Der Koalitionspoker um die neue Bundesregierung eröffnet der Wirtschaft möglicherweise ein historisches Fenster für Reformen. Nach aktuellem Auszählungsstand kommen nämlich ÖVP (62 Mandate), FPÖ (51) und Neos (10) zusammen auf 123 Sitze im 183-köpfigen Parlament. Damit hätte eine türkis-blau-pinke Koalition eine Zweidrittelmehrheit gegenüber den 60 Mandaten, die SPÖ (52) und Liste Pilz (8) gemeinsam haben. Eine Zweidrittelmehrheit ist Voraussetzung für Beschlüsse oder Änderungen von bedeutenden Gesetzen mit Verfassungsmehrheit – vom Bildungssystem bis zur Verwaltung, von Föderalismus und Bundesstaat bis Sozial- und Arbeitsrecht oder Kammerpflicht.

Erst in einigen Tagen wird aber das Wahlergebnis feststehen und Bundespräsident Alexander Van der Bellen dem Wahlsieger Sebastian Kurz den Auftrag zur Regierungsbildung erteilen. So lange halten die Parteien mit Koalitionsaussagen still wie beim Mikado. Auch von Industriellenvereinigung oder Wirtschaftskammer enthielten sich führende Vertreter gestern klarer Koalitionspräferenz. Offener waren da einige Wirtschaftskapitäne.

Was der Großsponsor jetzt erwartet

KTM-Chef Stefan Pierer, im Wahlkampf umfehdeter Großsponsor der ÖVP: „Über das Wahlergebnis bin ich sehr erfreut. Sebastian Kurz ist deutliche Nummer eins. Ich erwarte mir eine Koalition für einen Aufbruch aus dem Stillstand.“ ÖVP-FPÖ wäre naheliegend, ganz festlegen wollte er sich nicht. Wichtig seien „Arbeitszeitflexibilisierung, Bürokratie- abbauen vor allem für KMU und mehr Netto vom Brutto für die Arbeitnehmer.“ Eine türkis-blau-pinke Koalition kann sich Pierer auch gut vorstellen. „Da müssen Sie aber Matthias Strolz fragen.“ Der Neos-Chef hat gestern indes betont, seine Partei bereite sich auf die Opposition vor „als starkes Gegengewicht zu einer nationalkonservativen Regierung“.

Dabei könnte der Hebel einer Zweidrittelmehrheit bei vielen Überschneidungen im Wirtschaftsprogramm vor allem die Reglementierung aufbrechen, die viele Unternehmer beklagen. Hubertus Benteler vom Autozulieferer Benteler International (27.900 Mitarbeiter weltweit, 7,4 Milliarden Euro Umsatz 2016) mit Sitz in Salzburg zur Kleinen Zeitung: „Ich bin mit dem Wahlergebnis und dem Sieg von Sebastian Kurz zufrieden. Nach der langen Periode von Rot-Schwarz erwarte ich mir jetzt neue Akzente zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Wirtschaft.“

Regierung aus drei Großen?

Peter Pichler, Berndorf AG, will gleich zwei ganze Regierungsperioden den Strukturreformen gewidmet sehen: „Zuerst am besten in einer Konzentrationsregierung aller drei großen Parteien, damit man wieder ordentlichen Umgang miteinander pflegt und wirklich Veränderungen machen kann, etwa im Pensionssystem oder für eine Verwaltungsreform“, so der Vorstand von Berndorf (2500 Mitarbeiter, 554 Millionen Umsatz 2015). Dabei sei eine verlässliche Außenpolitik wichtig, beim Wirtschaftsprogramm bevorzuge er jene der FPÖ und der Neos. Wenn sich eine Zweidrittelmehrheit VP-FP-Neos ausgeht, wäre das auch eine mögliche Reformregierung.

„Eine klar auf Bildung, Innovation und Forschung ausgerichtete Politik“ erwartet sich Christian Planegger, der international in Technologiebranchen investiert, von der neuen Regierung. Einen Zweidrittelhebel hielte auch er für eine Chance: „Damit könnte man mit einer Verfassungs- und Verwaltungsreform tatsächlich Strukturen ändern, die Österreich belasten.“

Tempo jetzt "entscheidend"

Für Sabine Herlitschka „ist Tempo jetzt ein entscheidender Faktor, denn Österreich steht im globalen Wettbewerb. Ich erwarte daher eine rasche Regierungsbildung und die Umsetzung von Reformen.“ Die Vorstandschefin der Infineon Technologies Austria AG nennt „angesichts der fortschreitenden Digitalisierung vor allem Bereiche wie Ausbildung, Forschung und Innovation. Das sind auch wesentliche Zukunftsthemen für den Standort Europa, die Österreich im Zuge des EU-Ratsvorsitzes im zweiten Halbjahr 2018 vorantreiben sollte.“

„Weniger Sticheleien und mehr zielgerechtes Arbeiten“ wünscht sich BKS-Bankvorständin Herta Stockbauer von der künftigen Regierung, die „mehr Verständnis für die Anliegen der Wirtschaft“ haben sollte, denn diese sichere Arbeit und Wohlstand und nicht die Bürokratie. Stockbauer hofft, „dass wichtige Themen wie digitaler Wandel, Bildungsreform und eine Neugestaltung des Steuersystems zügig angegangen werden“.
Die Industriellenvereinigung hat den Parteien schon in der Vorwoche am Tag der Industrie ihre bekannten Forderungen vorgegeben. In den nächsten Tagen startet die IV eine breite Kampagne mit den Themen – nicht zufällig als Begleitmusik zu den bevorstehenden Koalitionsverhandlungen.