Sie haben die Österreicher aufgefordert, der Regierung einen Vertrauensvorschuss zu geben. Hat die Regierung den Vorschuss mit dem Chaos um die Hypo nicht verspielt?

HEINZ FISCHER: Da muss man sich die Rolle des Bundespräsidenten in Erinnerung rufen: Er ist ja nicht ein Gegenspieler zur Regierung. Der Bundespräsident soll die Republik als Ganzes repräsentieren, die Einhaltung der Spielregeln überwachen. Nach Möglichkeit erfolgt das im guten Zusammenwirken mit der Regierung. Die Hypo-Causa hat aber sehr gravierende Probleme geschaffen. Es sind viele Menschen verunsichert und sehr verärgert.

Sind auch Sie verärgert?

FISCHER: Ich bin auch verärgert, und zwar sehr verärgert. Was sich da abgespielt hat, ist, ich wiederhole es, eine budgetpolitische Katastrophe. Aufgabe der Regierung ist es, die Öffentlichkeit bestmöglich zu informieren und die besten Lösungen zu suchen.

Sie haben sich öfters zu Wort gemeldet als der Kanzler. Hat die Regierung nicht eine Informationspflicht dem Bürger gegenüber?

FISCHER: Die Regierung hat zweifellos eine Informationspflicht. Am Montag werden Bundeskanzler und Vizekanzler vor dem Nationalrat eine Erklärung abgeben. Das halte ich für notwendig.

Die Hypo gehört seit 2009 dem Staat. Die Regierung ist aber nicht fähig, den Bürgern zu sagen, was uns das ungefähr kostet. Ist das nicht Ausdruck von Hilflosigkeit?

FISCHER: Ich möchte nicht unseren Finanzexperten Konkurrenz machen. Die können das besser erklären. Soweit ich das verstehe, beruht die Unsicherheit darauf, dass wir nicht primär über bereits eingetretene Kosten reden, sondern über künftige. Wir haben es heute mit einem bestimmten Volumen an Assets zu tun. Auch die besten Experten wissen nicht, ob man die Assets zu 30, zu 50 oder zu 70 Prozent abschreiben muss. Jetzt endgültige Zahlen zu nennen, wäre unseriös.

Haben Sie wirklich den Eindruck, dass die Regierung professionell agiert?

FISCHER: Ich getraue mich nicht das zu beantworten. Ich will weder dramatisieren noch schönfärben. Man muss die Dinge beim Namen nennen und das hohe Ausmaß der Verärgerung in der Bevölkerung richtig verstehen.

Sehen Sie da Versäumnisse bei der früheren Regierung, insbesondere der Ex-Finanzministerin?

FISCHER: Aus heutiger Sicht sage ich: Der Beginn des Übels liegt zweifellos in der Hypo-Abzockerei und in der parteipolitischen Gängelung der Bank in der Ära des Landeshauptmanns Haider. Aber auch in den nachfolgenden Jahren wäre es - zumindest aus heutiger Sicht - notwendig gewesen, rascher zu agieren.

Was viele jetzt sauer aufstößt, ist die Idee einer Bad Bank, die anders als bei der Pleite den Nachteil hat, dass der Steuerzahler komplett zur Kasse gebeten wird. Sollten nicht auch die Gläubiger zur Kasse gebeten werden?

FISCHER: Die Frage ist berechtigt, und es muss eine der wichtigsten Bemühungen sein, auch jene Gruppierungen, Institutionen, Personen heranziehen, die einen unverdienten Nutzen gehabt haben. Das entspricht meinem Gerechtigkeitsgefühl. Experten sagen allerdings, dass auch ein Konkurs der Bank mit beträchtlichen Risiken verbunden ist.

Dass der Steuerzahler die Kosten komplett übernimmt, ist gesellschaftspolitisch nicht vertretbar?

FISCHER: Dass die Schwächsten im Land und jene Steuerzahler, die sich heute schon in einer sehr schwierigen Situation befinden, einen Großteil der Lasten zu tragen hätten, wäre wirklich sehr unbefriedigend.

Droht jetzt nicht die Gefahr eines neuen Sparpaketes?

FISCHER: Da ich nicht der Finanzminister bin, kann ich das weder bestätigen noch dementieren. Man muss sich der Gefahr bewusst sein, dass die Bevölkerung am Gerechtigkeitsgefühl der Politik zweifelt und sich fragt, ob die Verantwortlichen im Land die Existenzsorgen der Menschen richtig einschätzen können.

Anderes Thema: Verstehen Sie den Unmut über die Schließung der Polizeiposten?

FISCHER: Ich verstehe die Sorgen der Bürgermeister, die viel näher beim Bürger sind als ein Landeshauptmann oder ein Minister. Die Sorgen muss man ernst nehmen. Ich kann mir keine Zusammenlegungen vorstellen, wenn die Sicherheit dadurch reduziert wird. Ich kann sie mir vorstellen, wenn nachgewiesen wird, dass aus der Zusammenlegung von kleinen Posten zu einem größeren Posten eine Situation entsteht, wo - nicht zuletzt durch moderne Kommunikationsmittel - die Sicherheitslage verbessert wird. Die Maßnahmen müssen so sein, dass die Bürger im Schnitt mehr Polizisten auf der Straße sehen und das subjektive Sicherheitsgefühl nicht verschlechtert wird. Den Nachweis muss die zuständige Ministerin erbringen.

Hat sie den Nachweis erbracht?

FISCHER: In Wien ist man offenbar auf gutem Weg, in den anderen Bundesländern kann ich das noch nicht beurteilen.

Sollte man diese Liste noch einmal überdenken?

FISCHER: Diese Entscheidung liegt nicht bei mir.

Geschlossen wurden bereits Postämter und Bezirksgerichte, jetzt sind es Polizeiposten. Leistet die Politik der Ausdünnung des ländlichen Raums Vorschub?

FISCHER: Politik kann gesellschaftliche Veränderungen beeinflussen, aber nicht zum Stillstand bringen. In den letzten 50 Jahren haben sich die gesellschaftlichen Strukturen verändert. Bei den Bezirksgerichten war einst das Kriterium, dass diese mit der Kutsche innerhalb einer bestimmten Zeit erreichbar sein müssen. Statt dieser Kutschen gibt es heute andere Verkehrsmittel. Die Strukturen des Jahres 1950 unverändert zu erhalten, ist daher keine Lösung.

In der Schweiz hat sich eine Mehrheit gegen den Willen des Establishments für Zugangsbeschränkungen ausgesprochen. Was läuft da schief?

FISCHER: Ich sage nicht, dass etwas schief läuft. In der Schweiz ist eine Abstimmung initiiert worden, die darauf abzielt, die Bindungen zur EU bei der Freizügigkeit zu lockern. Das Ergebnis fiel mit 50,3 zu 49,7 Prozent knapp aus. Die Schweizer Regierung ist jetzt in der schwierigen Situation, einen unpräzise formulierten Auftrag zu erfüllen. Ich wünsche ihr dabei das Allerbeste.

Herr Strache fordert Ähnliches für Österreich.

FISCHER: Eine Abstimmung über die Aufweichung bestimmter Grundprinzipien im Verhältnis zur EU kann in Österreich nicht stattfinden, weil wir selbst EU-Mitglied sind. Wenn die FPÖ aber eine Abstimmung über den Austritt aus der EU durchführen will, muss sie das klar sagen und die Voraussetzungen dafür schaffen.

Wie sehen Sie das Unbehagen an der Personenfreizügigkeit?

FISCHER: Die Verträge, die die Schweiz mit der EU geschlossen hat, bringen dem Land unbestritten eine Reihe von Vorteilen. Andererseits sind manche Infrastruktureinrichtungen der Schweiz durch hohe Zuwanderung stärker belastet. Daher gibt es viele Bürger, die meinen: Wir wollen zwar die Vorteile der Freizügigkeit, etwa Fachkräfte für unsere Spitäler und andere Institutionen haben, aber die Kehrseite der Medaille wollen wir nicht haben. Man kann sich nicht nur die Rosinen aus der europäischen Zusammenarbeit herauspicken.

Bei den Auslandseinsätzen des Bundesheeres steht eine Entscheidung an: Soll sich Österreich an Einsätzen in Zentralafrika beteiligen. Oder sollten wir unseren Fokus eher auf den Balkan legen?

FISCHER: Die Auslandseinsätze sind ein wichtiger und wertvoller Beitrag Österreichs zu den Aufgaben der internationalen Gemeinschaft. Natürlich wird der Schwerpunkt unserer Einsätze weiterhin am Balkan liegen. Nach dem Abzug vom Golan haben wir zahlenmäßig wieder etwas Luft nach oben. Daher können wir unser Kontingent im Kosovo aufstocken. Bei der Zentralafrikanischen Republik steht nicht die Entsendung eines Kontingents zur Diskussion, sondern einiger Stabsoffiziere. Darüber wird in diesen Tagen zu entscheiden sein. Ich bin dafür.

Sie haben die Regierung angelobt mit Faymann und Spindelegger. Hoffen Sie, dass Ihnen keiner der beiden Herrn aus innerparteilichen Gründen abhandenkommt?

FISCHER: Wenn man am Beginn einer Legislaturperiode einen Bundeskanzler, einen Vizekanzler und weitere Regierungsmitglieder ernennt, wünscht man ihnen im Interesse des Landes alles Gute und viel Erfolg. Wenn sich aber eine der Regierungsparteien eine Veränderung im Team wünscht, ist das etwas, was in der Zweiten Republik immer wieder vorgekommen ist.

Was heißt das?

FISCHER: Das heißt, dass ich mir im Prinzip Kontinuität wünsche, aber dass nach unserer Staatspraxis die in der Regierung vertretenen Parteien das Recht haben, bei den aus ihren Reihen stammenden Regierungsmitgliedern mit einer entsprechenden Begründung Veränderungen vorzuschlagen.

Sollte die ÖVP wegen der Hypo beim Finanzminister auf Kontinuität setzen?

FISCHER: Die "Finance" - um Maria Fekter zu zitieren - ist ein Gebiet, wo auch Psychologie und Vertrauen eine große Rolle spielen. Das sollte man nicht vergessen.