In einer Umfrage des Firmenchef-Netzwerks Institute of Directors (IoD) gaben 22 Prozent der Mitglieder an, dass sie solche Überlegungen hegten, wie der Verband am Montag mitteilte. Knapp jeder vierte Befragte (24 Prozent) will demnach vorerst keine neuen Arbeitskräfte einstellen.

Eine klare Mehrheit der Firmenchefs bewertete das Brexit-Votum als problematisch. 64 Prozent gaben an, das Ergebnis des Referendums werde sich negativ auf ihr Geschäft auswirken. Das IoD hatte von Freitag bis Sonntag mehr als 1000 seiner Mitglieder zu den Folgen der Entscheidung befragt. Knapp 52 Prozent der Briten hatten sich am Donnerstag für den Austritt ihres Landes aus der EU ausgesprochen.

"Wir dürfen es nicht beschönigen"

"Die Unternehmen werden fleißig daran arbeiten, wie sie sich anpassen und wie sie nach dem Referendum Erfolg haben können", erklärte IoD-Chef Simon Walker. "Aber wir dürfen es nicht beschönigen: Viele unserer Mitglieder sind verunsichert."

Aus der britischen Wirtschaft kommt nun die Aufforderung an die Regierung, schnell für Klarheit zu sorgen, was genau das Votum bedeutet. In der "Times" schrieb die Chefin des größten Wirtschaftsverbands CBI, Carolyn Fairbairn, die Unsicherheiten belasteten Investmententscheidungen und bremsten die Schaffung von Arbeitsplätzen. Die Regierung müsse "dringend" handeln, um diese Unsicherheiten zu begrenzen. Auch die Handelskammern des Landes forderten, das weitere Vorgehen rasch zu klären.

EU-Behörden siedeln ab

Auch zwei große EU-Behörden stehen vor einem umgekehrten "Brexit" - nämlich dem Abschied aus Großbritannien, wenn das Vereinigte Königreich die EU verlässt. Sowohl die Mitarbeiter der EU-Bankenregulierer (EBA) als auch der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) müssen London nach aktuellem Stand "Goodbye" sagen, nachdem die Mehrheit der Briten am Donnerstag für den "Brexit" gestimmt hat.

EBA. Nach Angaben von EU-Vertretern gibt es bereits Überlegungen, die 2011 gegründete EU-Bankenregulierungsbehörde EBA zeitnah auf den Kontinent zu verlegen. Die 159 Mitarbeiter der Behörde verfassen und koordinieren die Regeln für alle Geldhäuser in der Staatengemeinschaft. Als mögliche neue Heimat sind Frankfurt und Paris im Gespräch, die nach London die beiden größten Finanzzentren Europas sind. Die Frankfurter Standort-Initiative rechnet binnen fünf Jahren mit 10.000 zusätzlichen Arbeitsplätzen in der Main-Metropole. Aus Italien gibt es indes Stimmen, die einen Umzug nach Mailand fordern, um eine zu starke Konzentration von EU-Behörden in den zwei größten Mitgliedsländern der Union zu vermeiden.

Dem Umzug der EBA schließen sich voraussichtlich auch Großbanken an, die ihre Zelte bisher in London aufgeschlagen haben. Der Finanzplatz London verliert auch auf anderem Gebiet an Einfluss, denn mit dem Rücktritt des britischen EU-Kommissars Jonathan Hill kommt dem Königreich der direkte Einfluss auf die Finanzmarktregulierung in der EU abhanden. Zuständig für die Finanzmärkte ist in Brüssel künftig der Lette Valdis Dombrovskis, der als Vizepräsident der EU-Kommission für den Euroraum zuständig ist.

EMA. Die europäische Arzneimittel-Aufsicht ist mit 600 Mitarbeitern die größte EU-Behörde im Vereinigten Königreich. Die seit 1995 bestehende Agentur ist für die Genehmigung neuer Arzneimittel in den 28 EU-Staaten zuständig. Pharmakonzerne aus Deutschland, Schweden, Italien und Dänemark haben den Wunsch geäußert, dass die EMA in ihr Land übersiedelt. Denn für die Firmen wäre es praktisch, wenn die Aufsicht in der Nähe beheimatet ist. Der deutsche Pharmaverband BAH hat bereits einen Umzug der EMA nach Bonn ins Spiel gebracht.

Umgekehrt hat der Verband der britischen Pharmahändler davor gewarnt, dass durch den Brexit Forschung, Investitionen und Arbeitsplätze in der Branche im Königreich gefährdet sind. Mit dem Austritt aus der EU könnte Großbritannien zugleich gezwungen sein, wieder eine eigene Zulassungsbehörde für Arzneimittel zu schaffen. Für Pharmakonzerne - nicht zuletzt für jene aus Großbritannien wie GlaxoSmithKline - würde das mehr Aufwand und Kosten bedeuten, weil sie für neue Medikamente in Europa die Genehmigung von zwei Behörden bräuchten. Und britische Patienten müssen auf neue Medikamente womöglich länger warten als andere Europäer, weil sich die Pharmafirmen bei der Zulassung zunächst auf den größeren EU-Markt konzentrieren.

Ein Ausweg wäre für Großbritannien, das norwegische Modell zu übernehmen und die Zulassung weiter der EMA zu überlassen. Da aber Norwegen EU-Gesetze ohne Einspruchrecht übernehmen muss, haben die Brexit-Befürworter diese Option bisher ausgeschlossen.