglich, ­weniger Überstunden machen und mehr freie Zeit haben, das tun, was mir wirklich guttut. Natürlich kann sich das nicht jeder leisten, aber einen ersten großen Schritt setzen könnte man: einen Monat anders ­leben, aufs Auto oder Fleisch verzichten und schauen, was das mit einem macht.


Und was tun Sie konkret für sich?
Ich versuche, mir mehr Zeit für mich zu nehmen und entschleunigter zu leben mit Meditieren, Yoga, In-der-Natur-Sein und auch einmal Nichtstun.

Wie sehr soll man Nachhaltigkeit anderen Menschen auferlegen?
Ich möchte keine Öko-Dik­tatur, bin aber dafür, Dinge bis zu einem gewissen Grad zu regulieren oder auch zu ­subventionieren – etwa Bio­lebensmittel, damit sie sich jeder leisten kann.

Ein wichtiger Punkt ist das Teilen. Finden Sie Sharing gut?
Prinzipiell ja. Nicht das Besitzen ist das Ziel, sondern das Nutzen. Es ist ein Trend, vor allem in Städten. Am Land hat es früher Nachbarschaftshilfe geheißen. Da kann man viel von Eltern und Groß­eltern lernen. Die Grenzen sind aber die Schattenwirtschaft. Und ist Airbnb noch Teilen? Das sind Grenzbereiche.

Es gibt den Ausdruck des „Greenwashings“ – wie groß ist die Gefahr, dass Nachhaltigkeit des Scheins wegen ausgeschlachtet wird?
Marketing ist voll legitim, wenn hinter der Botschaft ein Inhalt ist. Man muss aber hinter die Botschaften schauen, hinterfragen, hinterfragen, hinterfragen!

Biokäufer fahren häufiger SUVs, oft im Glauben, eh schon genug zu tun.
Unter den Bioprodukte-Käufern gibt es unterschiedliche Gruppen. Auch Menschen, denen die Umwelt am Herzen liegt, die aber auf nichts verzichten wollen. Ich finde das problematisch. Bio-Käufe kompensieren nicht die negativen Auswirkungen eines SUVs.

Das Plastiksackerl verschwindet aus dem Handel – ist es denn besser, Papier­sackerln zu haben?
Nicht unbedingt, deren Fußabdruck ist auch nicht so viel besser, weil die Papierherstellung oft ziemlich giftig und energieintensiv ist. Das Beste wäre, eigene Tascherln mitzunehmen.

Tirol wollte nachhaltige Olympische Spiele durchführen – die Bevölkerung schenkte dem keinen Glauben und lehnte das ab. Wie glaubwürdig ist so ein Anspruch überhaupt?
Ich bin selber sportlich und schaue mir auch manchmal gerne Sport an. Man kann Olympische Spiele etwas nachhaltiger machen, aber vom Prinzip her sind sie nicht nachhaltig, da sie große Mo­bilitätsbewegungen hervor­rufen – etwa das Einfliegen vieler Sportler und Zuschauer, den Bau und Betrieb von ­Anlagen und so weiter. ­Dennoch wäre es wohl noch besser, solche Spiele in Österreich durchzuführen, wo es Regeln für „Green Events“ gibt. Ich bin da hin- und her­gerissen. Ich bin aber doch ganz froh, dass es nicht in Innsbruck ist, weil es immer zu massiven Investitionen kommt, die Energie verbrauchen und dann zu Schulden führen können.

Unser Wirtschaftssystem ist auf Wachstum ausgerichtet. Inwieweit ist das Schielen auf Wachstum mit Nachhaltigkeit vereinbar?
Das BIP misst, wie viele Güter und Dienstleistungen in einem Jahr produziert wurden, aber es ist kein Indikator für die Lebensqualität der Be­völkerung. Wachstum per se ist nicht schlecht, geht aber einstweilen noch mit mehr Ressourcen- und Energieverbrauch einher. Dass diese Zahl viel damit zu tun hat, wie es uns geht, ­bezweifle ich sehr. In den ­reichen Ländern gibt es eine Flughöhe, die es zu halten gilt. Es wäre vermutlich nicht ­tragisch, wenn wir einmal nicht mehr wachsen würden, sondern gleich viel produzieren oder konsumieren würden wie in den letzten Jahren. ­Zudem müsste man hier differenzieren, welche Sektoren wachsen beziehungsweise schrumpfen. Wenn der Sektor der erneuerbaren Energie wächst, ist das im Sinne der Nachhaltigkeit positiv, ­wenn jener der Kohle wächst, wohl nicht. Wichtig ist hier, nicht eine Maßzahl als Ziel zu sehen. Wachstum kann ein ­Ergebnis des Wirtschaftens sein, das Ziel ist eine hohe ­Lebensqualität für möglichst viele Menschen.

Haben wir schon genug?
Wir sollten keine Angst vor keinem Wachstum haben – dann gibt es Chancen für mehr anderes. Etwa mehr Zeit statt mehr Geld – für die­jenigen, die ihre Grundbe­dürfnisse erfüllen können und nicht in Armut oder an der Armutsgrenze leben natürlich. Kein Baum und kein Mensch wächst ewig, Krebszellen wachsen unendlich.