Die sind Schauspieler, Musiker und passionierter „Vorleser“, vor allem zeitgenössisch-österreichischer Literatur. Wo findet dort Peter Rosegger seinen Platz?
JOHANNES SILBERSCHNEIDER: Ich bin nicht gerne ausschließlich, bei mir hat viel Platz. In der Literatur von Herms Fritz bis Peter Rosegger, in der Musik von Attwenger bis, ja sogar bis zum Gabalier. Der ist zwar nicht mein persönlicher Geschmack, aber ich denk mir: soll sein, darf sein. Wo ich ein Problem habe, sind Massen, weil Massen nie etwas Gutes bewirken.

Rosegger polarisiert noch immer stark. Zwischen pfui und Local Hero gibt es nichts.
JOHANNES SILBERSCHNEIDER: Ich finde, dass der Rosegger in vielen Bereichen sehr fortschrittlich war. Und sein „Heimgarten“ war ein ganz eigenes Kapitel. Dort hat er buchstäblich über Gott und die Welt geschrieben bzw. andere schreiben lassen. Rosegger hat sich dort mit allen Zeitströmungen beschäftigt und war, wenn man so will, der erste Blogger. Erst als sein Sohn den „Heimgarten“ übernommen hat, wurde daraus ein nationalistisches Sammelsurium.

Auf der Schublade, in der Rosegger steckt, steht: Heimatdichter, Volksdichter, gestrig, betulich, politisch nicht ganz koscher. Was sollte Ihrer Meinung nach stattdessen draufstehen?
JOHANNES SILBERSCHNEIDER: Mensch.

Nur Mensch?
JOHANNES SILBERSCHNEIDER: Ja, nur Mensch. Obwohl Peter Rosegger selbst als Mensch schwer greifbar ist, hat ihn das Menschsein ausgezeichnet. Ich glaube, er war einer, der nie jemandem Schlechtes wollte oder tat. Auch seine Inspirationsquelle als Schriftsteller waren die Menschen: ihr Leid, ihr Leben, ihre Entwicklung. Rosegger war nie ein Treiber, ein Hetzer oder ein Zyniker. Natürlich wurde er im Nachhinein verwertet und verwurschtet, aber das muss man von seiner Person trennen. Bei Rosegger kommt noch ein Problem dazu: Außer einigen Experten kennt niemand sein Werk wirklich. Er ist also ein ideales Opfer für ideologischen Missbrauch.

Wie bewerten Sie den Schriftsteller Rosegger?
JOHANNES SILBERSCHNEIDER: Ich finde, er war ein guter Schreiber, der sich für Themen eingesetzt hat, die damals sicher nicht dem Zeitgeist entsprochen haben.

Wann sind Sie persönlich auf Rosegger gestoßen?
JOHANNES SILBERSCHNEIDER:Mein Vater war ein Rosegger-Fan. Ich selbst habe als Kind und als Jugendlicher kaum gelesen, nur Büldl gschaut. Viel später dann, im Reinhardt-Seminar, gab es einen sehr zynischen, intelligenten, existenzialistisch angehauchten Regieprofessor, vor dem ich Riesenangst hatte, und der hat mich gefragt, was ich denn so lese. Ich habe nicht so recht gewusst, was ich antworten soll, und hab gestottert: Peter Rosegger, Karl May und Jack Kerouac. Da hat der Professor gelächelt und gemeint: „Na, ist doch schon was!“ Wieder später, als ich in Hamburg war, wurde ich gefragt, ob ich als Steirer nicht aus Werken von Rosegger lesen könnte. Da habe ich mir dann aus dem Antiquariat Literatur besorgt und bin auf seine Mundart-Sachen gestoßen. Davon war ich total fasziniert. Zu dieser Zeit habe ich aber auch – und jetzt sind wir wieder beim Thema Platz haben – in Reinhard P. Grubers „Wirtshausoper“ gespielt. Apropos Platz haben: Ein leuchtendes Beispiel ist da für mich der Hanns Koren. In seiner großen Welt war für mindestens zwei Peter Platz: für den Rosegger und den Handke. Übrigens, Rosegger selbst hat in Norddeutschland Lesungen in Dialekt abgehalten. Wie das funktioniert hat, ist mir ein Rätsel. Heute gibt’s ja schon bei Hader-Filmen in Bayern Untertitel.

Interessant ist, dass Sie quasi erst aus der Ferne den naheliegenden Dichter entdeckt haben. Warum tun wir uns so schwer mit dem Wort und dem Gefühl „Heimat“? Liegt das an der politischen Vergangenheit dieses Landes oder daran, dass wir uns generell mit Nähe schwertun?
JOHANNES SILBERSCHNEIDER: Es liegt wohl an beidem. Als ich weiter weg war, hat mich damals irgendetwas gepackt, was mit Kindheitsprägung zu tun hatte. Und immer habe ich an die Person Rosegger gedacht: ein einfacher, junger Mensch, der von daheim wegging, der gefördert wurde, der seinen Weg machte, der aber echt blieb, der sich nie verstellt hat.

Sprechen wir jetzt über Peter Rosegger oder Johannes Silberschneider?
JOHANNES SILBERSCHNEIDER: Vielleicht projiziere ich etwas von mir in ihn hinein, das kann schon sein. Aber zurück zur Heimat. Natürlich wurde der Begriff durch die Nationalismen des 20. Jahrhunderts pervertiert. Ich persönlich verbinde damit: Wärme, Geborgenheit, ein Zuhause, Familie, das ist die Urheimat. Aber vielfach ist der Mensch längst heimatlos geworden, und ich meine das nicht geografisch. Ich glaube, das hat bereits mit der industriellen Revolution begonnen. Nicht nur die Arbeit wurde zerstückelt, auch der Arbeiter. Und wenn dem Menschen das Menschsein genommen wird, ist er natürlich ohne Wärme, ohne Geborgenheit, ohne Zuhause, ohne Heimat also.

Was wünschen Sie sich in diesem Jubiläumsjahr im öffentlichen Umgang mit bzw. im Diskurs über Peter Rosegger?
JOHANNES SILBERSCHNEIDER: Ich wünsche mir, dass auch die Jungen Rosegger lesen. Ich wünsche mir, dass man sich mit diesem Schriftsteller beschäftigt – und dann erst urteilt. Wenn man jemanden schon in eine Schublade steckt, sollte man wenigstens schauen, was drinnen ist. Und nicht nur, welches Etikett draufsteht.