Dieses Urteil kam für viele Beobachter überraschend: Nach neunmonatiger Prozess-Unterbrechung wurde Freitagabend im Grazer Straflandesgericht jener oststeirische Arzt, dem jahrelanges Quälen seiner Kinder vorgeworfen worden war, in allen Punktenfreigesprochen. Während die Kinder und auch der "Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser" das Urteil von Richter Andreas Rom mit Entsetzen aufnahmen, kündigte die Staatsanwaltschaft an, dass am Montag über die weitere Vorgehensweise beraten werde.

Staatsanwalt Christian Kroschl hatte Freitagabend keine Erklärung abgegeben, wodurch das Urteil nicht rechtskräftig ist. Am Montag werde es nach Ablauf der dreitägigen Frist Klarheit über die weitere Vorgangsweise geben, ob Rechtsmittel in Form einer Berufung eingelegt würde, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft.

Dem Arzt (gegen ihn wurde in der Zwischenzeit auch ein Berufsverbot ausgesprochen) war u.a. in drastischen Schilderungen durch die befragten Kinder vorgeworfen worden, sich selbst vor den Augen der Kinder verletzt zu haben und sie dann gezwungen zu haben, ihm zu helfen. Richter Andreas Rom führte in seiner Urteilsbegründung u.a. aus: "Es ist zwar in der Familie viel passiert, aber aus den Akten und den heutigen Aussagen findet man keinen Anhaltspunkt, dass die Handlungen mit derartiger Intensität begangen wurden, dass es strafbar ist."

Verein fordert Fortbildung für Richter und Justizbeamte

"Erschüttert" zeigte sich der Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser (VAÖF) über das Urteil in einer Aussendung am Samstag. Der Mann soll seine Frau bei jedem Trennungsversuch mit Selbstmorddrohungen unter Druck gesetzt haben, wurde argumentiert. Die Züchtigung von Frauen und Kindern sei in Österreich seit der Familienrechtsreform 1978 verboten, Nötigung und gefährliche Drohungen strafbare Handlungen. Vom Staatsanwalt und der Opferanwältin sei detailliert und nachvollziehbar aufgezeigt worden, dass der Mann das Leben seiner Kinder und Frau zerstört habe. Daher sei die Aussage des Richters "unbegreiflich und unfassbar und nicht akzeptabel". Im Urteil sieht der Verein einen "Rückfall in die Steinzeit".

Seitens des VAÖF forderte man "Opferschutz statt Täterschutz und daher einmal mehr verpflichtende Fortbildung und klare Richtlinien bei Gewalt in der Familie" für alle Richter und Justizbeamten sowie ein einjähriges Praktikum im Opferschutzbereich für alle angehenden Richter und Staatsbedienstete.

Gerichtssprecherin: "Normales Gerichtsverfahren"

Die Sprecherin des Landesgerichtes Barbara Schwarz sprach in einer Reaktion von einem "ganz normalen Gerichtsverfahren". Für eine Verurteilung hätte nachgewiesen werden müssen, dass die psychischen Leiden der Kinder in direktem Zusammenhang mit der Tathandlung standen. Dieser Beweis sei nicht gelungen. Jedes Urteil müsse begründet werden und könne auch bekämpft werden. Sie könne eine Intervention zugunsten des Angeklagten - er ist der Bruder eines Politikers - ausschließen. Der Sohn des Angeklagten sprach gestern von "Behördenwillkür".

Wie geht es nach Berufsverbot weiter?

Derzeit besteht gegen den oststeirischen Arzt ja ein Berufsverbot, die frei gewordene zweite Stelle wurde von der Kasse neu ausgeschrieben. Wie es nun weitergeht, hängt zu allererst davon ab, ob der Freispruch nächste Woche rechtskräftig wird. Rechtsexperten von Land und von der Ärztekammer werden verschiedene Szenarien prüfen, wie mit Berufsverbot (Sache des Landes) und neuer Praxisstelle umzugehen sein wird.