Josef Pröll steht im Zeugenstand. Es sei um die Existenz der Hypo gegangen und um "volkswirtschaftlichen Schaden" abzuhalten, erklärt Pröll im April 2013 als Zeuge im Zivilprozess der BayernLB gegen Hypo-Mitarbeiterstiftung. "Es war", sagt Pröll über die Nacht der Verstaatlichung, "eine Notsituation."
Was vor genau fünf Jahren ablief, war laut Bericht der Kommission von Ingrid Griss aber keine "Not"-Verstaatlichung: "Es gab Alternativen". Dafür keinen Plan und keine Strategie. Kärnten, das mit Milliardenhaftungen den Hypo-Brand legte, schürte am Ende noch das Feuer mit dem Abzug von Millionen. Was geschah wirklich vor und in der Nacht der langen Messer, die zur teuersten der Republik wurde?

Ouvertüre

25. 8. 2009: Pröll trifft den bayerischen Finanzminister Georg Fahrenschon mit den angeschlagenen Bankern Franz Pinkl und Michael Kemmer. 900 Millionen Staatsgeld verrauchten seit Jänner in der Hypo, Bund und Bayern wollen nichts mehr geben.
20. 11. 2009: Bayern tragen dem Bund an, dass er die Hypo nimmt.
25. 11. 2009: Fahrenschon mailt Pröll um rasche Gespräche an. Den internen Zusatz, dass Österreichs Beteiligung mittelfristig angestrebt werde, lässt er weg.
29. 11. 2009: Der BayernLB-Verwaltungsrat berät Strategien. Eine Hypo-Pleite wird von Kemmer als ausgeschlossen bewertet: Damit würde "die BayernLB den ganzen Balkan anzünden und Österreich noch dazu." Und die BayernLB sich selbst. Griss rechnet vor, dass bei Hypo-Pleite 8,2 Milliarden der Bayern "definitiv blockiert" gewesen wären.

Beichtstuhlrunde

Samstag, 12. 12. 2009, 17 Uhr: Die Bayern treffen im Finanzministerium ein. Bis 22 Uhr prallen Fahrenschon und Pröll aneinander. Nach den Einzelgesprächen, der Beichtstuhlrunde, gesteht Pröll zu, Österreich werde "am Ende dabei sein". Nationalbank-Gouverneur Ewald Nowotny warnt eindringlich vor der Hypo-Pleite, mit der Bayern droht. Noch im Jahr zuvor hatte die prüfende OeNB die Hypo als "not distressed" (nicht notleidend) gesehen.

18-Stunden-Poker

Sonntag, 13. 12. 2009, 13 Uhr: Im Kanzleramt berät Bundeskanzler Faymann mit Pröll, Staatssekretär Andreas Schieder und Nowotny die prekäre Lage. Geht die Hypo pleite, rasselt Kärnten mit über 20 Milliarden Euro Haftungen aus der Ära Jörg Haiders mit. Faymann verbleibt im Kanzleramt, telefoniert später mit Angela Merkel, um via Berlin Druck auf die Bayern aufzubauen.
Sonntag, 13. 12. 14.30 Uhr: Im Finanzministerium beginnt der Showdown. Pröll und Schieder gehen mit Beamten des Minsteriums in den Ring, Fahrenschon hat Top-Experten mit: einen Juristen von Freshfields Bruckhaus Deringer, einen Investmentbanker von Morgan Stanley. Frostig beharren die Bayern auf Verstaatlichung oder Pleite der Hypo. Der Druck steigt immens, weil die FMA zur selben Stunden mit sofortiger Wirkung einen Staatskommissär für die Hypo bestellen muss, deren Liquidität ausgeronnen ist. Die Bayern hatten 650 Kredit-Millionen abgezogen.

Kärnten zog Millionen ab

Zum Wochenende hatte Pinkl an die FMA hohe Geldabflüsse melden müssen, so der Griss-Bericht. Kärnten selbst hatte am 10. und 11. Dezember die Hypo mit hohen Summen im Stich gelassen und, wie Ingrid Griss gestern bestätigte, 107 Millionen Euro von Konten abgezogen. Das spielte noch einen Trumpf ins Blatt der Bayern. Am Landesgericht Klagenfurt wird der Konkursrichter Johannes Schnabl vorgewarnt. Gibt es bis Schalteröffnung am Montag um acht Uhr früh keine Rettung für die Hypo, muss der Staatskommissär Konkurs anmelden. Von Klagenfurt bis Dubrovnik steht Wachpersonal für alle 250 Filialen bereit. Bei einem Run auf die Bank, so zitiert der Griss-Bericht eine Kapital-Einschätzung, wäre sie in ein, zwei Tagen leergeräumt.

Haiders politische Erben, Landeshauptmann Gerhard Dörfler und Harald Dobernig, hilflos verloren in den Gängen des Ministeriums. Dörfler, zuvor noch bei Bargeldauszahlungen für Bedürftige in Kärnten, drückt einem Amtsdiener 50 Euro Trinkgeld in die Hand – "weil ihr so tapfer ausharrt". Bei den Bayern wundert man sich: "Hat der noch alle Tassen im Schrank?"
Aus der EU-Zentralbank ruft kurz vor Mitternacht Jean-Claude Trichet an. Er warnt vor eine Flächenbrand wie bei Lehman. Um zwei Uhr früh hat Fahrenschon Pröll im Reindl. Der Bund übernimmt statt 51 Prozent gleich 100 Prozent der Hypo, nun pokert man um die Beiträge von Bayern, Grawe und Kärnten. Eine Richtlinie ist der Kapitalbedarf, den vorher Gottwald Kranebitter mit ausgelotet hat. Er saß als Berater schon seit Wochen in der Hypo. Rund zwei Milliarden Euro – das hat sich später unter ihm als Hypo-Vorstand bitter als fehl erwiesen. Mit ihm war Wolfgang Peschorn ein Architekt der Verstaatlichung. Bis in den frühen Morgen laufen bei ihm jetzt auch die "term sheets" mit Detailergebnissen zusammen. Am Ende werden sie einfach zusammen als fertiger Vertrag unterzeichnet, mit dem die Republik den Bayern, der Grawe, Kärnten und der Mitarbeiterstiftung die Hypo-Anteile um je einen Euro abkauft.

"Tutti completti"

Bei 825 Millionen sagt Fahrenschon "tutti completti". Die Grawe tritt 30 Millionen ab. Um 7.00 Uhr wollen die Kärntner ihren 150-Millionen Beitrag und den Deal platzen lassen, Dörfler gibt aber klein bei. Um 7.30 bekommt der Kommissär den Anruf: "Alles retour, geh ins Kaffeehaus." Dörfler, Dobernig und Josef Martinz erklären die Nacht, die zur teuersten der Republik wurde, strahlend zum "Abwehrkampf. Uns ist Historisches gelungen." Bis Jahresende wird eine Rückabwicklung eingeklagt. Gute Nacht.