Auf dass das neue Jahr ein bessres wird, als es das alte war“, – das haben uns auch heuer die Sternsinger gewünscht. Soweit es die wirtschaftliche Lage betrifft, haben sie bereits im letzten Jahr recht behalten – nach allen Prognosen der einschlägigen Wirtschaftsforschungsinstitute befindet sich Österreich derzeit in einer Phase außergewöhnlich starken Wachstums.

Dieser Aufschwung soll auch bis zum Ende der Prognoseperiode 2022 anhalten, die Wirtschaft pro Jahr um etwa zwei Prozent wachsen. Auch der globale Aufschwung gewinnt an Stärke – das Wachstum der Weltwirtschaft festigt sich.

Werden die kommenden Jahre damit wirklich besser? Nach den wirtschaftlichen Haupt- und Grobindikatoren: ja. Das Bruttoinlandsprodukt – als Messgröße für die wirtschaftliche Wertschöpfung – nimmt zu, damit steigt auch das Einkommen, die Beschäftigung wächst, die Arbeitslosigkeit nimmt ab.
Allerdings ist das Bruttoinlandsprodukt – das berühmte BIP – eine eindimensionale Messgröße. Das hat zunächst einen Vorteil – das komplexe Wirtschaftsgeschehen wird auf eine Kennzahl reduziert: je höher, desto besser.

BIP misst Produktion, nicht Wohlstand

Allerdings ist dieses BIP ein Maß für die Produktion, nicht für den Wohlstand. Robert Kennedy hat dies schon im Wahlkampf 1968 in einer berühmten Rede ausgedrückt: Es misst die Ausgaben für Werbung und für Gefängnisse, aber erfasst nicht die Schönheit der Dichtung oder die Stärke von Ehen. Es erfasst im Wesentlichen, was produziert wird (abzüglich der Vorleistungen) und dann gekauft oder verkauft wird, somit einen Preis hat. Vieles, das wertvoll ist und zu Wohlstand beiträgt, wird aber nicht gehandelt und hat keinen Preis.

Dadurch wird unser Wohlstand überschätzt. Der Verlust an natürlichen Ressourcen, die für die Produktion notwendig sind, findet nicht Eingang in diese Messgröße. Auch andere Bestandsgrößen – und deren oftmals negative Veränderung – finden nicht Berücksichtigung: die öffentliche Infrastruktur wie Straßen und Schienen, auch Parks und Wälder. Auch nicht die Frage, wie das Wachstum verteilt wird.

Es gibt aber auch Unterschätzungen durch das BIP. Da es stark auf die materielle Produktion ausgerichtet ist, ist es oftmals nicht imstande, die schwierig zu messenden Qualitäten von Dienstleistungen zu erfassen, die in entwickelten Wirtschaften 80 Prozent der Wertschöpfung ausmachen. Was ist beispielsweise eine gelungene Operation wert: die Kosten, die durch die medizinische Leistung erwachsen, oder die Verbesserung der Lebensqualität der behandelten Person? Wie wertvoll sind unbezahlte Tätigkeiten, vor allem die in Haushalten erbrachten Leistungen in Hinblick auf Pflege und Erziehung? Auch werden Qualitätsverbesserungen unzulänglich erfasst: Ein heutiges Handy, selbst wenn es etwas teurer ist als die Produkte der früheren Phasen, kann um ein Vielfaches mehr, als der Preis auszudrücken imstande ist.

Viele neue Dienstleistungen sind zudem umsonst, nicht wenige im Preis stark gefallen: Google- und Wikipedia-Informationen sind kostenlos nutzbar, ebenso Youtube. Auch die Kommunikationskosten sind radikal gesunken: Telefonate, E-Mails, Netzwerkdienste. Vieles an ehemaligen Dienstleistungen hat sich stark reduziert und verbilligt: Statt Hotels bucht man Airbnb, statt Taxis Uber, die Dienste von Reiseunternehmen werden durch Eigenbuchungen übers Internet ersetzt, Landkarten durch Navis. Es wird auch viel mehr an Musik konsumiert, dennoch sind die Einnahmen der Musikbranche um ein Drittel gefallen.

"Wir leben länger und gesünder"

All dies lässt uns zu geringeren Kosten besser leben, ohne dass dies in der Messgröße des BIP aufscheint. Auch genießen wir Vorteile durch Vielfalt: bei der Kleidung, bei den Angeboten der Unterhaltungsindustrie (bis in die 1980er-Jahre gab es nur zwei Fernsehprogramme), in der Gastronomie (mit einem ständigen Zuwachs an Haubenlokalen und veganer Kost) und im Tourismus (Wellness, Seychellen, All-inclusive-Pakete). Auch wenn das Medianeinkommen der Bevölkerung stagniert, hat sich das, was man dafür bekommt, substanziell geändert, meist auch verbessert.

Das heißt nicht, dass unser eindimensionaler Wachstumsindikator überflüssig wird. Kurzfristig zeigt er an, was sich an Potenzialen für Verbesserungen – weil wir sowohl über ein quantitatives als auch qualitatives Mehr verfügen – ergibt: an Arbeitsplätzen, Einkommen, aber auch Qualitätsverbesserungen. An der adäquaten Erfassung „qualitativen“ Wachstums arbeitet die Ökonomenbranche mit Hochdruck.
Und auch daran, aufzuzeigen, was sich in den letzten zweihundert Jahren – seit Beginn der industriellen Revolution und damit seit Beginn einer effizienzorientierten Wirtschaftsgestaltung – positiv verändert hat anhand mehrfacher Qualitätskriterien.

Wir leben länger – und gesünder. In Europa ist über diese Zeit die Lebenserwartung von 33 auf 80 Jahre gestiegen. Die Körpergröße – ein nicht unwesentlicher Indikator für Gesundheit – hat um 7 bis 12 Zentimeter zugenommen (allerdings auch das Gewicht).
Die Menschheit hat sich vervielfacht – von ein auf sieben Milliarden Menschen; kein geringes Zeichen von Lebensfreude und Lebenskraft.
Weltweit haben die Einkommen pro Kopf auf das zehn- bis 15-Fache, in Europa auf das 20-Fache zugenommen. Mit diesem Einkommen kann man sich nicht nur mehr, sondern Besseres leisten: Vom Warenangebot zu Beginn des 19. Jahrhunderts wären wir heutzutage sicher schwer enttäuscht.

"Wirtschaft ist nicht alles"

Dazu kommen vielfache immaterielle Verbesserungen: Die Welt ist insgesamt – mit bekannten Rückschlägen des 20. Jahrhunderts – demokratischer geworden. Die Bildung hat zugenommen – seit 1870 weltweit von einem auf acht Jahre, in Europa von vier auf zwölf. Und: Trotz aller – berechtigter – Hinweise auf auch wirtschaftliche Benachteiligungen von Frauen – ihre Diskriminierung ist im Vergleich zu 200 Jahren vorher eindeutig zurückgegangen. Auch die absolute Armut ist weltweit zurückgegangen – das Millenniumsziel der UNO, die Zahl der in extremer Armut lebenden Menschen unter eine Milliarde zu drücken, ist vorzeitig erreicht worden.

In diesem Sinn gibt es einen eindeutigen Gleichlauf von wirtschaftlicher Entwicklung und vielfachen Indikatoren individuellen und gesellschaftlichen Wohlstands. Das heißt nicht, dass die wirtschaftliche Dynamik alleinige Ursache wäre. Oftmals laufen Wirkungszusammenhänge auch in umgekehrter Richtung: ohne Bildung, ohne gestiegene Gesundheit keine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit.

Wirtschaft ist nicht alles. Ohne die Leistungsorientierung, die die industrielle Revolution vor mehr als 200 Jahren eingeleitet hat, ginge es uns aber sicherlich um vieles schlechter – allen, sowohl Reichen als auch Armen, auch dem viel zitierten Mittelstand. Insgesamt ging es uns noch nie so gut wie jetzt. Der Wunsch der Sternsinger wird sich aber ohne weitere Anstrengungen nicht erfüllen.