Einst kippte man die Puppen, damit sie einen Ton krähten. „My Friend Cayla“ brabbelt auf Kinderfragen nur so daher. Konsumentenschutzvereine mehrerer EU-Länder warnen eindringlich vor Cayla, da man vom US-Betreiber nicht wisse, was er mit den via Internet übertragenen Kinderfragen, privaten Daten also, vorhabe.

Mit dem Befehl „Alexa, stopp!“ kann man beim Pendant für Erwachsene, dem Sprachroboter Amazon Echo Dot, die in alle Wohnzimmerwinkel lauschenden Mikrofone wenigstens zeitweilig deaktivieren. Ob Alexa die Frage, wie das Wetter wird, treffender beantwortet als der Konkurrent Google Home, ist ein gefragtes Testspiel auf Youtube.

Slexa spricht ja nun auch deutsch und erzählt, wenn sie nicht weiterweiß, auch die ganze Wikipedia aus dem Netz.
Kommt die „Verbal Society“, in der alles mit der Stimme gesteuert wird und es womöglich nichts mehr zu lesen gibt? Nun, das Frühstücksgespräch mit Alexa dürfte selbst für Singles nicht der Traum sein. Interessant ist nur das System. Durch Wahrnehmung und Wiederholung antwortet das Ding vermeintlich immer „klüger“. Es ist eine simple Vorstufe zum Prinzip des „Deep Learning“, tiefen Lernens, das den Weg zu AI, Artificial Intelligence – der künstlichen Intelligenz – ebnen soll.

Gegen sich selbst gespielt

Dass es dem von Google Deep Mind entwickelten Computerprogramm AlphaGo heuer gelang, den besten Go-Spieler der Welt, Lee Sedol, am Brett zu besiegen, ist Deep Learning geschuldet. Die Entwickler ließen AlphaGo nur immer und immer wieder gegen sich selbst spielen – und so immer besser werden.

Das Prinzip ist der Schlüssel für die Industrie 4.0 mit selbststeuernden Prozessen in der vernetzten Produktion. In der Halbleiterfertigung von Infineon etwa legt ein Chip rund 15 Kilometer zwischen einem Dutzend Stationen zurück, auf denen er Unmengen an Daten hinterlässt. „Die nützen wir nicht nur für die Verbesserung des Produktes für den Kunden, sondern auch zur Optimierung unserer Fertigung“, erklärt Vorstand Sabine Herlitschka.

„Digitalisierung ist der erste globale Wettbewerb des Wissens. Es ist die Chance für Europa, weil es nicht mehr um Billigjobkosten geht“, schürt sie Zuversicht für Chancen. Nicht nur für die Großindustrie. Contrast Ernst & Young befragte in Österreich den Mittelstand, je 100 Unternehmen pro Bundesland. „Bei 56 Prozent spielen digitale Strategien für das Geschäftsmodell eine mittelgroße bis große Rolle“, so EY-Experte Martin Unger. Jedes zweite Unternehmen hat aber heuer nichts dafür investiert – und noch keine digitale Strategie.

Aber 53 Prozent sehen Digitalisierung als Chance und nur sechs Prozent als Bedrohung. Das steht Jobkiller-Studien entgegen, die Digitalisierung zum Schrecken stilisieren. Oder so interpretiert werden. Die viel zitierte Studie der Oxford-Wissenschaftler Carl Benedikt Frey und Michael A. Osborne über die Zukunft der Beschäftigung hat 700 Berufe in den USA untersucht und prophezeit binnen 20 Jahren das Verschwinden von 47 Prozent. Nicht der Berufe, sondern der Tätigkeiten, vor allem bei Routine in Verwaltung, Büro, Logistik und am Fließband. „Es kommen nun immer mehr Studien, die sagen, wie viele neue Jobs und welchen Fachkräftemangel wir haben werden“, hält Herlitschka entgegen.

Bildung als wichtigste Antwort führt auch Bundeskanzler Christian Kern in seiner Digitalen Agenda Austria an, wobei er in öffentlicher Diskussion einräumte: „Wir werden nicht aus jeder Verkäuferin einen Raketenbauer machen können.“

Umbau der Schulsysteme

An den Schulen werde Kreativität, das Gespür für den Algorithmus wichtig, war man sich heuer beim Wirtschaftsforum in Davos einig. „Die größte Herausforderung der digitalen Revolution ist der Umbau unserer 300 Jahre alten Schulsysteme“, so Vishal Sikka, CEO des indischen IT-Konzerns Infosys.

Dabei haben die meisten Branchen den dramatischen Kulturbruch, die digitale Disruption, erst noch vor sich. Am weitesten, siehe Grafik, hat sich die Medienbranche vorgearbeitet. Banken, Verkehr, Logistik, Bildung, Gesundheit haben die größten Umbrüche noch vor sich. Und große Chancen zugleich. Fix ist, dass sich rund um die Welt alles ändert, bis tief in den Alltag. Die Zahl der Smartphone-Nutzer, schätzt Forbes, wird sich von derzeit 1,9 Milliarden bis 2020 auf 6,1 Milliarden erhöhen. Für digitale Netzwerke ist erst ein Prozent der möglichen Objekte verbunden. Zuerst wird lokal alles „smart“: das Auto, das Heim, die Fabrik. Weiter denkt man an das Smart Grid, ein Netz mit Vision auf globalen Nulltarif, grüne Smart Cities statt Lärmmetropolen mit Armenvierteln, optimiertes Sharing – Teilen – statt wachsender Kluft von ultrareich und besitzlos. Oder droht eine schöne neue Orwell-Welt, in der Orientierung und Freiheit im Meer von Big Data zu versinken drohen? In der Bay von Los Angeles wurde der Begriff der „kalifornischen Globalisierung“ geprägt. Während im „Rust Belt“, dem Rostgürtel von Chicago bis Detroit Fabriken vor den Augen jener Menschen verfielen, die nun Donald Trump zum US-Präsidenten kürten, wuchsen im Silicon Valley futuristische Firmentempel. Mit 600 Milliarden Dollar ist Apple die wertvollste Firma der Welt, gefolgt von Google, Microsoft oder Amazon, das in menschenleeren Lagern von Robotern Waren schlichten lässt. Facebook-Rivale Snapchat will an die Börse. Vorweg geschätzter Wert: 25 Milliarden Dollar. Zum Vergleich: Der deutsche Jahrhundertindustriekonzern Siemens wiegt 100 Milliarden.

Die digitale Revolution werde „uns Menschen am Ende vor allem zwingen, über uns nachzudenken und uns neu zu definieren“, sagt der Münchner Biophysiker Ulrich Eberl, Autor von „Smarte Maschinen – wie künstliche Intelligenz unser Leben verändert“. Vor allem definiert sie uns bei der Verantwortung neu. Wie demokratisch wachsam wehren wir Gefahren, wie kontrolliert machen wir uns den Fortschritt zunutze, den laut Eberl vier Treiber unaufhaltsam machen: die Steigerung der Rechenleistung der Computer, die das Moor’sche Gesetz – alle 18 Monate doppelte Leistung bei halbierten Kosten – sogar noch übersteige, sodass fluide Chips, Licht- und Quantencomputer das große digitale 0 und 1 rechnen werden. Das 5G-Netz, Voraussetzung für autonomes Fahren, bringt tausendfach stärkere drahtlose Kommunikation, während, drittens, Sensoren und Kameras schrumpfen. Viertens die Datenexplosion, die heute mit zwei Exabyte, zwei Milliarden Gigabyte, am Tag zehn Mal mehr Daten generiere, als in allen Büchern der Welt stehe.

Mit Medizindaten will Google größter Diagnosekonzern der Welt werden. Ziel der Pharmaindustrie ist die individuelle Medikation – persönliche Pille nach Datencheck. Österreich forscht mit. Staatssekretär Harald Mahrer legte jüngst eine Life-Science-Strategie der Regierung vor. Forscher hinterfragen die Ethik: Im IHS in Wien erörterten Experten diese Woche Grenzen der Anwendung für die Gentechnik CRISPR/Cas9, mit der sich bisher unerreicht einfach und effizient Genome verändern lassen. Von gentechnisch angepeilten Wunderkindern handelt der jüngste Marc-Elsberg-Bestseller „Helix – Sie werden uns ersetzen“.

Nicht an Ersetzen, sondern an Helfen denkt man bei Care-Robotik in der Pflege bis hin zu „Kuschelrobotern“ für Demenzkranke. Fünf Milliarden Euro im Jahr setzt Japan mit Robotik um. 2020 will Ministerpräsident Shinzo Abe bei den Olympischen Spielen auch eine Roboterolympiade. Die Frage, was sinnvoll ist oder bedroht, ist noch heikler bei künstlicher Intelligenz, mit der Physiker Stephen Hawking „das Ende der Menschheit“ fürchtet und die Tesla-Chef Elon Musk als „die größte existenzielle Bedrohung“ sieht. „Bei Google glaubt man, dass AI etwa 2020 bis 2023 erreicht sein wird“, so Unger.

Was denkt Infineon-Chefin Herlitschka dazu? „Das Thema wird sehr schnell abheben. Wir denken viel an künstliche Intelligenz und was sie in Entwicklung und Optimierung bedeuten kann.“ Auch Eberl glaubt mehr an Nutzen als an Schaden – „wenn wir es richtig machen. Die Roboter und Systeme der künstlichen Intelligenz, die wir derzeit entwickeln, können der Schlüssel sein, um unsere Erde lebenswert zu erhalten.“