Nagl wählen - diese schlichte Devise und ein grünes Dreiecksemblem haben sich viele Grazer auf Facebook derzeit angeheftet. Es sind die Unterstützer des Grazer Langzeitbürgermeisters Siegfried Nagl, der weit über die Grenzen seiner ÖVP hinaus auf Rückenwind zählen kann.

Nagl, 53 Jahre alter Innenstadtkaufmann und vor zwei Jahrzehnten ein Spätumsteiger in die Politik, führt seit 2003 die Regierungsgeschäfte im Rathaus und befindet sich in komfortabler Position: Obwohl er zum fünften Mal antritt und zum dritten Mal den Spitzenplatz verteidigt, gilt er schon vor dem Urnengang wieder als wahrscheinlicher Wahlsieger. Verhandelt werden eigentlich nur das Ausmaß des ÖVP-Vorsprungs und die Frage, ob die FPÖ oder die KPÖ mit Respektabstand Platz zwei belegt.

Hohe Mobilität

So eine Kontinuität ist auf den ersten Blick erstaunlich, denn die Grazer Wähler sind für ihre hohe Mobilität bekannt. Bei den letzten vier Wahlen seit 2012 waren in Graz vier verschiedene Parteien vorne: bei der Gemeinderatswahl die ÖVP, bei der EU-Wahl die Grünen, bei der Landtagswahl die SPÖ und bei der Nationalratswahl am Wahlabend die FPÖ. Die wurde dann zwar mit Wahlkarten noch von den Grünen überholt, doch der Befund gilt trotzdem: Graz ist bunt und unberechenbar. Ideologisch gebundene Stammwähler gibt es kaum in jener Stadt, in der schon 1983 Grün-Alternative in den Gemeinderat einzogen.

Klaus Poier, Politikwissenschaftler an der Uni Graz, führt das Tohuwabohu an der Urne auf soziologische Faktoren zurück: „Graz ist eine Mischung aus modern-urbanem Bürgertum und städtischem Proletariat.“ Da beides ausgewogen vorhanden sei, werde jedes Resultat möglich.

In 32 Jahren nur zwei Stadtchefs

Tatsächlich gibt es die Studentenviertel und Bürgerwohnhäuser, in denen neben der ÖVP eben gerne grün oder auch kommunistisch gewählt wird, und andererseits „urrote“ (Poier) Industriegebiete, die SPÖ und verstärkt auch FPÖ wählen.
Die Wählermobilität kontrastiert allerdings auf eigentümliche Weise mit personeller Kontinuität an der Stadtspitze: In über 70 Jahren Nachkriegsgeschichte hatte Graz nur sechs Bürgermeister, in den letzten 32 Jahren überhaupt nur zwei.

Sieht man von Kurzzeit-Stadtoberhaupt Franz Hasiba (ÖVP) ab, der von 1983 bis 1985 nur aufgrund einer „Halbzeitlösung“ den Chefsessel wärmte, hat noch jeder Grazer Bürgermeister mindestens ein Jahrzehnt regiert. Das gilt sogar für den FPÖ-Hardliner Alexander Götz, der 1973 per schwarz-blauem Pakt ans Ruder kam und sich bis 1983 hielt.

Ein Sonderfaktor ist in Graz die KPÖ: Partei-Ikone Ernest Kaltenegger führte die einst schon historisch Abgeschriebenen um die Jahrtausendwende als legendärer Wohnungsstadtrat auf über 20 Prozent, seine stille Nachfolgerin Elke Kahr konnte den Höhenflug wider Erwarten prolongieren. Dazu trägt bei, dass die KP-Politiker bis heute den Großteil ihrer Gehälter für Soziales spenden.

Arg ramponiert präsentiert sich dagegen die frühere Mehrheitspartei SPÖ, die den Abgang ihres Langzeitbürgermeisters Alfred Stingl (2003) im Grunde bis heute nicht verwunden hat. Flügelkämpfe hatten zur Folge, dass die Stadtpartei in den letzten acht Jahren acht Vorsitzende hatte. Ihr letzter Zugewinn bei Stadtwahlen datiert überhaupt schon aus 1988.

Kaum starke Wahlkampfthemen

Die Grazer Wahl ist jedenfalls überregional von Belang - nicht nur für die rot-schwarzen „Koalitionszwillinge“ in der Landesregierung, Michael Schickhofer und Hermann Schützenhöfer, die in Graz Landtagswahlen gewinnen oder verlieren können. Mit 223.000 Wahlberechtigten ist der Grazer Wählertopf nur unwesentlich geringer als jener bei Landtagswahlen im Burgenland oder in Vorarlberg. Deshalb ist Graz auch bundesweit ein wichtiger Stimmungstest.
Der Wahlkampf verlief bisher erstaunlich ereignislos - keine Partei konnte oder wollte starke Eigenthemen setzen. Neben dem Generalthema Integration/Migration - mäßig befeuert von FPÖ-Spitzenmann Mario Eustacchio - geht es vor allem um den aktuell bevorstehenden Bau eines Murkraftwerks im Stadtgebiet. Politologe Poier sieht taktische Zurückhaltung: Nagl etwa würde mit einer Forcierung des Ausländerthemas nur der FPÖ in die Hände spielen. Die Grünen wiederum unterscheiden sich mit der Anti-Kraftwerks-Haltung nicht von der KPÖ.

Sollte die ÖVP vorne bleiben, hat sie es laut Poier „ausschließlich“ Nagl zu verdanken, der die Parteischwäche überdeckt. Allerdings hat dann auch Nagl wieder ein Problem: Er braucht einen Regierungspartner, wird aber schwer einen finden. Da in Graz noch die Proporzregierung gilt, dürfte es so weitergehen wie bisher: mit viel Opposition auf der Regierungsbank.