Die Indizienflut des WADA-Sonderermittlers zum gigantischen russischen Dopingskandal dürfte bald Nachbeben auslösen. Zwei akribisch recherchierte Berichte hat der kanadische Rechtsprofessor McLaren vorgelegt, mehr als 1.000 russische Athleten aus 30 Sportarten sollen in das staatlich dirigierte Manipulationssystem involviert gewesen sein.

Wie vor den Sommerspielen in Rio de Janeiro ist nun das Internationale Olympische Komitee (IOC) mit seinem Präsidenten Thomas Bach gefragt. Trotz der erdrückenden Beweislage gegen Russland ist Bach weiter strikt gegen den kompletten Olympia-Ausschlusses eines ganzen Landes. Der Deutsche setzt weiter auf Einzelfallprüfungen, er sagt aber auch: "Für mich als Olympia-Teilnehmer sollte jeder Athlet oder Offizielle, der sich aktiv an einem solchen Manipulationssystem beteiligt hat, lebenslang von den Olympischen Spielen ausgeschlossen werden - in welcher Funktion auch immer."

Doch für viele ist das Maß längst voll. Weshalb im Visier kritischer Kommentare der internationalen Presse am Samstag vor allem das IOC stand. Es zeichne sich vor allem "durch seine Unschlüssigkeit und seine Verschleppung der Sache aus", urteilte der britische "The Guardian". Das IOC-Statement zum McLaren-Bericht enthalte "keine Verurteilung, keine Reue, keine Entschuldigung, lediglich 300 Worte leeren Geschwafels". Der "Daily Telegraph" befand: "Solange der Fünf-Ringe-Zirkus keine ernsthaften Maßnahmen gegen das Doping unternimmt, sollten sich die Metropolen der Welt der "größten Show der Welt" verweigern."

McLaren hatte in seinem am Freitag vorgestellten Bericht von einer "institutionellen Verschwörung" im russischen Sport gesprochen. Dass 1.000 im veröffentlichten Bericht noch chiffrierte Namen schließlich auch 1.000 Dopingfälle sind, ist sehr unwahrscheinlich - jeder einzelne muss von den zuständigen Verbänden nun geprüft werden. Die Welt-Anti-Doping-Agentur wird deshalb die Erkenntnisse aus dem Report und die entschlüsselten Namencodes an das IOC, die betreffenden internationalen Fachverbände und an das Internationale Paralympische Komitee weitergeleiten.

Parallel dazu will das IOC nun auch eingelagerte Dopingproben der Winterspiele 2014 in Sotschi mit verbesserten Methoden neu analysieren. Nachkontrollen der Spiele 2008 und 2012 haben bisher bereits 101 positive Ergebnisse gebracht, mehr als 30 davon waren Russen, darunter 19 Medaillengewinner.

McLaren hatte am Freitag Beweise dafür vorgelegt, dass Dopingproben von insgesamt zwölf Medaillengewinnern der Olympischen Winterspiele in Sotschi 2014 manipuliert worden seien - in vier Fällen soll es sich um Olympiasieger handeln. Auch deshalb wurde das Mandat der IOC-Kommission, die nun die Einzelfallprüfungen vornehmen soll, auf die Sommerspiele 2012 erweitert. Die Disziplinarkommission wird vom Schweizer Denis Oswald geleitet.