Sehr viel Glas und Marmor in der Bar des Spielerhotels in Rom. Am Eingang ein Spalier aus Sicherheitspersonal und Hostessen. Dominic Thiem kommt mit Kapperl, Jeans und Sponsor-Uhr. Günther Bresnik hat einen beigen Pullover um die Schultern gelegt. Draußen legt sich ein milder Frühsommer-Abend über die Piazza, mit lautem, fröhlichem Hupen. Thiem antwortet als Erster, doch dann ist es sein Trainer, Begleiter seit Kindheitstagen, der den Fluss des Gesprächs bestimmt. Sein Ton hat etwas dominant Väterliches, mitunter kippt er in eine Art prüfendes, insistierendes Abfragen, und es wird klar: ein Autoritätsverhältnis, wattiert mit viel Vertrautheit. Ein junger, wohlerzogener Mann an der Schwelle zum Erwachsensein. Man spürt die leise Emanzipation, die auf dem Platz bereits vollzogen ist. Zum ersten Mal geben der Weltklassespieler und sein Erfolgsgarant Seite an Seite Einblick in das Innenleben der wohl ungewöhnlichsten Paarbeziehung im Welttennis.

Es gibt ein hübsches Bild von Ihnen. Zu sehen ist der Coach mit Baccardi-Hut auf einem Trainingsplatz. Vor ihm der Wagen mit den Bällen. Es muss drückend heiß sein. Daneben steht mit gesenktem Kopf der Schützling. Mit dem T-Shirt wischt er sich den Schweiß und Staub aus dem Gesicht. Die Verhältnisse scheinen klar zu sein. Der eine hat die Lizenz zu quälen, der andere bezahlt ihn dafür.
DOMINIC THIEM: Ich hab’ das Bild noch im Kopf. Es war in Australien. Als ich jünger war, habe ich nicht immer verstanden, warum ich so hart trainieren soll. Irgendwann habe ich begriffen, warum es notwendig ist, an seine Grenzen zu gehen und sie auszureizen. Als Junger habe ich es halt unreflektiert mitgetragen.

Sie haben Ihren Trainer still verwünscht?
THIEM: Das ist vorgekommen, aber ich bin ja nicht gezwungen worden. Ich war kein Opfer von Zwang und Zucht. Seit ich 18 bin, empfinde ich es nicht mehr als Quälerei, weil ich ja sehe, dass ich stetig lerne und besser werde. Das Foto, das Sie beschreiben, fällt schon in diesen neuen Zeitrahmen.

Dominic Thiem und Betreuer Günter Bresnik
Dominic Thiem und Betreuer Günter Bresnik © (c) GEPA pictures/ Matthias Hauer

Auf dem Leiberl des Trainers steht "Love hurts" – Liebe schmerzt. Ist die Liebe zum Tennis gemeint? Muss sie weh tun, um an die Spitze zu gelangen?
GÜNTER BRESNIK: "Love hurts" ist auf das Tennis bezogen. Es gilt auch hier, was im Leben gilt, in jedem Beruf: Man ist nur gut in dem, was man liebt. Der Spruch auf dem T-Shirt erzählt von den Begleiterscheinungen dieser Liebe: vom Schmerz einer Zu-Null-Niederlage. Genau deswegen trainiere ich ihn: Dass es ihm nicht mehr passiert.

Was ist der Kern Ihrer Pädagogik?
BRESNIK: Was ein guter Trainer macht, ist, jemanden zu unterstützen, dass er sich selbst komplett verausgabt. Und du bist derjenige, der ihn ausreizt. Quälen möchte man gar nicht. Ich sage das auch deshalb, weil ich älter geworden bin, weicher, und selbst Kinder habe. Manchmal muss ich mich zwingen, eine Übungseinheit nach dem x-ten Mal zu wiederholen. Ich muss mich als Trainer überwinden, weil ich sehe, dass er ein Mensch ist, der eine Opfer- und Leistungsbereitschaft an den Tag legt, wie ich es bei einem Spitzensportler nie erlebt habe.

Es ist keine normale Kundenbeziehung, die Sie verbindet. Sie haben Dominic mit acht Jahren, als Kind, übernommen. Was haben Sie am Buben wahrgenommen?
BRESNIK: Seine Eltern. Ich habe gesehen, mit welcher Intensität sie bereit waren, alles ihrem Kind und der Begabung unterzuordnen. Das war für mich eine zusätzliche Verantwortung. Sein Vater war Tennislehrer, der bei mir noch heute in der Akademie arbeitet. 1997 ist er zu mir gekommen. Herr Bresnik, ich möchte bei Ihnen lernen, wie man gute Tennisspieler unterrichtet, weil ich untalentiert bin, mit Jugendlichen und Hausfrauen zu arbeiten, die zum Zeitvertreib kommen. Ich habe ihn gefragt, wie alt er ist, ob er verheiratet ist und Kinder hat. Er hat gesagt, ich bin 25, verheiratet und habe einen vierjährigen Sohn. Ich habe ihm gesagt: Bei mir würdest du nicht einmal die Hälfte verdienen. Fahr‘ nach Hause und entschuldige dich bei deiner Frau für diesen Ausflug. Der Vater war verzweifelt, ist nach Hause und am nächsten Tag wieder vor der Tür gestanden: "Ich will es machen."

Und diese Hartnäckigkeit des Vaters hat sich übertragen?
BRESNIK: Verdichtet und potenziert. Er war als Kind nicht geschickter oder schneller als andere. Die Liebe zum Tennis war seine größte Begabung. Ich habe bei dem Buben nie gehört: "Heute will ich nicht, morgen will ich nicht, können wir aufhören?" Hätte ich das gehört, wäre bei mir nie dieser Enthusiasmus entstanden. Der Bursche hatte immer die gleiche Wachheit, egal, ob wir zwei Stunden auf dem Platz gestanden sind oder vier. Diese Bereitschaft schon als Kind, sich zu überwinden, sich selbst zu quälen, war außergewöhnlich. Der hat sich das anerzogen. Es kommt ja kein Mensch mit der Fähigkeit, sich zu quälen, auf die Welt.

Herr Thiem, wie haben Sie das empfunden?
THIEM: Ich wollte einfach nur spielen, nichts anderes. Man denkt ja als Kind nicht perspektivisch. Man sieht das, was man tut, nicht als Beruf und auch nicht, dass es einer werden könnte, man spielt einfach. Weil es Spaß macht, weil man spielen will. Deshalb hat es mich auch nicht gestört, wenn das Training ewig dauerte. Ich hab’s gar nicht gemerkt.
BRESNIK: Der Dominic wusste damals nur, wann seine Trainingseinheit begann, nicht aber, wann sie enden würde. Wenn seine Oma fragte, wann der Bub vom Training abzuholen sei, habe ich geantwortet: "Gnädige Frau, wenn wir fertig sind."

Was sagte die gnädige Frau?
BRESNIK: Die Oma nickte, ging in die Kabine und bestellte sich einen Kaffee.

Das ist die Oma, die ihre Wiener Wohnung verkauft hat, damit der Bub Tennis spielen und zu den Turnieren fahren konnte.
BRESNIK: Die Geschichte kann ich nicht mehr hören, weil sie Zerrbilder produziert. Es war schlimm damals, die Familie hat viel aufgegeben, aber sie hat nicht gehungert.
THIEM: Wir sind an den Wochenenden kaum weggefahren, es gab auch selten Urlaube, aber am Hungertuch haben wir nie genagt, das ist richtig.
BRESNIK: Dafür ist der Papa einen alten Golf gefahren. Ist aber auch kein Malheur, wenn man jedes Jahr 60.000 Euro ausgeben muss, für die Reisen zu den Turnieren und alles andere. Ich habe ihn mit 16 allein in den Flieger nach Amerika gesetzt, damit er selbstständig wird. Er kommt aus einem guten Elternhaus. Die Opas waren Bankdirektor und Architekt. Das war keine Würstelfamilie. Das Schöne an ihr war die Anteilnahme: Da war die Mama, die Oma, die Tante, der Onkel. Alle sind sie abwechselnd von Wiener Neustadt nach Mödling gefahren. Jedes Mal 40, 50 Kilometer, nur um zwei Stunden oder länger herumzusitzen. Die wussten nicht einmal, wann sie wieder nach Hause kommen.

Ihr Trainer nennt Sie "Hey Kleiner“". Sie sind 23. Stört es Sie?
THIEM: (zögert). Ich bin es seit meiner Kindheit gewohnt. Da war ich ja wirklich noch klein, damals hat es gestimmt.
BRESNIK: Eine depperte Angewohnheit. Ich hab nie gefragt, ob dich das stört. Es könnte sein, dass es ihm missfällt und mir das nicht bewusst ist. Er ist mittlerweile in allen Belangen größer als ich. So gesehen ist es vertrottelt, wenn ich "Kleiner" sage. Es ist eine Koseform.

Bis vor kurzem spürte man tatsächlich das Kind auf dem Platz: Der Musterschüler, scheu, aufblickend. Jetzt spürt man die Reifung. Man sieht, dass er im Spiel einen Machtanspruch formuliert.
BRESNIK: Einen Machtanspruch auf dem Tennisplatz hat der Dominic immer erhoben. Am Anfang war er mir zu brav, zu artig. Er war zu wenig Skoff, zu wenig Koubek. Da war zu viel Kontrolle und zu wenig Tempo. Er ballte die Faust nicht, verzichtete darauf, nach einem gewonnenen, hart umkämpften Punkt, dem Gegner einen Blick zuzuwerfen, der die Machtfrage klärt. Die Großen gewinnen die Titel nicht, weil sie um so viel besser sind, sondern weil sie den Gegner mit ihrem Selbstvertrauen einschüchtern. Heute ist Dominic viel aggressiver im Kopf, und das auf eine einnehmende, empathische Art.

Hier geht's zum zweiten Teil des Interviews.