"Jo wuin mi de veroarschen?“, schoss es Thomas Dreßen durch den Kopf, als er die Ziellinie der Streif passiert hatte. Sagt er zumindest. Erst beim zweiten Blick auf die Ergebnistafel, gepaart mit dem Jubel der Tausenden Zuschauer, der plötzlich durch den Helm drang, war dem 24-Jährigen klar, dass hier keiner einen Spaß mit ihm versuchte. Thomas Dreßen war soeben Bestzeit in der Abfahrt von Kitzbühel gefahren, hatte den kurzen Moment, als die Wolken sich über der Rennstrecke verzogen hatten, genützt.

Vielleicht war es ja wirklich der Wettergott, der die Sonne hinter den Wolken hervorgeholt hat. Oder es waren höhere Mächte. „Wer weiß, vielleicht hat von oben wer zugeschaut und hat die Sonne ein bisserl mehr scheinen lassen bei mir“, meinte Dreßen und spielte damit auf seinen Vater an. Und der spielt bei ihm nach wie vor eine große Rolle, die Zahlenkombination „44“ ziert seinen Helm, steht für den vierten Buchstaben im Alphabet, das zwei Mal: D. D. – Dirk Dreßen, der ihm die Leidenschaft für Skisport einimpfte.

Am ersten Schultag des Jahres 2005 – Thomas ging in die Skihauptschule Neustift – passierte das Unglück: Dirk Dreßen war eines der neun Opfer des Seilbahnunglücks in Sölden, als ein Hubschrauber einen Betoneimer direkt über der Seilbahn verlor. Plötzlich war alles anders im Leben des jungen Thomas Dreßen. Und nach wie vor wird er immer wieder auf diesen Schicksalsschlag angesprochen, muss ihn immer wieder erzählen, legt aber auf eines Wert: „Ich will nicht darauf reduziert werden“, sagt er. Genauso, wie er wert auf die Feststellung legt, dass Sölden ihn als Sponsor nicht wegen des Unfalls unter Vertrag nahm.

Die 19 blieb ihm

Fast um das zu unterstreichen, hat er auch noch eine andere Theorie als die der höheren Mächte – und die hat mit Hannes Reichelt zu tun. „Bei der Nummernvergabe war er vor mir dran. Und ich hab gesagt: Die eins in Kitzbühel, die mag ich nicht. So oft war ich noch nicht hier. Und er hat gesagt: Mach dir keine Sorgen, die Nummer eins nehme ich. Also muss ich ihm jetzt wohl danken, weil mir die 19 blieb.“

Die Nummer 19 brachte Sonne – und Dreßen die Basis für den Erfolg. „Ich habe mir die ersten fünf angeschaut und dann einen Plan zurechtgelegt – und den habe ich umgesetzt“, meinte er und genoss das Lob der Routiniers, die er bezwungen hatte: Beat Feuz war letztlich zwei Zehntelsekunden zurück, Hannes Reichelt als Dritter 0,41.
Es war eine Überraschung, denn viele gibt es nicht, die ihr erstes Weltcuprennen gleich auf der Streif gewinnen.

„Das ist das Unglaubliche, dass ich jetzt gleich zwei Ziele auf einmal erreicht hab“, sagte Dreßen, der Bayer mit so viel Österreich-Bezug. Seine Freundin kommt aus dem Traunviertel, er ging in Neustift und Saalfelden zur Schule. Und hat jetzt eine Durststrecke von 39 Jahren für die deutschen Abfahrer in Kitzbühel beendet.