Qurban Qurbanov ist alles andere als zurückhaltend. "Es gibt keine Mannschaft, die wir fürchten", sagt der Trainer von FK Karabach Agdam. Der krasse Außenseiter aus Aserbaidschan fiebert seiner Premiere in der Champions League entgegen. Erstmals in der Geschichte hat sich überraschend ein Verein aus der früheren Sowjetrepublik für die Gruppenphase der Königsklasse qualifiziert.

Als erster Gegner wartet heute Abend Chelsea auf den aserbaidschanischen Meister und Cupsieger (20.45 Uhr). "Wir spielen für die Fans, und dieser Sieg wird uns helfen, zusammen noch stärker zu sein", meinte Qurbanov, nachdem der Einzug in die Champions League Ende August in der Qualifikation gegen den FC Kopenhagen gelungen war. Ausgelassen feierten die Fans den historischen Erfolg, als sie ihre Spieler in Baku empfingen. Die ganze Nacht zogen die Anhänger des im Westen weitgehend unbekannten Clubs mit Autokorsos und flatternden Fahnen durch die Straßen der Millionenmetropole am Kaspischen Meer.

Groß war der Jubel auch deswegen, weil Karabach Agdam wegen seiner tragischen Vergangenheit nach Auffassung vieler wie kein anderer Verein für den Kampfgeist der Südkaukasusrepublik steht. Seit 1993 kann der Club wegen des blutigen Konflikts um das von Aserbaidschan abtrünnige Gebiet Berg-Karabach nicht mehr in seiner Heimatstadt spielen, sondern ist in Baku zu Hause. Denn: Agdam gibt es nur noch auf Landkarten und im Gedächtnis Tausender Vertriebener.

Als sich 1991 pro-armenische Kräfte in Karabach von Baku lossagten, entbrannte ein heftiger Krieg mit fast 30.000 Toten. Die Stadt Agdam fiel 1993 an die Separatisten, die rund 30.000 Einwohner flohen oder wurden vertrieben, Häuser wurden bis auf die Grundmauern zerstört. Seitdem ist Agdam eine Geisterstadt hinter schwer befestigten Linien der pro-armenischen Streitkräfte. Nur vereinzelt lassen Mauerreste noch orientalisch anmutende Spitzbögen erahnen.

2016 wurden 120 Menschen getötet

Ein Waffenstillstand 1994 beendete zwar die Kämpfe, doch das Blutvergießen flammt bis heute immer wieder auf. Zuletzt wurden im April 2016 rund 120 Menschen getötet. Die Vereinten Nationen verurteilen, dass die Aufständischen über die Grenzen von Berg-Karabach hinaus aserbaidschanische Gebiete besetzt halten.

Gerade diese tragische Geschichte macht den FK Karabach Agdam, der in Gruppe C auch noch auf Atletico Madrid und AS Roma trifft, zu einem besonderen Gegner, bei dem Sport und Politik Hand in Hand gehen. "Obwohl die Stadt Agdam besetzt ist, erobern ihre Vertreter Europa. Dies zeigt, dass sich das aserbaidschanische Volk niemals mit dieser Besetzung abfinden wird", sagte der autoritär regierende Präsident Ilham Aliyev bei einem Treffen mit den Fußballern. "Wir erringen Siege nicht nur auf dem Schlachtfeld, sondern auch auf den Sportplätzen."

Mit zwei Millionen Manat (eine Million Euro) hat Aliyev den FK für den historischen Einzug in die Königsklasse belohnt. Neben solchen Zuwendungen des ölreichen Staates lebt der Verein vor allem von seinem Hauptsponsor, der privaten Lebensmittelholding Azersun. Eine Anfrage zu Vereinsstruktur und -finanzen blieb zunächst ohne Antwort.

Auch wenn Karabach Agdam international wohl nur Insidern etwas sagen dürfte, gehört der Club zu den Traditionsvereinen seines Landes. Fünfmal waren die Blau-Weißen mit den Pferden im Wappen Meister, sechsmal holten sie den Cup. International hat sich der FK mit Europa-League-Auftritten langsam an die Königsklasse herangerobbt, vor sieben Jahren scheiterten sie in der Qualifikation zur Europa League an Borussia Dortmund.

Neben Tarik Elyounoussi, dem norwegischen Ex-Stürmer von 1899 Hoffenheim, und einer Handvoll internationaler Legionäre kicken vor allem Aserbaidschaner in den Reihen des FK. Der russische Stürmer Ramil Schejdajew aus St. Petersburg spielt erst seit Kurzem für Karabach und geht optimistisch in das Spiel gegen Chelsea. "Die meisten Fans sagen, dass wir keine Chance haben, doch im Fußball ist alles möglich", sagt der 21-Jährige dem Portal azerisport.com zufolge. "Wir wollen zeigen, dass wir in der Lage sind, den Großen der englischen Liga Widerstand zu leisten."