Womit beschäftigt sich die Pflegeforschung überhaupt?
Christa Lohrmann: Es geht um das Kranksein, um das Erleben von gesundheitlichen Problemen und Einschränkungen, um Prävention und Gesundheitsförderung und natürlich um das pflegerische Handeln und um die Ergebnisse, die wir damit erzielen. Schwerpunkte sind etwa Mangelernährung, Pflegeabhängigkeit, Demenz, Pflegequalität oder die Umsetzung von Forschungsergebnissen in die pflegerische Praxis.
Was hat sich in den vergangenen zehn Jahren in der Pflege in Österreich getan?
Lohrmann: Es hat sich sehr viel Positives getan. Vor zehn Jahren gab es noch Berührungsängste zwischen Wissenschaft und Praxis. Das war ungewohnt und neu, aber mittlerweile klappt es wunderbar – wir haben eine sehr gute Zusammenarbeit zwischen den Gesundheitseinrichtungen und der Pflegewissenschaft. Und das in ganz Österreich. Dadurch, dass unsere zahlreichen Absolventen und Absolventinnen in der Praxis tätig sind, kommt es zu einem Dialog zwischen den Generationen.
Wie sehen die Qualitäts-Standards heute in Österreich aus?
Lohrmann: Österreich hat sich in den vergangenen Jahren international anpassen können. Wir waren eines der letzten Länder, die die Ausbildung an die Hochschule gebracht haben. Der formale Schritt ist nun geschafft. Unsere Studiengänge müssen sich international nicht verstecken. Da sind wir sehr gut aufgestellt.
Und in der Pflege-Praxis?
Lohrmann: Leider wird zu wenig von positiven Dingen berichtet. Es geschieht da sehr viel und es wird hervorragende Arbeit geleistet. Die Patienten und Patientinnen können sich gut aufgehoben fühlen. Was wichtiger wird, ist, dass der Fokus noch viel stärker auf die Umsetzung von Forschungsergebnissen gesetzt werden muss.
Welche Forschungsthemen sprechen Sie hier an?
Lohrmann: Demenz ist ein großes Thema, chronische Erkrankungen wie Diabetes mellitus, Patientensicherheit, Gesundheitsförderung, aber auch Förderung der Selbstpflegefähigkeiten von Patienten. Genauso die Zusammenarbeit und der Umgang mit Patienten und Patientinnen, die heute viel besser informiert sind als vor zehn Jahren. Und die interdisziplinäre Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Was ein Problem ist: Haben wir genug Pflegepersonen in der Zukunft?
Was bedeutet das konkret für die Berufsbilder?
Lohrmann: Die Berufe müssen attraktiv sein, wir brauchen flexible Arbeitszeitmodelle, flexible Versorgungsstrukturen, Karrieremöglichkeiten für interessierte junge Menschen, damit sie überhaupt in den Beruf hineingehen. Und wir brauchen natürlich auch Ressourcen, damit sich Pflegepersonen auch wirklich um die Patienten und Patientinnen kümmern können.
Bewirkt der demografische Wandel, also eine immer älter werdende Bevölkerung, dass immer mehr pflegebedürftige Menschen da sind?
Lohrmann: Es heißt nicht, dass immer älter werdende Menschen automatisch pflegebedürftig sein müssen. Personen jenseits der 85 Jahre haben zwar ein zweifach höheres Risiko, pflegebedürftig zu werden, aber sie müssen es nicht. Leute, die jetzt älter werden, sind meist gesünder und mobiler, als die Generation, die wir hatten. Aber sicherlich hat der Wandel etwas damit zu tun, dass die Herausforderungen für häusliche oder mobile Pflege steigen werden. Was Leute brauchen, ist auch nicht immer Pflege. Sie benötigen häufig Serviceleistungen, Betreuung, Unterstützungen, was oft unter Pflege subsumiert wird.
Gibt es Länder, die beispielhaft für gute Pflege sind?
Lohrmann: In vielen Ländern wie Skandinavien, die Niederlande, Großbritannien gibt es seit 30 Jahren oder länger Pflegewissenschaft. Wir können von diesen Ländern lernen und viele positive Entwicklungen übernehmen bzw. für Österreich adaptieren.
Was halten Sie von technischen Hilfsmitteln im Pflegebereich?
Lohrmann: Auch hier gibt es einige Länder, die Vorreiter sind, etwa Japan. Es geht aber nicht primär darum, das Personal zu entlasten, sondern darum, Patienten und Patientinnen zu unterstützen. Also in Sachen Kommunikation, Gesundheitsüberwachung, beim Monitoring, zum Beispiel bei Stürzen. Der Markt ist groß und es gibt viele Entwicklungen. Es wird sich zeigen, welche Hilfsmittel die Endnutzer dann letztlich wollen.

Univ. Prof. Dr. Christa Lohrmann, Vorständin des Instituts für Pflegewissenschaft an der Med Uni Graz
Univ. Prof. Dr. Christa Lohrmann, Vorständin des Instituts für Pflegewissenschaft an der Med Uni Graz © kk