Unter der Brücke 5, das war meine Adresse. 15 Jahre lang." Vom Frieren im Winter, von seiner Liebe fürs Schachspielen, vom Anstellen vor Notschlafstellen, von Herzinfarkt, Krebs und Schlaganfall, die er überlebt hat. Davon erzählt Wolfgang Pernsteiner und schenkt Kaffee nach. "Ich hab nichts ausgelassen", lacht der 67-Jährige.

Mehr als zehn Jahre lebte er in einem anderen Obdachlosenheim des Wiener Vereins Neunerhaus, vor zwölf Monaten ist er in das Haus in der Favoritener Kudlichgasse gezogen. "Ich habe mir Sorgen gemacht, dass ich mich nicht einlebe. Aber mein Zimmer ist toll." Möbliert, mit Küche und Bad, sogar einen eigenen Fernseher und einen Toaster hat er. Luxus, wie er sagt. "Es geht mir so gut wie noch nie. Ich bin zu Hause. Zum ersten Mal."

Das größte Kompliment für die Architekten Liane Liszt und Karl Langer, die das siebenstöckige Gebäude mit seinen 60 Wohnungen 2006 entworfen haben. "Wir wollten kein tristes Sozial-Hotel, sondern ein Haus, das Freude am Leben macht", sagt die Planerin. Hell und freundlich sind die Zimmer ausgemalt, die hohen französischen Fenster lassen viel Licht in die Räume.

"Erst war der Neubau als Unterkunft für obdachlose Senioren gedacht", sagt Neunerhaus-Geschäftsführer Markus Reiter. "Dann wurde daraus sozial betreutes Wohnen für Menschen, die auf der Straße gelebt haben, und physisch oder psychisch nicht mehr in der Lage sind, einen eigenen Haushalt zu führen."

Die deshalb meist barrierefreien Wohnungen sind mit durchschnittlich 21 Quadratmetern bewusst klein gehalten, damit sich die Bewohner zwar zurückziehen können, sich darin aber nicht verschanzen, erklärt Liszt. Dafür dienen großzügige Flächen am Gang als "vorgelagertes Wohnzimmer", in dem zusammengesessen, getratscht wird. Das fördert die Stockwerkgemeinschaft, die diese Flächen gestalten darf, wie sie mag. Im offenen Stiegenhaus kommt man sogar über die Etagen hinweg ins Gespräch.

Die meisten Bewohner haben im Neunerhaus wieder Halt gefunden, viele Freunde, ein paar sogar Liebe. Jeder hat seinen eigenen Schlüssel zum Haus, seinen eigenen Postkasten, Besucher sind erwünscht, Haustiere erlaubt. Freiheiten, die motivieren, auf das Neunerhaus aufzupassen, als wäre es das eigene.

Deshalb hat die Hausgemeinschaft selbst die Grundregeln für das Zusammenleben aufgestellt. "Wir haben auch Bewohner unserer anderen Einrichtungen als Experten zum Thema Möblierung befragt. Sie wissen, was wirklich gebraucht wird", sagt Reiter. Wie etwa die Waschküche in jedem Stockwerk, um möglichst selbstständig und eigenverantwortlich zu leben.

In der Bauphase hat sich im Bezirk bald herumgesprochen, wer in das neue Haus einziehen soll. "Einige Anrainer haben sich beschwert, dass man für diese Menschen so schön baut", sagt Liszt. "Dabei haben wir ganz einfach gut geplant und jeden Quadratmeter des kleinen Grundstücks genutzt." Wie mit einem kleinen Garten auf dem Flachdach oder dem der Kantine "Neuner-Beisl" vorgelagerten Patio. Der Innenhof entstand als schöner Nebeneffekt durch Abgraben eines Stockwerks, um mehr Räume mit Tageslicht zu schaffen.

Mittlerweile seien das Neunerhaus und seine Bewohner im Viertel aber gut integriert, sagt Reiter. "Beleg dafür, wie viel Menschen daraus machen können, wenn man ihnen eine zweite Chance gibt." KARIN RIESS