4. Juli - Teil 9: Einmalig und nie wieder

Liebes Tagebuch. Ich muss gestehen, dass ich am Sonntag Poker gespielt habe. So richtig merke ich mir die Spielregeln zwar nie, der Begriff „All In“ ist mir aber bekannt. Alle Chips auf das eigene Blatt – selbstbewusst, aber riskant. Geht es schief, ist alles verloren. Geht es auf, kann ich vor Glück strahlen. Bei meiner Ironman-Premiere war es tatsächlich zweiteres.

Dabei begann der Tag wenig vielversprechend. Kaum drei Stunden Schlaf, Müdigkeit, Kopfschmerzen. Als ich Sonntagmorgen um kurz vor 6 Uhr in der Wechselzone mein Rennrad aufpumpte, sah ich wie Alex Zanardi seine Prothesen abnahm und sich rennfertig machte. Der Ex-Rennfahrer, der bei einem Unfall beide Beine verlor, ist mit seiner Ausdauer und Leidenschaft ein Vorbild für viele Athleten. Auch dieser Moment machte mir klar, dass ich mein Ziel ja irgendwie schon erreicht hatte – nach einer kurzen Trainingsphase am Start zu stehen und überzeugt davon zu sein, auch die Finish Line zu erreichen. Und dann war das Augenzwinkern wieder da, das Sie in dieser Kolumne hin und wieder bemerkt haben. Dann ging alles ganz schnell.

Noch bevor ich richtig nervös werden konnte, war ich bei 15 Grad Außentemperatur schon im Wasser. Anstrengend, energieraubend, war ich heilfroh, das Schwimmen hinter mir zu haben. Auf der Radstrecke radelte ich dann neben modernen Triathlonmaschinen recht locker dahin und war trotzdem schnell. Startnummer 1416 und Motivationssprüche auf der Fahrbahn aufgemalt halfen mir ebenso wie die tollen Fans am Ribnighügel in Richtung Faaker See. Und als auch die zweite Fahrt über den Rupertiberg mit guten Beinen erstaunlich einfach gelang und mir ein Freund „Du Irrer. Was führst du auf?“ zurief, hatte ich erstmals das Gefühl, dass das doch mein Tag werden könnte. 5,5 Stunden auf dem Rad und ab auf die Laufstrecke. Die Laune blieb gut, der Kopf stark, das Grinsen wurde breiter. Ein kurzer Dämpfer, als ich vom Radsturz eines Freundes hörte. Vom Tod eines Teilnehmers erfuhr ich zum Glück erst im Ziel. Kilometer um Kilometer spulte ich viel schneller als geplant herunter, offenbar vollgepumpt mit Adrenalin.

Ein großartiger Fanklub im Europapark, lautstarke Bekannte und Familie am Lendkanal, unbekannte Motivatoren in Krumpendorf, aufmerksame Helfer bei den Labestationen, Gänsehautstimmung auf dem Alten Platz. Danke Ihnen allen. Nie hätte ich gedacht, dass man einen Marathon „genießen“ kann. Ich tat es und musste über mich selbst lachen – auf einer Laufroute, die ich so gut kenne. Der befürchtete Einbruch blieb aus. Die letzten drei, vier Kilometer die Zähne zusammengebissen, unglaubliche Freude, Erleichterung, Dankbarkeit, der Jubel der Zuschauer beim Zieleinlauf.

Ein unbeschreibliches Erlebnis, das für mich einmalig bleiben wird. Perfekter kann ein Ironman kaum ablaufen, über eine Stunde schneller als erhofft. Meine Freunde sind da skeptisch. Einer schickte mir gestern einen Link zum Ironman Hawaii. Ein anderer ein Foto von einem Hightech-Rad mit der Aufforderung „Bestellen und nächstes Jahr unter zehn Stunden“.

30. Juni - Teil 8: Bereit für die eiserne Premiere

Der Blick von Ruderlegende Arnold Jonke war skeptisch, um es milde auszudrücken. Anfang April erzählte ich ihm, er ist mittlerweile Sportwissenschafter im Altis-Leistungszentrum in Klagenfurt, von meiner spontanen Entscheidung, am 2. Juli beim Ironman Austria an den Start zu gehen. Und das mit de facto nicht existentem Wintertraining. Das Testergebnis war passabel, gesundheitlich auch alles okay. „Umfang vor Intensität“ schrieb mir Jonke mit mehreren Rufzeichen in die Empfehlungen. In zwölf Wochen die Grundlagenausdauer auf Vordermann bringen und etwa von maximal 100 Radkilometern am Stück fit für 180 werden? Eine Herausforderung, auch ein verrücktes, riskantes Unterfangen. Nur mit der Erfahrung von zwei suboptimal verlaufenen Mitteldistanz-Triathlons in den Vorjahren.

Dann das Eintauchen. Nicht nur bei den Einheiten im Hallenbad-Wasser, auch in eine Szene mit vielen Wahrheiten und noch mehr Ambivalenz. Sich selbst kasteiende Menschen, die sich und ihrer Umgebung etwas beweisen wollen. In keiner anderen Sportart ist die Scheidungsrate so hoch. Konsequentes Training frisst Zeit und Harmonie, zu viel Verbissenheit den Spaß. 

Ohne Trainer oder Vereinszugehörigkeit lege ich los. Voll fokussiert, das Ganze als Projekt betrachtend, ausgestattet mit zwei tollen Büchern, Internetrecherche, Austausch mit anderen Sportlern. Den eigenen Körper als Richtschnur. Einer manchmal überspannten – nicht nur vor einer längeren Grippepause. Sukzessives Steigern der Umfänge und die Dankbarkeit, gesund zu sein. Einen 37 Jahre alten Körper zu haben, der das mitmacht. Der auf das Training reagiert, sich verändert und plötzlich bis dato unbekannte Muskeln spüren lässt. Anhaltende Müdigkeit.
Motiviert, an mühsamen Tagen ermuntert von Freundin und guten Freunden. Der gelungene Testwettkampf Ende Mai am Stubenbergsee lässt die Zuversicht steigen.

Beim Laufen habe ich sicher die größte Routine. Hoffentlich habe ich am Sonntag noch die Kraft, diese ausspielen zu können
Beim Laufen habe ich sicher die größte Routine. Hoffentlich habe ich am Sonntag noch die Kraft, diese ausspielen zu können © Helmuth Weichselbraun

In langen Trainingseinheiten bin ich primär als Einzelkämpfer unterwegs, beiße, durchfahre fast jedes Tal Kärntens mit dem Rad. Nicht nur bei – Achtung, schlechter Wortwitz – Gegenwind im Gegendtal. „Onkel, warum bist du nicht gleich zu Fuß gegangen?“, fragt mein Neffe, als ich beim sonntäglichen Familienessen in Oberkärnten mit dem Rennrad und 100 Kilometern in den Beinen auftauche. Ja, warum eigentlich nicht? Kindliche Unbeschwertheit hilft in einer Community, die teils sektoide Züge zeigt. Ich schwanke zwischen Ehrgeiz und Nonchalance, um nicht zu sagen Wurschtigkeit. Selbstironie als mentale Krücke und bewusstes Konterkarieren von Usancen und der üblichen Materialschlacht. Am Sonntag werde ich wie zum Trotz mit unrasierten Beinen am Start stehen. Statt Aero-Style den Radhelm vom Diskonter tragen. Die Trinkflasche mit dem Bier-Schriftzug. Statt Tausende Euro teurer Laufräder hoffe ich auf die Kraft meiner Wadl.

Der Kopf ist voll Gedanken. Zur Vorfreude kommt leichte Nervosität. Schwimmen doch mit Neopren? Wie sehr kann ich beim Radfahren Gas geben, um beim Laufen nicht von Beginn an zu leiden? Was essen und trinken? Welches Outfit?

Warum ich mir den Wettkampf antue, kann ich bis heute nicht konkret verbalisieren. Darüber ließe sich bei einer Flasche Wein vorzüglich philosophieren. Letztlich ist es vielleicht einfach die kindliche Lust am Abenteuer. Die Qualen zu vergessen und die unvergleichlichen Ironman-Emotionen zu erleben. Mögen sie auch Startnummer 1416 ins Ziel tragen.

29. Juni - Teil 7: Der eiserne Kaiser von China

Wenn ich mich Sonntagfrüh gemeinsam mit fast 3000 ähnlich Verrückten in die Fluten des Wörthersees stürzen werde, könnte er sich genüsslich die Hände reiben. Nicht weil er Freude daran hat, mich leiden zu sehen – vielmehr weil sein Geschäft ordentlich brummt. Doch womöglich weiß er gar nicht, wo, wer oder was Kärnten überhaupt ist. Er, das ist Wang Jianlin: 62 Jahre alt, aus der chinesischen Provinz Sichuan stammend, verheiratet, Vater eines Sohnes, Unternehmer. Ein äußerst erfolgreicher noch dazu. In der Milliardärsliste des renommierten Magazins Forbes wird er aktuell mit einem Privatvermögen von rund 30,6 Milliarden US-Dollar (26,9 Milliarden Euro) taxiert. Damit liegt Wang Jianlin auf Rang 18 der reichsten Menschen der Welt und ist der vermögendste Mann Chinas. Sogar noch vor einem gewissen Jack Ma, Gründer des chinesischen Online-Riesen und Amazon-Pendants Alibaba.

Aber was hat das alles mit dem Ironman zu tun? Genau, dessen Chef ist Wang Jianlin ganz nebenbei auch noch. Vor knapp zwei Jahren kaufte seine Dalian Wanda Group (die er 1988 gründete) der US-Gesellschaft Providence Equity Partners die World Triathlon Corporation, zu der die Ironman-Marken gehören, für 650 Millionen Dollar ab. Die Chinesen rührten daraufhin nicht nur im Ironman-Management ordentlich um, sondern starteten auch eine wilde Shoppingtour und erwarben eine Vielzahl von weiteren Triathlon-, Rad- und Lauf-events. Über 200 Rennen in 50 Ländern der Welt firmieren mittlerweile unter der Marke Ironman.

Wang Jianlin gibt nicht nur beim Ironman den Ton an
Wang Jianlin gibt nicht nur beim Ironman den Ton an © Wanda/KK

Die mächtige Sportrechteagentur Infront gehört ebenso zum Sportportfolio wie 20 Prozent des spanischen Fußballklubs Atletico Madrid. Wanda besitzt zudem Immobilien, Einkaufszentren, Luxushotels, Freizeitparks, eine Kinokette, ein riesiges Filmstudio in Qingdao. Wang Jianlin hat ein Faible für Designeranzüge und Luxusjachten, singt bei Firmenevents chinesische Rocksongs, mit Chinas Politik soll er bestens vernetzt sein. Wie er tatsächlich zu seinem unglaublichen Vermögen kam, ist irgendwie geheimnisumwittert.

Dass der eiserne Sport auch im Reich der Mitte ordentlich vorangetrieben wird, versteht sich von selbst. Fünf Ironman-Rennen über die 70.3-Distanz gibt es mittlerweile in China. Und immer mehr reisefreudige Athleten: In Klagenfurt befinden sich laut offizieller Starterliste immerhin schon drei Frauen und 15 Männer aus China im Teilnehmerfeld.

28. Juni - Teil 6: Der Kraftplatz für Salzarbeiter

In einem Land mit Großglockner Hochalpenstraße oder steilen Passstraßen wie Loibl, Wurzenpass, Gailberg oder Seebergsattel geht er eigentlich nur als Hügel durch. Und trotzdem ist er beim Ironman berühmt-berüchtigt, von manchen auch gefürchtet: der Rupertiberg, oft schlicht Ruperti genannt. Rund 2,4 Kilometer lang zieht sich der Anstieg von St. Egyden hinauf, 145 Höhenmeter und bis zu 12 Prozent Steigung gilt es, begleitet von den Fans am Streckenrand, zu bewältigen. Die Straße ist übersät mit aufgemalten Startnummern und Motivationssprüchen. Und während die Spitzenathleten förmlich hinauffliegen, ist es für viele andere ein harter Kampf. Zur Belohnung warten oben (auf 716 Meter Seehöhe) eine Labestation, Musik und ein wundervoller Panoramblick ins Rosental. Den haben die, laut letzter Volkszählung, 54 Einwohner der Ortschaft Rupertiberg (Auf Slowenisch „Na Gori“), die zur Gemeinde Ludmannsdorf gehört, jeden Tag.


In dem Ort sind zahlreiche „Kraftplätze“, wie eine Felshöhle, zu finden. Kraft kann man hier definitiv gut brauchen, vor allem, wenn es mit 150 Kilometern in den Beinen ein zweites Mal über den Ruperti geht. In den ersten Ironman-Jahren – als drei Runden à 60 Kilometer gefahren wurden – musste der Rupertiberg sogar noch ein drittes Mal bezwungen werden. Dafür geht es jetzt ja auch zwei Mal über den Ribnighügel – der gut ein Kilometer lange Anstieg zum Faaker See ist ebenfalls nicht zu unterschätzen.

Wichtiges Gebäude in Rupertiberg ist die Barockkirche, die der heiligen Lucia und dem heiligen Rupert geweiht ist. Letzterer ist Schutzpatron der Salzarbeiter. Und das trifft es wie die Faust aufs Auge, ich fühle mich verstanden. Denn an heißen Trainingstagen ist mein Raddress bei Fahrten auf den Ruperti so vollgeschwitzt, dass es einem Salzbergwerk gleicht. Zum Glück steht neben der Straße ein Trinkwasserbrunnen.
Freude bereiten könnten mir die Ironman-Organisatoren mit der Einführung einer Ruperti-Bergwertung. So etwas gibt es etwa beim Ironman in Frankfurt. Der weitere Rennverlauf wäre dann zwar wohl eher grausam, einem kleinen Bergsprint im hohen Pulsbereich konnte ich aber noch nie widerstehen.

27. Juni - Teil 5: Von Schnorchel und Sternum

Mehr als drei Mal täglich wirft Jakob derzeit einen Blick auf die Wetterprognose für das Wochenende. Dass die Temperaturkurve tendenziell nach unten zeigt, nährt die Hoffnung, dass seine Horrorvorstellung – ein Neoprenverbot beim Schwimmen – doch nicht eintreten wird. Anja beschäftigt sich beim Nachmittagskaffee mit der Lektüre des Athlete Guide, der alle essenziellen Informationen rund um den Ironman beinhaltet: Streckenverlauf, Wechselzonen, Labestationen etc. Christian informiert sich online über gesunde Sportnahrung und geht mit seiner kleinen Tochter spazieren. Markus bereitet sich in einer weiteren Disziplin vor: Er übt das Schlauchwechseln bei seiner Triathlonmaschine. Sie alle werden am Sonntag die 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren und 42,195 Kilometer Laufen in Angriff nehmen. Informativ und bisweilen unterhaltsam ist auch die Lektüre der Ironman-Wettkampfregeln.

Die Neopren-Frage ist noch offen
Die Neopren-Frage ist noch offen © Fercher

Als Zuschauer dürfen Sie sich beispielsweise nicht auf den Anblick von nackten Oberkörpern beim Bewerb freuen, das verbietet das Reglement. Kleiner Latein-Crashkurs inklusive: „Mit einem Reißverschluss auf der Vorderseite versehene Uniformen dürfen nur bis zu der Stelle am Ende des Brustbeins (Sternums) geöffnet werden“, heißt es bei den Radfahr-Verhaltensregeln. Beim ersten Mal Erwischt-Werden, gibt es „nur“ eine Ein-Minuten-Zeitstrafe (Gelbe Karte). Generell sei „unsittliche Entblößung“ und „öffentliche Nacktheit“ zu vermeiden. Zuwiderhandlung kann sogar eine Disqualifikation zur Folge haben. Die gibt es auch für Athleten, die beim Schwimmen einen Schnorchel verwenden. Beim Radeln die Verfolger beobachten oder den Lidstrich nachziehen wird schwierig. Spiegel an Helm oder Körper sind laut Paragraf 5.02 nicht erlaubt.

Erwarten sie von Ihren Liebsten auch keine Facebook-Updates während des Rennens. „Das Tätigen und Entgegennehmen von Telefonanrufen, das Versenden und Empfangen von SMS-Nachrichten, der Gebrauch sozialer Medien, das Fotografieren“ ist ebenfalls untersagt. Das wäre nämlich eine Nutzung von Geräten „auf eine der Ablenkung förderliche Weise“. Aus demselben Grund kann man sich auch nicht die Lieblingsmusik mit Kopfhörern reinziehen. Sollten sich kriechende Menschen auf der Laufstrecke entdecken – das ist nicht schön, aber legitim. Laut Reglement dürfen die Teilnehmer „laufen, gehen oder kriechen“. Bleibt zu hoffen, dass uns Letzteres erspart bleibt.

26. Juni  - Topfavorit beim "Tiredman"

Guten Morgääähn. Nun ist sie hier, die Wettkampfwoche. Und wie es zu einer adäquaten Vorbereitung gehört, ist seit einigen Tagen „Tapering“ angesagt. Nein, das heißt nicht, den ganzen Körper in ein Tape einzuwickeln. Oder den Mund zu verkleben, um den Sprechdurchfall einzudämmen, der im Social-Media-Zeitalter so en vogue ist. Vielmehr geht es darum, den Trainingsumfang vor dem großen Tag deutlich zu reduzieren („Tapering“ steht für Reduzieren, Zuspitzen), um sich von den strapaziösen Trainingseinheiten erholen zu können. Die Reaktion meines Körpers auf das „Tapering“ ist ein wenig verwirrend. So müde, schlapp und kraftlos wie derzeit fühlte ich mich selbst nach intensiven Trainingseinheiten nicht. Einer meiner besten Freunde meinte dieser Tage gar, mich überhaupt noch nie so energielos gesehen zu haben. Damit waren wohl die Beinahe-Regungslosigkeit in der Hängematte und das verringerte Sprechtempo gemeint. Am Sonntag tatsächlich stundenlang eine sportliche Höchstleistung abrufen zu können, erscheint mir derzeit fast illusorisch.

Deshalb plädiere ich hiermit auf die Entwicklung eines Bewerbes namens „Tiredman“. Meine Chancen stünden ausgezeichnet. Als stärkste Disziplin stellt sich das leidenschaftliche Gähnen zu jeder erdenklichen Tagesszeit heraus. Da fühle ich mich richtig stark und ausdauernd. Ebenfalls bemerkenswert ist die Form in der Disziplin kurze, knackige Schlafintervalle mit angewinkelten Beinen in stabiler Seitenlage und etwa 37 Minuten Länge. In den Grundlagenausdauerbereich lässt sich diese Fähigkeit nicht übertragen – langer, intensiver Tiefschlaf über mehrere Stunden ist eindeutig meine schwächste Disziplin, weil derzeit kaum vorhanden. Der Schlaf wird aufgeteilt in einzelne Abschnitte, fast wie ein Ironman. Viermal 10,5 Kilometer Laufen klingen ja auch weniger bedrohlich als 42,195. Zumindest bleibt in diesen schlaflosen Phasen genügend Zeit die Radstrecke zu visualisieren, die Beine auszuschütteln und sich mit Unabwägbarkeiten zu befassen. Auch so kann Mentaltraining aussehen.

Noch keine Spur von Ironman-Adrenalin
Noch keine Spur von Ironman-Adrenalin © Fercher

Ein Grund nervös zu werden, ist die anhaltende Müdigkeit laut Experten und erfahrenen Athleten nicht. An der eigenen Leistungsfähigkeit und Form zu zweifeln ist unangebracht. Gesund essen, (hoffentlich) viel schlafen und mit kurzen Trainingsintervallen den Körper anheizen, steht in den kommenden Tagen an. Und nicht aus der Ruhe bringen lassen, weil sich die Wettervorhersage für den Tag X noch fast stündlich ändert.

25. Juni - Leberkäse für den Rupertiberg

Das gemeinsame Sonntagsmahl wird hierzulande doch noch einigermaßen zelebriert. Höchste Zeit, sich an dieser Stelle, eine Woche vor dem Ironman, mit dem Thema Ernährung zu befassen. Schließlich gilt es, beim Bewerb den berühmt-berüchtigten „Hungerast“ zu vermeiden und die Tausenden Kalorien, die man auf der Radstrecke „hinausballert“, nur annähernd wieder zu kompensieren. Wahr- und Weisheiten in puncto Ernährung gibt es, wie so oft im Triathlonsport, Sonderzahl. Schier endlos ist auch die Liste diverser (teils fragwürdiger) Nahrungsergänzungspräparate auf dem Markt. Im Gewühl von Kohlehydraten, Eiweiß, Fett, Vitaminen, Aminosäuren, Maltodextrin, Kreatin, Dextrose, Fructose etc. kann nur Ausgewogenheit, und nicht das Extreme, der Trumpf ein.

Der beste Ratgeber ist – und damit zehn Euro ins Phrasenschwein – immer noch der eigene Körper. Fitness kann man nicht essen, meinte schon die deutsche Triathlon-Legende Hermann Aschwer. Dass ohne ordentliches Frühstück wenig geht, darüber herrscht seltene Einigkeit. Ich setze ganz klassisch auf das gute, alte Honigbrot und trinke Kräutertee. Andere schwören auf Müsli oder selbst gemachten Brei, und leider gönnen sich auch viele Hobbyathleten schon zum Frühstück eine Schmerztablette dazu. Den Bewerb an sich nur mit flüssiger Nahrung und unzähligen Gels bestreiten? Soll angeblich möglich sein – ich denke eher, dass das im wahrsten Sinne des Wortes in die Hose gehen kann. Ohne hin und wieder feste Nahrung (ob Riegel, Bananen oder Ähnliches) zu mir zu nehmen, würde ich spätestens auf der zweiten Radrunde vom Carbonesel fallen. Die Kärntner Triathlonikone Marlies Penker, die vor ihrer unglaublichen 18. Teilnahme am Klagenfurter Ironman steht, schwört zum Beispiel auf Kartoffeln als Kraftquelle. In kleinen Stücken, leicht gesalzen, nascht sie während der 180-Kilometer-Radfahrt davon.

Mit selbst gemachten Energieriegeln sollte nichts schief gehen
Mit selbst gemachten Energieriegeln sollte nichts schief gehen © Fercher

Durchaus sympathisch ist die Aufschrift „Leberkas“, die mir beim Training auf dem Rupertiberg aufgefallen ist. Wäre vielleicht eine spannende Innovation, dort Leberkäsesemmel bei der Labe zu servieren. Aber eigentlich ist die Ernährung viel zu wichtig, um sie nicht richtig ernst zu nehmen. Kürzlich habe ich deshalb, auf Basis detaillierter Recherche, sogar meine eigenen Energieriegel gebacken. Gesund bis unter den Scheitel und noch dazu schmackhaft – das Ergebnis hat mich begeistert. Und so wird auch in der Bewerbswoche noch einmal der Backofen aktiviert.

24. Juni - Vom „Potuk“ in der Gummitüte

Die große N-Frage schwebt aktuell wie ein Damoklesschwert über den Teilnehmern des Ironman Austria. Schwimmen im Neoprenanzug, ja oder nein? Ab 24,5 Grad Wassertemperatur ist die Gummitüte nicht mehr erlaubt (siehe rechts). Für einige Teilnehmer wäre das eine Hiobsbotschaft: Der Neopren, der die Wasserlage deutlich verbessert, ist für sie so wichtig wie die rote Boje für Pamela Anderson, zu einer Zeit, als Baywatch noch Kultcharakter hatte. Aus der Ruhe bringen lassen sollte man sich ob eines drohenden Verbots jedenfalls nicht, dauert die erste Disziplin eben einige Minuten länger. Ich habe, womöglich in weiser Voraussicht, meist ohne Neopren trainiert.

Zudem vermeint Kleine-Leser Franz, bereits Schwimmhäute an mir ausgemacht zu haben. Apropos Neopren: Jener Mann, dem wir die geniale Erfindung des Wetsuits in den 1950er-Jahren mit zu verdanken haben, ist nicht mehr unter uns. Jack O’Neill, legendärer Surfer und Unternehmer mit der Augenklappe, starb Anfang Juni im Alter von 94 Jahren.

So eine Ironman-Vorbereitung trägt neben einer Auffrischung der Sachunterrichts-Kenntnisse aus der Volksschule auch zu sprachlicher Horizonterweiterung bei. „La muta è vietata“, hieß es beim Faaker-See-Triathlon vor zwei Jahren. Kollege Christian und ich blickten uns fragend an, reaktivierten blitzschnell unser Italienisch-Maturaniveau und gingen d’accord: „Die Mutter ist angekommen“, müsste das wohl heißen. Aber welche Mutter? Und warum wird sie besonders begrüßt? Schließlich wurde uns doch klar, dass „muta vietata“ sich auf das soeben ausgesprochene Neoprenverbot bezog.

Auch um einige Wörter Slowenisch zu erlernen, kann die Trainingsphase nützlich sein. So weiß ich mittlerweile, dass der „Bach“ (so heißt auch ein Ort nahe Ludmannsdorf, durch den die Radstrecke führt), mit „Potok“ übersetzt wird. Dieses wunderbare kurz und hart ausgesprochene Wort erinnert mich dabei immer an die wenig schmeichelhafte und kaum mehr verwendete Mundartbezeichnung „Potuk“ oder „Potukl“. Diese beschreibt mehr oder weniger liebevoll einen unsympathischen, im schlimmsten Fall leicht debilen Zeitgenossen. So ein „Potuk“ wäre dann beim Ironman wohl jemand, dessen Ellbogen, Knöchel oder andere Körperteile man beim Schwimmen ständig im Gesicht spürt, der einem in der Wechselzone rücksichtslos über den Haufen rennt oder der beim Radfahren das Windschattenverbot relativ frei interpretiert.

19. Juni - "Du bist doch verrückt"

Eine 14-Tage-Wetterprognose? Kaum seriöser als Wahlversprechen heimischer Politiker. Und trotzdem jetzt schon einmal einen Blick riskiert: Demnach soll es in Klagenfurt am 2. Juli maximal 23 Grad und dazu leichten Regen geben. Was für die einen nach perfektem Wetter für den Ironman Austria klingt, lässt bei mir mangels ausreichenden Körperfetts die Gänsehaut aufsteigen. Wirklich erwärmend sind die hautengen und Hunderte Euro teuren Triathlonanzüge, die manchen Teilnehmer wie den kasachischen Badehosen-Borat ähneln lassen, nicht. Apropos Optik: Wer, wie ich, beim Ironman mit einem banalen Rennrad und keiner Hightech-Maschine anrollt, erntet eher fragende bis mitleidige Blicke. Selbstironie ist nicht die ausgeprägteste Charaktereigenschaft der Triathlon-Community, spaßbefreit ist sie aber nicht. Zu viel Freude macht das Trainieren in den drei Disziplinen Schwimmen, Radfahren und Laufen.

Der kämpferische Blick für den Ironman muss auch geübt sein
Der kämpferische Blick für den Ironman muss auch geübt sein © Fercher

Das Ironman-Teilnehmerfeld ist heterogen wie unsere Gesellschaft, um nicht zu sagen ein schöner Spiegel dieser und Ausdruck des Zeitgeistes. Unter den 3000 Athleten befinden sich bis auf den letzten Muskel trainierte Profis, verbissene und (über)ambitionierte Amateure, ehemalige Übergewichtige, Couch Potatoes und Drogenabhängige, frisch Geschiedene, übermütige Zeitgenossen, die eine Bierwette verloren haben. Und einfach viele, die sich einer (trotz riesigen Hypes) immer noch besonderen Herausforderung stellen, sich selbstverwirklichen oder ihren Körper an Grenzen bringen wollen.
Auch ich werde am 2. Juli erstmals einer von ihnen sein. Alter: 37. Meine Lieblingszahl. Seit Jahren begeisterter Läufer, vor zwei Jahren erst das Kraulen erlernt, mittlerweile dreifacher Finisher einer Triathlon-Mitteldistanz und erst vor drei Monaten mit dem Training für Klagenfurt begonnen. „Du bist doch verrückt.“ Dieser Einschätzung von Freunden und Bekannten stimme ich zu. Ist Verrücktheit nicht die Quintessenz eines jeden Ironman?