Für den Urvater der Innovation, Joseph Schumpeter, ging sie mit schöpferischer Zerstörung einher. Wie legt man diese am besten an?
MARIO WEISS: Am einfachsten durch Weglassen. Wir sind alle voll – bis oben hin – und Zerstörung heißt einfach, ich schaffe Raum für Neues.

Oder wenn etwas völlig Neues hereinbricht, wie gerade bei der Automobilindustrie.
Audi produziert täglich 2000 Autos. Das braucht auch Ruhe und Stabilität. Da kann ich nicht ständig alles verändern. Gleichzeitig muss man die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit hinterfragen. Und die braucht die eine oder andere Irritation im System. Die nächste Automobilgeneration ist das autonome Fahren. Das haben die deutschen Automobilhersteller im Griff. Die große Sorge ist die Shared Economy, wenn wir alle unsere Autos teilen und nur mehr 50 Prozent der Autos brauchen. Das haben sie gar nicht im Griff, weil es dafür völlig neue Geschäftsmodelle braucht.

Beim Datenriesen Google ist man überzeugt, beim autonomen Fahren der Autoindustrie um die Ohren zu brausen.
Es ist wie beim Kaufhaus und Onlinehändler. Verändert sich die Lösung, übernehmen andere die Spielregel. Wenn Google oder Apple autonomes Fahren lösen, müssen die Autohersteller die Störung im eigenen System auslösen. Die kommt bei Unternehmen auch von innen, durch Unzufriedenheit der Leute, die spüren, wenn etwas erstarrt.

Der Spielregelbruch erfordert radikale Innovation, setzt er ganze Branchen in Schockstarre, braucht es disruptive Innovation. Wie brachial soll es sein?
Wir glauben, dass inkrementelle Innovationen, also das kontinuierliche, schrittweise Verbessern, heute einfach nicht mehr ausreichen. Für radikale Innovationen braucht man andere Methoden, denn sie sind ergebnisoffen. Wir wissen nicht genau, wo wir herauskommen. Disruptive Innovationen sind vom Unternehmen allein überhaupt kaum beeinflussbar. Da bewegen sich ganze Szenen und Technologien.

Welche Instrumente helfen für radikale Innovation?
Das erste Spannende ist die Frage: Wie sind die Denkmodelle im Unternehmen? Also wie denkt das System, wie das Unternehmen erfolgreich ist. Wir arbeiten intensiv an den Grundannahmen, um diese zu verändern, damit wir Bereitschaft schaffen, innovativ zu sein.

Sie empfehlen auch radikale Räume. Wie müssen die sein?
Es braucht sie, wenn es zu lange dauern würde, die Kultur im Unternehmen zu ändern. Wir haben in einem 1000-Mitarbeiter-Unternehmen gemerkt: Die sind vollkommen erstarrt in sich. Da geht überhaupt nichts mehr. Die haben nur mehr Freitagmittag Schluss, keine Veränderung. Da haben wir einen Teil der Mitarbeiter herausgenommen und in ein Parallelsystem, das das alte System beauftragt hat, transferiert – schon kam Dynamik hinein. Unternehmen sind oft viel zu stark durchreglementiert, sogar in Innovationsabteilungen, wo jeder alle 15 Minuten aufschreiben muss, was er macht.

Innovation geht von Personen aus. Wie die Juwele pflegen?
Ja, viele Innovationen kommen eher von einzelnen Personen, die Freiräume haben, und nicht nur durch Guided Innovation, also durch Strategieanleitung. Diese oft als U-Boote bezeichneten Personen müssen Bühnen bekommen. Freiräume beginnen mit einem kleinen Budget, mit dem man sofort etwas ausprobieren kann, dazu zeitliche und geistige Freiräume für den Mut, kulturelle Regeln oder Gesetze kreativ zu interpretieren. Das Schlimmste in Innovationsunternehmen sind Hardcore-Juristen an der Spitze, die sagen: „Es geht nicht, weil ...“

Innovation schafft im Idealfall Chefs und Hierarchien ab?
In Holland gibt es Beispiele von Unternehmen mit bis zu 8000 Mitarbeitern, wo man die Führung herausnahm und die sich im Sinne des Empowerments selbst organisieren. Fest steht, dass in zahlreichen Unternehmen wesentlich mehr Leute sind, die sich mit Kontrollsystemen beschäftigen als mit Innovation. Das schnürt die Unternehmen zu.