Die schottische Regierungschefin, Nicola Sturgeon, brachte erneut ein Unabhängigkeitsreferendum ins Spiel, aus Brüssel und Berlin kamen mahnende bis wütende Stimmen.

Die konservative Regierungschefin bemühte sich am Dienstag selbst in mehreren Telefongesprächen mit EU-Spitzenpolitikern, die Wogen zu glätten. So sagte sie dem französischen Präsidenten Francois Hollande, dass die bilaterale Beziehung der beiden Länder in den Bereichen Sicherheit und Verteidigung erhalten bleibe, verlautete aus dem Elyseepalast. Hollande und der deutschen Kanzlerin Angela Merkel versicherte sie, London wolle, dass die EU weiter "prosperiert".

Keine Mitgliedschaft im EU-Binnenmarkt

May hatte am Dienstag bei einer Grundsatzrede zum Brexit gesagt, Großbritannien strebe "keine Mitgliedschaft im EU-Binnenmarkt an". Ihr Land sei dann nicht mehr verpflichtet, "enorme Summen zum EU-Budget" beizutragen. Sie wolle stattdessen einen umfassenden Freihandelsvertrag mit der Europäischen Union schließen.

Die Zahl der EU-Einwanderer müsse reduziert werden, sagte May. Sie überforderten Schulen, Infrastruktur, Wohnungsmarkt und drückten die Löhne. Gleichzeitig sprach sie eine scharfe Warnung an die EU aus. Sollten Großbritannien auf dem Weg zu einem Freihandelsabkommen Steine in den Weg gelegt werden, könne das Land einen zerstörerischen Wettlauf um niedrige Steuersätze für Unternehmen in Gang setzen.

Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Die EU sei für die Austrittsverhandlungen gerüstet, twitterte Ratspräsident Donald Tusk. Er sprach von einem "traurigen Vorgang in surrealistischen Zeiten". Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier würdigte, dass May "endlich ein wenig mehr Klarheit über die britischen Pläne geschaffen hat". Der deutsche Vizekanzler Sigmar Gabriel warnte: "Rosinen picken wird es nicht geben."

"Damit zu drohen, Großbritannien in ein dereguliertes Steuerparadies zu verwandeln, wird nicht nur dem britischen Volk schaden, sondern ist auch eine kontraproduktive Verhandlungstaktik", schrieb der Brexit-Chefverhandler des Europaparlaments, Guy Verhofstadt, auf Twitter.

Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon kündigte Widerstand gegen die Pläne Mays an. Gefragt, ob der Brexit-Kurs der britischen Regierung ein zweites Referendum unausweichlich mache, sagte sie der BBC: "Ich glaube, das ist sehr wahrscheinlich der Fall". Die Mehrheit der Schotten hatte sich beim Brexit-Referendum im vergangenen Juni für einen Verbleib Großbritanniens in der EU ausgesprochen.

Der nordirische Sinn-Fein-Abgeordnete John O'Dowd warnte der BBC zufolge vor einer festen Grenze zwischen Nordirland und dem EU-Mitglied Republik Irland, sollte Großbritannien aus dem Binnenmarkt und der Zollunion austreten.

Der europäische Grünen-Chef Reinhard Bütikofer erwartet schwere Konflikte zwischen Brüssel und London. "Mit dem Zuckerguss freundlicher Worte, um die sie sich bemühte, kann Frau May nicht verdecken, dass sie eine radikale Politik verfolgt." Der CDU-Europapolitiker David McAllister sagte, die Verhandlungen könnten "in zwei Jahren unter Dach und Fach" gebracht werden.

Noch im Jänner steht eine weitere wichtige Brexit-Entscheidung an. Das höchste britische Gericht muss klären, ob das Parlament seine Zustimmung geben muss, bevor die Regierung den EU-Austritt förmlich bekannt gibt. May will die Scheidung von der EU bis Ende März in Brüssel einreichen. Sollten die Parlamentarier mitbestimmen dürfen, könnte das den Zeitplan durcheinanderbringen. Ein genauer Termin für das Gerichtsurteil steht noch nicht fest.