Seit am Montag, dem Tag nach der Gemeinderatswahl, in den frühen Morgenstunden die Rodungen an den Grazer Murufern für den Bau der Staustufe losgegangen sind, begleiten Kraftwerksgegner die Arbeiten Tag für Tag mit Störaktionen. Jeden Tag wird auch zu Demonstrationen aufgerufen.

Diskussion auf Kleine-TV

Die Grundsatzfrage, die hinter dem umstrittenen Projekt steht, wurde heute im Kleine-TV diskutiert: Wiegt der saubere Strom aus dem Wasserkraftwerk mehr als der massive Eingriff in die Natur, um das Kraftwerk zu bauen?

Im Studio diskutierten mit Kleine-Zeitung-Redakteur Gerald Winter-Pölsler: Urs Harnik-Lauris, Sprecher der Energie Steiermark, und Clemens Könczöl, Sprecher der Initiative „Rettet die Mur“, die gegen das Kraftwerk mobilmacht.

Der Live-Stream zum Nachsehen

Hart, aber fair: Harnik-Lauris und Könczöl brachten die wechselseitigen Standpunkte auf den Punkt:

  • Gerodet wurde schon einen Tag nach der Wahl, weil Rodungen nur bis 15. März gestattet sind und die Zeit drängt (Harnik-Lauris).
  • Gebaut wird, weil das Land - auch in Hinblick auf die Klimaziele von Paris - den Anteil an "grünem", also ohne CO2-Ausstoß produziertem Strom - erhöhen will. Das Kraftwerk produzieren so viel Strom, "dass damit alle Straßenbahnen sechseinhalb Jahre lang durch Graz fahren können, 60.000 Tonnen CO2 werden damit eingespart" (Harnik-Lauris).
  • Eine saubere Energiebilanz in zwanzig Jahren sei den Grazerinnen und Grazern heute egal, sie bräuchten heute die Bäume, die der Feinstaubbelastung entgegenwirkten (Könczöl).
  • Aufgrund der veränderten Rahmenbdingungen rechne sich das Kraftwerk auch wirtschaftlich wieder: Der Strompreis sei wieder höher, die Investitionen aufgrund gesunkener Preise niedriger und überschüssiger Strom fließe ins Fernheizwerk Puchstraße und ersetze dort Energie aus Gaskesseln. "Der Aufsichtsrat hat alle Informationen, aber mit Detailkalkulationen gehen wir nicht an die Öffentlichkeit." (Harnik-Lauris)
  • Wirtschaftlich darstellbar sei das Kraftwerk nur aufgrund der Förderungen des Landes und des zinsgünstigen Kredits der Stadt (Könczöl). Die Verschuldung der Stadt werde durch die Finanzierung des Speicherkanals zusätzlich in die Höhe getrieben.
  • "Genau diese Intransparenz ist es, die die Leute aufregt." Die Grazer bräuchten kein Kraftwerk sondern hätten andere Bedürfnisse: Gute Luft und viel Natur (Könczöl), aber keine hässliche Megabaustelle mit zusätzlicher Belastung durch den Lkw-Verkehr. "Es profitieren nur Bauwirtschaft und Schlägertrupps." (Könczöl)
  • Mit der Baustelle "gewinnen wir keinen Schönheitspreis", aber es sei nur eine vorübergehende Belastung und in dieser Zeit würden 1.800 zusätzliche Arbeitsplätze gesichert (Harnik-Lauris).
  • Die Auflagen im Zuge der Umweltverträglichkeitsprüfung würden nicht eingehalten, "wir haben Anzeigen eingebracht". (Konczöl)
  • Alle Auflagen würden penibel eingehalten und von Ökologen ökologischer Baufsicht überwacht, "während der ganzen Bauzeit wird es auch Führungen geben". (Harnik-Lauris)
  • Tausende Bäume seien unwiderbringlich verloren. (Könczöl)
  • Die Bäume seien nur zwischenzeitlich verloren. 4,7 Hektar Gesamtfläche würden gerodet, 6,8 Hektar Fläche neu aufgeforstet - mit in Summe 20.000 Büschen und Bäumen: 1,8 Hektar auf der Olympiawiese, 2,5 Hektar in Rudersdorf, 1,8 Hektar südlich der Autobahnbrücke: "Im UVP-Bescheid sind alle Flächen klar definiert, und vorgeschrieben, welche Bäume zu pflanzen sind, um die Artenvielfalt zu erhalten." Es werde auch keine betonierten Dämme geben, wie kolportiert, sondern begrünte Erdhügel, auf denen die Radwege verlaufen. (Harnik-Lauris)
  • "Wir brauchen die Bäume jetzt, wegen des Feinstaubproblems." (Könczöl)
  • "Ich darf daran erinnern: Die Bäume tragen im Winter keine Blätter. Und wir haben das Glück, das in Graz jährlich 15.000 Festmeter Holz neu zuwachsen: pro Monat wächst in Graz also so viel Holz zu wie jetzt gerodet wurde." (Harnik-Lauris)
  • "Die Aussagen unserer Wissenschafter belegen eine Verschlechterung, und das sind keine Aussagen einer Werbeabteilung". Der ökologische Preis für das Kraftwerk sei zu hoch. (Könczöl)
  • "Namhafte Ökologen von Land und Bund haben gesprochen, es gibt einen positiven Bescheid. Wir akzeptieren Proteste und Kundgebungen, solange sie im legalen Rahmen bleiben." Von den Morddrohungen, Zerstörungen und gefährlichen Protestaktionen müssten sich die Verantwortlichen von "Rettet die Mur" distanzieren. (Harnik-Lauris)
  • "Davon haben wir uns schon vor Wochen distanziert. Es ist uns wichtig, dass alles friedlich abläuft, dass es keine Verletzten gibt." (Könczöl).

Fragenkatalog der Aktivisten

Aktivisten versuchten in den vergangenen Tagen die Bauarbeiten zu behindern, indem sie auf Bäume kletterten und ein kleines Lager mit Zelten errichteten. Die Räumung dürfte kurz bevor stehen. Ein massives Polizeiaufgebot auf der einen Seite, eine größere Gruppe von Demonstranten auf der anderen Seite.

Während die Aktivisten unentwegt "Die Mur soll endlich wieder fließen, laut stark und wild" singen, kommt es zu Rangeleien und kleineren Scharmützeln. Laut einem Polizeisprecher handelt es sich um eine nicht genehmigte Versammlung. Über die weitere Vorgehensweise wollte die Polizei keine Auskünfte geben. Zumindest elf Mannschaftswägen der Polizei befinden sich vor Ort. Die Feuerwehr ist auch mit einem Boot vertreten.

Gegen 9.30 Uhr wurde dann faktisch das Murcamp aufgelöst. Die Aktivisten bauten die rund zehn Zelte ab; einige ketteten sich offenbar auch an den Bäumen an.

Die Aktivisten vom "Murcamp" haben am Vormittag einen Forderungskatalog an Polizei, Estag und Politik übergeben. Folgende vier Punkte wünschen sich die Kraftwerksgegner:

- Mehr Zeit, um Anliegen in den Stadtsenat einzubringen

- Gemeinsame Begutachtung der Baustelle mit dem Stadtsenat

- Verlegung des Camps an eine bisher ungerodete Stelle an der Mur

- Veröffentlichung der Namen der bislang anonymen Personen der forstökologischen Bauaufsicht