80 Millionen Menschen und 90 Millionen SIM-Karten, davon mehr als zehn Millionen in Smartphones. Was diese Statistik über den größten Internet-Markt im mittleren Osten freilich nicht erzählt: Nach wie vor kann das World Wide Web im Iran - ob der Aufhebung der Wirtschaftssanktionen in aller Munde - nur sehr eingeschränkt verwendet werden. Meinungsfördernde und gruppendynamische Netzwerke wie Facebook oder Twitter gelten als "unislamisch" und sind ebenso gesperrt wie viele Wikimedia-Inhalte oder populäre, westliche Nachrichtenseiten.

Dazu gesellen sich auch anderswo digitale Einschränkungen: So müssen sich Blogger vor dem ersten Eintrag im Kulturministerium registrieren lassen - verletzen sie mit einer Publikation islamisches Recht, drohen drakonische Strafen. "Der Iran betreibt eines der weltweit ausgefeiltesten Systeme der Internetzensur und -überwachung", ergänzt die NGO Reporter ohne Grenzen.

Nicht zuletzt hinkt auch die technische Infrastruktur des lange Zeit isolierten Landes hinterher. Selbst bei funktionierender Daten-Verbindung bleiben in den WLan-Netzwerken Downloads mit mehr als 1 Mbit/s oft Utopie.

Start-up-Park und "Irans Amazon"

Was nach kompletter digitaler Misere klingt, kennt mittlerweile allerdings auch das Prinzip Hoffnung. Den schlechten Voraussetzungen und vielen Verboten zum Trotz, werben immer mehr iranische Unternehmen offensiv mit den Inhalten eigener Social-Media-Kanäle. Zudem entsteht in Start-up-Zentren wie dem Pardis Technology Park in der Nähe von Teheran eine lebendige, Mobiltechnologie-orientierte, Start-up-Szene.

Said Rahmani etwa fördert mit seinem Investmentfonds Sarava derlei Jung-Unternehmen. Eines davon, "Digikala", nennt er nicht ohne gewisse Ironie das "Amazon Irans". 850.000 tägliche Besucher, 2,5 Millionen angemeldete Digikala-Nutzer und Wachstumsraten jenseits der 200 Prozent sollen auch zeigen, dass das Internet im Iran nicht mehr aufzuhalten sei.

Lässt Botschaften per Twitter verteilen: Ajatollah Ali Khamenei, Irans "oberster Führer"

Deutlich wird in Tagen wie diesen, dass der staatliche Internet-Schutzwall dem digitalen Turbo nicht mehr standhält. VPN-Lösungen, mit deren Hilfe IP-Adressen verschleiert werden, gehören in Teheran zum guten Ton und haben in den letzten drei Jahren neue Realitäten geschaffen. Kaum einer der jungen, urbanen, gut ausgebildeten Iraner kennt Anyconnect, OpenDoors und Co. nicht, die Anzahl der Anwender ist für das Regime nicht mehr kontrollierbar.

Irans politische und religiöse Führung reagiert ambivalent auf diese tektonische Erschütterung. Einerseits werden Richtlinien verschärft, andererseits die neuen  Technologien und Plattformen für eigene Zwecke verwendet. Der Außenminister betrieb bis vor Kurzem aktiv eines der am bestbesuchten Facebook-Profile und selbst der "oberste Führer", Ajatollah Ali Khamenei, lässt Botschaften per Twitter unter die Menschen bringen.

Sorgte für Aufsehen: Twitter-Konversation zwischen Twitter-Gründer Jack Dorsey und dem iranischen Präsidenten Hassan Rohani

Hoffnung auf eine Öffnung bietet nun das Ende der westlichen Sanktionen. Ende Jänner registrierten einzelne Iraner, erstmals ohne VPN-Lösungen auf Twitter oder Youtube zugreifen zu können. Zudem ließ der aktuelle iranische Staatspräsident Hassan Rohani regelmäßig durchklingen, dass er sich für eine Lockerung digitaler Einschränkungen einsetzen werde. Und der ist immerhin auch ein Twitter-User.