Ein junger Afghane hat sich am Donnerstag wegen des Verdachts des Mordversuchs im Landesgericht Leoben verantworten müssen: Der Bursche hatte im April einen Mitschüler und Landsmann nach einem Referat über unterschiedliche Volksgruppen in Afghanistan mit einem Messer am Hinterkopf verletzt. Die Frage war nun, ob er aus Notwehr oder mit Vorsatz gehandelt hat. Der Bursche - er ist laut Reisepass 1998 geboren, sagte aber, dass er in Wahrheit zwei Jahre jünger sei - ist 2015 nach Österreich gekommen und hat um Asyl angesucht. Er besuchte zusammen mit anderen Asylwerbern eine sogenannte Übergangsstufe in Liezen, eine besondere Schulklasse, in der ausländische Jugendliche auf gewöhnliche Schulklassen vorbereitet wurden. Am 6. April hatte der Angeklagte ein Referat zu halten und sprach laut Staatsanwalt Andreas Petritsch über die unterschiedlichen Volksgruppen in Afghanistan. Einem anderen Schüler passten die Ansichten offenbar nicht, weshalb es zu Provokationen gekommen sein soll und die beiden ihre Auseinandersetzung vor dem Schulgebäude ausfechten wollten.

Kontrahenten

Zwei weitere Burschen gingen zusammen mit den Kontrahenten hinaus. Es kam zu einer Rauferei, bei der sich dann auch einer der mitgegangenen Burschen beteiligte. Einer hielt den Afghanen zurück, während der andere ihn attackierte. "Der Angeklagte war erzürnt, weil er ihn zurückgehalten hat. Daher ging er zu seinem Rucksack und nahm sein Jausenmesser", stellte der Ankläger die Situation dar. Mit der etwa elf Zentimeter langen Klinge soll der Beschuldigte auf sein Opfer eingestochen und es am Arm sowie am Hinterkopf verletzt haben.

Der Angriff sei laut Petritsch wuchtig gewesen, denn das Messer sei nun "wie eine Ziehharmonika verbogen". Das Opfer habe Glück gehabt, dass die Klinge nicht in das Hirn eingedrungen sei. Erst nach der Messerattacke soll das Opfer einen Stein als Bewaffnung zur Verteidigung genommen haben. Anders schilderte es jedoch der Verteidiger des Angeklagten: Bis zum Kampf stimmte der Hergang überein, doch die Frage sei, ob zuerst der Stein oder das Messer im Spiel gewesen sei. Der Angeklagte sagte, er habe sein Obstmesser nur deshalb aus dem Rucksack geholt, weil sein Kontrahent zwei Steine genommen hätte. Er fühle sich nicht schuldig und habe sich nur gewehrt.

Der afghanische Jugendliche demonstrierte Richter Peter Wilhelm, wie er seine linke Hand schützend vor sein Gesicht gehalten und mit der rechten Hand mit dem Messer herumgefuchtelt habe, um den anderen fernzuhalten. Der Angeklagte beteuerte, dass er keine gezielten Stiche gesetzt habe. Bei seinen Schilderungen wich er jedoch nicht nur einmal von seinen bisherigen Angaben ab - manches konnte er auch nicht schlüssig darstellen.

Ehe sich die Befragungen überhaupt um den Tathergang drehten, versuchte das Gericht, sich ein Bild vom Vorleben des Beschuldigten zu machen. Der junge Mann gab an, dass er in seiner Heimat von Talibankämpfern dazu gezwungen worden war, Propaganda zu machen. Er sei entführt und im Umgang mit Waffen ausgebildet worden. Dabei habe er auch für Fotos posieren müssen, die er auf seinem Mobiltelefon gespeichert hatte. "Sie haben Fotos auf Ihrem Handy, wo sie mit einer Waffe posen, obwohl Sie dazu gezwungen wurden?" hakte einer der Richter nach. Der Beschuldigte meinte, er habe sie zugeschickt bekommen.

Ein weiterer Knackpunkt ist auch das Alter des Burschen. Laut den Unterlagen des Gerichts war der Afghane nach seinem Asylantrag in Österreich, bei dem er keinen Reisepass vorlegen konnte, unerlaubterweise nach Dänemark weitergereist. Dort haben Behörden gleich drei unterschiedliche Namen mit unterschiedlichen Geburtsdaten, die alle dem Beschuldigten gehören, gefunden. Der Bursche meinte, dass es sich nur um eine andere Schreibweise des Namen handelte.

Bezüglich des Geburtsdatums mutmaßte der Beschuldigte, dass die Behörden vielleicht nicht das eingetragen haben, was er ihnen gesagt habe: "Die wollten mich vielleicht schnell volljährig machen, um mich leichter abschieben zu können." Dem entgegnete einer der Richter: "Dänemark ist ein Rechtsstaat mit hoher Reputation." Außerdem konnte er nach seiner Überstellung von Dänemark nach Österreich plötzlich sehr wohl einen Reisepass aus seiner Heimat vorlegen. "Ein Freund meines Vaters hatte ihn mir nach Österreich geschickt", meinte der Angeklagte.

Opfer und Zeugen am Wort

Am Nachmittag haben in Leoben erste Zeugen und auch das Opfer der Messerattacke vor Gericht ihre Sichtweise der Vorfälle dargestellt. Der verletzte Mitschüler sagte, dass der Angeklagte in seinem Referat falsche Daten über die Geschichte Afghanistans genannt haben soll. Außerdem soll er vorgetragen haben, dass "ganz Afghanistan aus Paschtunen besteht".

Mitschülern, die der afghanischen Hazara-Minderheit angehören, habe das nicht gefallen, meinte der Zeuge. Sie hätten mit dem Jugendlichen diskutiert. Dann seien sie zu viert aus dem Schulgebäude gegangen. Den Schilderungen des späteren Opfers zufolge soll der Angeklagte zuerst auf einen der anderen eingeschlagen haben. Darum habe der Befragte ihn von hinten festgehalten, weil er die Kontrahenten trennen wollte. Doch dann sei der Beschuldigte zornig geworden, weil er ihn festgehalten hatte: "Er lief weg zu seinem Rucksack und nahm ein Messer heraus", schilderte der Zeuge.

Mit der Waffe sei der Beschuldigte auf ihn losgegangen und habe ihn zuerst am Arm verletzt. Erst als der Bursche auch auf seinen Hinterkopf eingestochen habe, sei ihm bewusst geworden, dass es der Angreifer ernst meinte. "Ich nahm die Steine, um mich zu verteidigen." Da habe sich die Situation aufgelöst. Das Opfer wollte vom Angeklagten 10.000 Euro Schmerzensgeld, doch der Verteidiger winkte sofort ab. Auf die Frage des Richters, ob sich der Beschuldigte vielleicht mit Fuchtel-Bewegungen nur verteidigen wollte, sagte der Mitschüler: "Das ist eine Lüge."

Am Donnerstagabend wurde der Prozess vertagt, weitere Sachverständige und Zeugen sollen zu Wort kommen. Nächster Verhandlungstermin ist der 9. Oktober.