Die Debatte um einen Boykott des EM-Austragungslandes Ukraine reißt nicht ab. Mit ihrem Vorgehen gegen Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko verbaut sich Kiew nach Ansicht des deutschen Außenministers Guido Westerwelle vorerst eine Annäherung an die EU. "Mit unseren Partnern in der Europäischen Union sind wir uns einig, dass das EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine nicht ratifiziert werden kann, solange sich die Rechtsstaatlichkeit in der Ukraine nicht in die richtige Richtung entwickelt", sagte Westerwelle der "Rheinischen Post" (Donnerstag). Zugleich wandte sich Westerwelle gegen Debatten über eine Verlegung der Fußball-Europameisterschaft, die im Juni in Polen und der Ukraine stattfinden soll.

Hoffen, dass die Ukraine "noch einlenkt"

Über mögliche Sanktionen und die Forderung Westerwelles, das EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine nicht zu unterzeichnen, wird nach Angaben von Außenminister und Vizekanzler Michael Spindelegger (V) beim nächsten Außenministertreffen in Brüssel am 14. Mai diskutiert. Spindelegger äußerte gegenüber der Austria Presse Agentur die Hoffnung, dass die Ukraine "noch einlenkt" und dass Timoschenko bald in die Berliner Charite überstellt werde. Dort wurde sie bereits Mitte April behandelt. Gefragt, ob auch eine Verlegung nach Österreich infrage komme, antwortete Spindelegger: "Wenn es am Ort scheitert, wären auch wir bereit, Timoschenko aufzunehmen."

Im Gegensatz zum polnischen Staatspräsidenten Bronislaw Komorowski sprach sich Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski für einen Boykott der Ukraine während der EM aus. Der Druck auf das Nachbarland, das gemeinsam mit Polen EM-Gastgeber ist, müsse verstärkt werden, schrieb Kaczynski in einem Beitrag für die polnische Nachrichtenagentur PAP (Donnerstag). Das Vorgehen der ukrainischen Führung gegen die Opposition, vor allem gegen die inhaftierte ehemalige Regierungschefin Timoschenko, erfordere eine harte Haltung auch der polnischen Politiker. Der polnische Staatspräsident hatte dagegen am Mittwochabend in einem Fernsehinterview einen EM-Boykott der Ukraine als unangemessene Reaktion bezeichnet. Er warnte davor, dass eine Isolation des Landes die Westintegration der Ukraine gefährde.

Absage auch aus Lettland und Estland

Die Staatspräsidenten von Lettland und Estland sagten unterdessen ein Treffen zentraleuropäischer Staatschefs Mitte Mai in die Ukraine ab. Der lettische Präsident Andris Berzins habe zum Zeitpunkt der Gespräche in Jalta verfassungsgemäß die abwesende Parlamentspräsidentin zu vertreten, berichtete die Tageszeitung "Diena" unter Berufung auf seine Sprecherin. Der Präsident könne keine Termine im Ausland wahrnehmen. Am Dienstag hatte der estnische Präsident Toomas Hendrik Ilves erklärt, wegen einer zeitgleich in Tallinn stattfindenden Konferenz nicht nach Jalta zu reisen. Zuvor hatten bereits mehrere Staatschefs das Treffen abgesagt, unter ihnen der deutsche Präsident Joachim Gauck, der tschechische Präsident Vaclav Klaus und sein slowenischer Amtskollege Danilo Türk. Auch Bundespräsident Heinz Fischer wird an dem Treffen auf der Krim nicht teilnehmen, er sagte "aus terminlichen Gründen" bereits vor mehreren Wochen ab.

Die frühere ukrainische Regierungschefin, die nach Angaben ihrer Tochter an einem Bandscheibenvorfall und einem Leistenbruch leidet, lehnt eine Therapie in einer ukrainischen Klinik ab. Timoschenkos Tochter Jewgenija sagte der Deutschen Welle, die Angehörigen und Anwälte forderten schon seit zwei Monaten, dass ihre Mutter "von einem Arzt ihres Vertrauens" behandelt werden könne. Dies werde von den Behörden aber nicht zugelassen. Jewgenija Timoschenko beklagte, ihr Land sei "einmal auf dem Weg zu mehr Demokratie, auf dem Weg nach Europa" gewesen. Die letzten Entwicklungen seien aber so, "dass wir bald in einem totalitären Land leben", fügte Timoschenkos Tochter hinzu.