Ihre Zeugnisnote für Reformen und Konjunkturmaßnahmen der Bundesregierung?
THOMAS BIRTEL: Ein Befriedigend. Österreich sehen wir als eine Bank an, als verlässlichen Heimmarkt. Aber es fehlen dynamische Impulse, sowohl privat als auch öffentlich. Es ist ein stabiles, aber hart umkämpftes Geschäft auch im Großraum Wien. Die Dynamik kommt vom großen Bruder Deutschland. Ich tröste meine österreichischen Kollegen immer damit, dass es vor zehn, 15 Jahren genau andersherum war. Die Suche nach alternativen Geldanlagen – Stichwort Betongold – hat zu einem Boom im deutschen Hochbau geführt und wir sind dort auch als großer Projektentwickler unterwegs.

Betongold passt für ein Gusto-Projekt der Strabag in Berlin, das neue Axel-Springer-Haus. Das alte Verlagshaus stand jahrzehntelang als Trutzburg des Kapitalismus an der Mauer.
Birtel: Beim Axel-Springer-Neubau handelt es sich um ein sehr ambitioniertes Projekt. Eine sehr schöne Aufgabe an ganz prominenter Stelle, mit dem renommierten Architekten Rem Koolhaas aus den Niederlanden, mit dem wir schon Projekte in den Niederlanden und in Dänemark realisiert haben.

Springer rühmt sich als digitaler Medienkonzern, Sie propagieren für die Strabag das digitale Bauen. Was ist das konkret?
Birtel: Das digitale Bauen ist die Zukunft. Es geht um die möglichst vollständige digitale Abbildung eines Bauwerks vom Planungsanfang bis zum Betrieb und am Ende bis zum Abriss. Wenn Sie wollen, die virtuelle Vorwegnahme des physisch gebauten Gebäudes in der Planung und dann Kontrolle während der Errichtung, aber bis hin zum Facility Management. Das von Rem Koolhaas geplante Bryghus im Hafen von Kopenhagen war unser erstes volldigitalisiertes Hochbauprojekt.

Wenden Sie das beim Bau der Medizinischen Fakultät der Sigmund-Freud-Uni in Wien an?
Birtel: Das bessere Beispiel ist das Springer-Haus, weil das vom Anspruch her so schwierig ist, dass sich der große Aufwand lohnt. Das BIM, Building Information Modeling, konzentriert sich auf Hoch- und Ingenieurbau. Unsere zweite Schiene ist der digitale Verkehrswegebau. Stichwort „Vernetzte Baustelle“ im Straßenbau. 150 km Autobahnbau sind eine Art Serienfertigung, ein Kilometer nach dem anderen, auch wenn sich Untergrund und Streckenführung ändern. Diese Serienfertigung muss optimal organisiert werden, mit Materialflussabbildung über digitale Echtzeittools, dass man sich Warten an der Asphaltmischanlage erspart. Wir sind damit avantgard, aber nicht flächendeckend.

Aus Ungarn und Tschechien melden Sie Bahnaufträge, in Polen stiegen Sie in die Straßeninstandhaltung ein. Gleicht das die Rückgänge in Russland aus?
Birtel: Ja. Wir sind ja auch das größte Bauunternehmen in Deutschland, und der deutsche Markt entwickelt sich auch mit der Reparatur, dem Refurbishment veralteter Infrastruktur vor allem in Westdeutschland stark. Da sind Wachstumsraten mit großem Hebel für uns, die Russland überkompensieren.

In Deutschland sind Sie auch im Stromgeschäft engagiert. Sie haben ein Nordsee-Windparkprojekt mit 97 Windanlagen an Wattenfall verkauft, haben aber ein Speicherprojekt für Ökostrom in Ostdeutschland in Angriff genommen.
Birtel: Wir verstehen uns als Bautechnologiekonzern und sehen, dass in der Energiewende auch viele Bauaufgaben liegen. Wir haben ein eigenes Verfahren entwickelt, Offshorewindmasten industriemäßig zu installieren, aber da haben sich die Rahmenbedingungen so geändert, dass wir unsere Aktivitäten eingemottet haben. Bei Energiespeicherung haben wir schon Referenzen mit erprobten Technologien, und so ein Projekt für Pumpspeicherwerke gibt es in Thüringen.

In Chile plagte die Geologie beim Tunnelprojekt. Ein neues Strabag-Projekt verlegt einen Kupfer-Tagbau in den Untertagbau. Chile-Projekte zieht Aufsichtsratschef Alfred Gusenbauer an Bord, der da vernetzt ist?
Birtel: Herr Gusenbauer ist in diesen Tagen wieder in Südamerika. Bei dem Projekt im Kupferbergbau handelt es sich aber um ein weiteres in einer langen Kette von Projekten, die wir seit fast 30 Jahren in Chile einfahren. Da ist unsere Tochter seit langer Zeit mit etwa 3000 Mitarbeitern im Mining-Bereich unterwegs. Für das Tunnelprojekt war nicht Herr Gusenbauer Auslöser, sondern wir haben es von einem US-Kunden.

Wie kommen Sie mit ihm aus? Gusenbauer kann launig sein.
Birtel: Bei launig bin ich bei Ihnen, launisch, also von wechselhafter Laune, würde ich nicht sehen. Unsere Hauptversammlung hat er bedachtsam im Griff, auch wenn es hoch hergeht mit Demonstranten auf dem Podium.

Jetzt können Aktionäre ja auf einen 2016 von 23 Euro auf 31 Euro gestiegenen Kurs blicken.
Birtel: Es ist ein Acht-Jahres-Hoch. Nur im ersten Jahr nach dem Börsengang war der Kurs höher. Wir tun, was ein Vorstand für die Kurspflege tun kann: Stetig gute Ergebnisse abliefern und ich freue mich, dass das in den letzten Jahren immer zunehmend gelungen ist und auch dieses Jahr gelingen wird. 2016 sollte das erste Jahr sein, in dem wir es schaffen, drei Prozent EBIT auf den Umsatz zu erwirtschaften. Und ich bin froh, dass ich bis heute keinen Anlass sehe, diese Voraussage zu revidieren, sondern ich gehe nach wie vor fest davon aus, dass wir dieses Ziel mindestens erreichen werden.