Der Beginn klingt holprig: „Denk ich an Österreichs Identität in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht“, schreibt der Historiker und frühere Wiener Stadtschulratspräsident Kurt Scholz. Er eröffnet mit diesem Vers den Ideen-Sammelband „Agenda Österreich 22“. Das 60 Seiten starke Thesenpapier, verfasst von profilierten Vor- und Nachdenkern aus dem In- und Ausland, liefert den Stoff für ein großes gemeinsames Nachdenken über unser Land, das Donnerstag und Freitag in der Aula der Alten Universität in Graz stattfindet.

Eingeladen hat ÖVP-Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Landeshauptleute-Konferenz. Die Formel „Österreich 22“ soll darauf verweisen, dass man Handlungsempfehlungen für die Mittelfrist-Perspektive bis zum Jahr 2022 erarbeiten will. Darüber hinaus soll der Kongress dauerhafte Impulse für eine Weiterentwicklung des österreichischen Selbstverständnisses und des Selbstbildes im 21. Jahrhundert liefern.

"Es müssen Taten folgen"

Schützenhöfer sagte zur Eröffnung, es sei "gut, wichtig und notwendig, dass sich führende Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Wissenschaft, Medien, Politik und Kunst hier versammeln. Vor 14 Tagen hat es in Graz die LH-Konferenz mit einer Aussprache mit Kanzler und Vizekanzler gegeben". Es gab eine gemeinsame Erklärung hinsichtlich großer und notwendiger Reformen in vertrauensvoller Atmosphäre. "Das klingt schön, aber es müssen Taten folgen, wenn es nicht Leerformeln bleiben sollen", sagte der Landeshauptmann. Denn viele hätten die Hoffnung verloren, dass es noch zu einem großen Durchbruch in der Regierungskoalition komme, obwohl es gute Ansätze wie jetzt in der Bildungspolitik gebe.

"Stillstand und Trägheit überwinden"

Man müsse den Versuch unternehmen, neue Wege gehen und nicht immer Bund gegen Länder ausspielen: "Ich bin zutiefst überzeugt, dass unser Land zu klein ist für solche Machtspiele", so der LH. Sozialdemokratie und Volkspartei hätten nicht ausgedient, man müsse miteinander das Richtige tun und nicht nur auf nächsten Wahltermin schielen. "Von dieser Veranstaltung sollte ein starkes Signal ausgehen, dass Stillstand, Blockade und Trägheit überwunden werden müssen. Ihre Ansätze müssen wir nachhaltig in den österreichischen Diskurs einbringen."

Dabei gehe es darum, welches Bild und Rolle Österreich im 21. Jahrhundert gebe. "Was sind die Werte einer zunehmend diverser werdenden Gesellschaft? Der EU-Beitritt brachte Innovationsschub, aber es hat sich Unbehagen breitgemacht", konstatierte Schützenhöfer. Irgendwie sei dieses Österreich und auch die EU saturiert: "Der geistige Wohlstand hält mit dem materiellen nicht mit, es ist ein alles gleichzeitig haben wollen. Manche leben sogar gegeneinander. Damit einher geht nach meinen Befund eine gewisse Ziellosigkeit, wir können und dürfen uns Stillstand und Rückfall aber nicht leisten". Wenn man auch in Zukunft zu den reichsten Nationen zähle wolle, müsse in Wissenschaft und Forschung investiert werden. "Wenn wir als kleine Nation wettbewerbsfähig sein wollen, brauchen wir ein effizientes Verwaltungssystem und Staatsgebilde und einen "wirklich neuer Finanzausgleich", so der steirische Landeschef in seiner Eröffnungsrede.

Anleihen bei Monty Python

Der Vorsitzende des Zukunftsfonds der Republik, Kurt Scholz, griff als erster Redner zu einem Vergleich aus der Welt der britischen Komikertruppe Monty Python, nämlich einer Szene aus dem Film "Das Leben des Brian", mit John Cleese als Agitator gegen die Römer, dem dann aber seine eigenen Leute deren Leistungen aufzählen. Vieles daran erinnere an die heutige Unzufriedenheit, so Scholz.

In den vergangenen 70 Jahre sei Österreich zu einer der wohlhabendsten Nationen geworden. "Ich habe kein Patentrezept für die nächsten 70 Jahre, aber mit Verdruss können wir diesen Zeitraum nicht bestreiten. Er habe drei Dinge einzumahnen. Es müsse Schluss sein "mit der permanenten Schuldzuweisung an Politik und Politiker - auch von Wirtschaft und Sozialpartnern, die Banker waren hier besonders vorlaut, obwohl sie meines Erachtens wenig Grund dazu hatten", so Scholz. Ein zweiter Punkt: "Man kann den Zustand des Landes nicht ohne den Zustand der Medien beurteilen. Den Zeitungen geht es nicht gut". Ohne freie Medien wäre man die Türkei Erdogans. Die erste Freiheit der Presse bestünde darin, "eben kein Geschäft zu sein". Und drittens gebe es "zu viel Rückzug zu vieler ins Unpolitische. Wenn man andere, bessere Politik haben will, ist Rückzug sicher die schlechteste Option. So reformbedürftig der Parteienstaat sein mag, ohne geht es auch nicht", sagte Scholz.

Von Integration bis Bürokratie-Abbau

In fünf Arbeitskreisen werden die Themen Identität, Wirtschaftspolitik, Integration, Bildung sowie Kunst/Kultur abgehandelt. Die im Vorfeld eingebrachten Impulse decken ein breites Feld aus oft Gehörtem, aber auch an Ungewöhnlichem ab: Bürokratie abbauen, Steuern senken, die Forschung intensivieren – das sind konventionelle Zugänge. Dagegen plädiert etwa der Physiker Mario Müller für „plektische Lösungen“, die sowohl einfache als auch komplexe Muster aufweisen. Unter den Ideengebern finden sich auch Styria-Vorstandschef Markus Mair, Kleine Zeitung-Chefredakteur Hubert Patterer und Stellvertreter Thomas Götz.