Im letzten Jahr wurden 160.000 Häuser mit Wienerberger-Ziegeln gebaut. Überblicken Sie die Siedlungstätigkeit Ihres Konzerns überhaupt noch? Das wächst ja jedes Jahr ein halbes Bundesland aus dem Boden.
HEIMO SCHEUCH: Natürlich sind wir in 30 Ländern tätig. Das überblicken wir sehr gut und schauen uns ganz genau an, wie viel Marktanteile wir haben, wo wir zulegen und wo wir uns noch verbessern können. Am wichtigsten ist, mit unseren Innovativen und neuen Produkten in den Märkten stärker Fuß zu fassen.

Es kommen ja auch noch 280.000 mit Ihren Dachziegeln gedeckte Hausdächer dazu. Bemerken Sie auch auf dem Bau ein Europa der zwei Geschwindigkeiten – und wie teilt sich das?
Ein Europa der zwei Geschwindigkeiten sehe ich derzeit nicht. Wir haben unterschiedliche Entwicklungen in Europa, weil die letzten Jahre speziell in Osteuropa in vielen Regionen schwierig waren. In Rumänien, Ungarn, aber auch in Tschechien sehen wir seit letztem Jahr wieder eine leichte Bewegung. Da sind die Wachstumsraten aufgrund des niedrigen Niveaus natürlich etwas höher als in Westeuropa. Aber grundsätzlich sehen wir – vor allem im Wohnungsneubau – gute Entwicklungen in Gesamteuropa mit nur einigen Ausnahmen.

Für Baufirmen ist Deutschland seit einigen Jahren ein brummender Wachstumsmarkt – auch für Wienerberger?
Bei uns hat es im letzten Jahr etwas angezogen. Vorher gab es eher mehrgeschossigen innenstädtischen Wohnbauentwicklung, 2016 hat aber das Ein- und Zweifamilienhaus um die Städte gegriffen. Wir haben gute Wachstumsraten und die sehe ich auch heuer in Deutschland.

In England spüren Sie vorweg empfindlich Brexit-Folgen?
Wir sahen 2016 rund um das Referendum etwas Instabilität im Markt. Nach den Unsicherheiten haben sie die Briten ab September wieder gefangen und ihre Wohnbautätigkeiten wieder aufgenommen. Wir hatten über das ganze Jahr hinweg eine stabile Entwicklung. Das erste Halbjahr 2017 wird in England gut werden. Das zweite Halbjahr ist etwas schwierig einzuschätzen. Die Engländer werden aber bauen, weil sie Wohnungen und Neubau brauchen, auch für die Zuwanderung. Ich sehe England für die nächsten fünf, sechs Jahre als durchaus guten, soliden, starken Markt.

Diagonal auf der anderen Seite des EU-Randes liegt die Türkei. Da haben sehr viele, auch österreichische Unternehmen große Markt- und Zukunftschancen gesehen. Jetzt ist man wieder vorsichtiger. Auch Wienerberger?
Wir sind in der Türkei nur im Rohrgeschäft – für Landwirtschaft und Infrastruktur. Wir hatten trotz der massiven Abwertung ein sehr gutes Jahr 2016. Auch 2017 lief gut an.

Wenn wir schon bei den politischen Unwägbarkeiten sind: US-Präsident Donald Trump und die Auswirkungen seiner Politik beunruhigen Sie nicht?
Wir sind ein Unternehmen, das langfristig ausgerichtet ist. Unsere Produkte haben einen Lebenszyklus von weit über 100 Jahren. Wir müssen schon Kraft unseres Geschäftsmodells langfristig denken. Politik denkt in kurzfristigen Zyklen. Wir stellen uns auf Rahmenbedingungen immer wieder neu ein, aber das bringt unsere langfristigen Strategien nicht aus der Bahn. Es spornt uns eher an, noch besser zu werden.

Sie haben 200 Werke weltweit, die jedes Jahr 100 bis 200 neue Produkte herausbringen. Wo finden in Ihren drei Bereichen Ziegel, Dach, Rohre derzeit wirklich disruptive Innovationen statt?
Disruptiv im Sinne von verunsichern würde ich eher nicht sagen. Wir wollen ein Vorreiter in der ganzen Wertschöpfungskette sein, nicht nur beim Produkt, sondern vor allem bei Verarbeitung, Verlieferung, der Logistik sowie dem Gesamthaften, nämlich dem Gebäude am Ende des Tages. In England haben wir ein Pilotprojekt mit einem Informationssystem, wo viele Beteiligte – Architekt, Planer, Projektentwickler, Logistiker – vernetzt werden, damit wir auf der Baustelle hocheffizient arbeiten. Je stärker wir diesen Weg der Digitalisierung gehen, umso stärker sind wir für disruptive Neuerungen gewappnet. Wienerberger agiert mit eigenen Start-ups und Applikationen – auch mit einer neuen Generation von Menschen.

Wie begegnet der Häuselbauer bei Ihnen der Digitalisierung?
In Ungarn haben wir eine Internet-App, mit welcher zum Beispiel ein junges Paar, das ein Haus bauen will, mit dem Architekten auf die Wienerberger-Seite geht. Mit dem Plan, den sie eingeben, wird automatisch kalkuliert, welche Materialien sie brauchen und welche Logistik, die organisiert wird bis zur Baustelle.

Was ist bei Produkten State of the Art? Worauf muss man als Häuselbauer heute bei Ziegeln und Dach besonders schauen?
In Österreich haben wir ein schon klimaneutrales Haus auf dem Markt – energie- und CO2-neutral mit unseren innovativsten Ziegelprodukten. Es erspart jegliche Zusatzdämmung. Das ist wichtig, denn man erspart sich Kosten über die nächsten Jahrzehnte. In einem Zeithorizont von 30 bis 50 Jahren ist es die billigste und nachhaltigste Bauweise, weil man keine Sanierungsleistungen am Haus hat und man spart natürlich auch noch Energie. Ein Investment zu tätigen, das sich relativ schnell zurückzahlt.