Am 3. und 4. Juni finden in Österreich wieder die Architekturtage statt. Welchen Sinn hat die Veranstaltung aus Ihrer Sicht?

CHRISTIAN ANDEXER: Die Veranstaltung ging aus der Überlegung hervor, dass Schriftsteller wie Thomas Mann oder Komponisten wie Beethoven eigentlich jeder kennt. Ob jeder einen Architekten wie Le Corbusier kennt, ist hingegen fraglich, weil an den Schulen nicht viel Architektur gelehrt wird. Es gibt aber eine rege Architekturszene – und die Räume, in denen wir uns aufhalten, sind hoffentlich gut gestaltet, von guten Architekten gemacht.

MARK JENEWEIN:
Es geht darum, Architektur in allen Facetten erlebbar zu machen. Normal sieht man nur Fassaden und Eingangsbereiche, an den Architekturtagen kann man in die Tiefe stoßen: Der ganze Entwicklungsprozess eines Projekts vom ersten Strich auf der Serviette bis zum fertigen Bauwerk wird einem breitem Publikum sichtbar gemacht.

Christian Andexer führt ein Architekturbüro in Graz, zahlreiche Planungen und Wettbewerbe mit Schwerpunkt Sozialbauten und Bauten in historischen Kontext. Er ist Mitglied der Altstadtsachverständigenkommission Graz und Vorsitzender der Sachverständigenkommission für Altstadterhaltung Salzburg.
Christian Andexer führt ein Architekturbüro in Graz, zahlreiche Planungen und Wettbewerbe mit Schwerpunkt Sozialbauten und Bauten in historischen Kontext. Er ist Mitglied der Altstadtsachverständigenkommission Graz und Vorsitzender der Sachverständigenkommission für Altstadterhaltung Salzburg. © KK

Das diesjährige Motto lautet „wert/haltung“. Bitte um zweckdienliche Hinweise.

ANDEXER: Architekten arbeiten an Räumen, in denen Menschen viel Zeit ihres Lebens verbringen. Es geht darum, Werthaltungen zu vermitteln, die ein positives Zusammenleben der Menschen ermöglichen. Das ist besonders wichtig, wenn man etwa an Kindergärten, Schulen oder Altersheime denkt.


JENEWEIN: Zu dem Thema gehören mehrere Komponenten. Für mich hat Wert bzw. Haltung viel mit Nachhaltigkeit zu tun und mit der Wertsteigerung, die eine Immobilie hat, wenn sie nachhaltig gedacht ist. Nachhaltigkeit meint einen verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen beim Bauen.

Mark Jenewein (Bild Mitte) ist gemeinsam mit seinen Partnern Herwig Kleinhapl und Bernhard Schönherr „Love architecture and urbanism“ mit Büros in Graz und Berlin. Das Tätigkeitsfeld reicht von Architektur und Städtebau bis Interiordesign und Projektentwicklung sowie Vermarktung in Europa und Asien.
Mark Jenewein (Bild Mitte) ist gemeinsam mit seinen Partnern Herwig Kleinhapl und Bernhard Schönherr „Love architecture and urbanism“ mit Büros in Graz und Berlin. Das Tätigkeitsfeld reicht von Architektur und Städtebau bis Interiordesign und Projektentwicklung sowie Vermarktung in Europa und Asien. © (c) Jasmin Schuller

Wie steht es um die von Ihnen angesprochenen Werte im aktuellen Wohnbau?

ANDEXER: Die speziellen Werthaltungen, die ich vorhin angesprochen habe, vermisse ich im Wohnbau. Wenn ich so durch die Stadt gehe und mich umsehe, sind die guten Beispiele nicht gerade die neuesten, sondern meistens schon mehr als 20 Jahre alt. Im Wohnbau hat die Einsicht abgenommen, dass Gebäude auch ein Beitrag zum friedlichen Zusammenleben sind, wenn man sich dort wohlfühlt. Es ist allerdings auch die Frage, wie viel Prozent des aktuellen Wohnbaus überhaupt von Architekten geplant werden.

JENEWEIN: Was speziell die Nachhaltigkeit anlangt, muss man einfach noch geduldig sein, das ist ja noch eine relativ neue Geschichte. Der Trend geht in die richtige Richtung, es dauert nur, bis dieser Gedanke wirklich in unseren Köpfen verankert ist. Zusätzlich hat der klassische Wohnbau mit einem unsinnigen Regelwerk zu Gebäudeeffizienz, Bauphysik und Ähnlichem zu kämpfen.

ANDEXER: Teilweise ist Energiesparen ein richtiger Sport geworden, das sollte es aber nicht sein. Wer sein Haus zur Wärmedämmung mit Styropor vollklebt, hat die Umwelt schon verpestet, noch bevor er eingezogen ist.

Wie steht es generell um die Baukultur in Österreich – auch was den Umgang mit alter Substanz anlangt? Wie sehen Sie die Situation?

ANDEXER: Aus meiner Arbeit für die Grazer Altstadtsachverständigenkommission und eine ähnliche Kommission in Salzburg kann ich sagen: In alten Städten zu wohnen, ist wieder attraktiver geworden. Die Baustrukturen wurden früher ja für Generationen und nicht nur für die Abschreibungszeit geschaffen, sie mussten deshalb auch flexibler sein. Jetzt geht es darum, unter Beachtung gewachsener Strukturen den Faden weiterzuknüpfen. Das Neue sollte dabei aus dem Alten herausleuchten. Wenn Sie mich nach den Besonderheiten der Stadt Graz fragen, kann ich mit Sicherheit sagen: Im Vergleich zu anderen Welterbe-Städten hat sie einen hohen Anteil an zeitgenössischer Architektur. Das halte ich für etwas sehr Positives.


JENEWEIN: Im Vergleich mit anderen Ländern ist Österreichs Baukultur noch immer ein interessanter Leuchtturm, weil man hier sehr experimentierfreudig ist. Das kleine Land hat viele berühmte Architekten. Das spricht schon Bände. Und der österreichische Wohnbau ist derzeit ein Exportschlager. Man erlebt hierzulande ein Querdenken, während andere Länder beim Wohnbau fantasielos sind. Wir haben ja ein Büro in Berlin und merken, dass sich der Berliner Markt sehr mit dem österreichischen Gedanken auseinandersetzt. Das ist spannend. In Wien wird ja auch schon lange damit experimentiert, wie man Städte verdichten kann. Österreich hat schnell gelernt, kostengünstiges Bauen und Innovation unter einen Hut zu bringen.