Äpfelbäume, wohin der Blick wandert. In exakten, ewig langen Linien gewachsen und mit breiten, von dichter Wiese gesäumten Abständen als grüne Trenner. In der Luft liegt nur das Surren der Bienen. Streift man durch die Plantagen von Dietmar Schweiggl im Süden der Steiermark, stört erst der Blick fürs Detail die landwirtschaftliche Idylle. Über 50 Hektar des Anbaugebiets wurden heuer von Hagelkörnern getroffen, zahlreiche Äpfel haben dadurch ihre Makellosigkeit eingebüßt. Auch weil Schweiggl aus „Qualitätsgründen“ auf Hagelnetze verzichtet. Wie „Sonnenbrillen“ würde der Schutz funktionieren und den Äpfeln „20 Prozent“ der lebensnotwendigen Sonnenstrahlen vorenthalten, sagt Schweiggl.

Das meteorologische Wechselspiel aus extremer Trockenheit und sintflutartigen Regenfällen hat freilich nicht nur südsteirische Ernten beeinträchtigt. Bei der Hagelversicherung schätzt man die Schäden in der Landwirtschaft bis dato auf 170 Millionen Euro, viele für den Handel vorgesehenen Produkte wandern nun zu billigeren Preisen in die Industrie oder gar in den Müll. Daran sei man „auch selbst schuld“, wie Dietmar Schweiggl offen erzählt. Gemeinsam mit dem Handel habe man den Konsumenten einen Drang zum perfekten Produkt „anerzogen“.

Eine der skurrilen Folgen: Landwirte hatten in der jüngsten Vergangenheit oft Schwierigkeiten, den Salat oder den Apfel zu produzieren, den Handel und Konsument wollten. Bis zu 40 Prozent, so schätzt es die „Food and Agriculture Organization“ (FAO), des europäischen Obsts und Gemüses würden aus optischen Gründen den Weg in die Supermärkte nicht finden.

Weg von der Wegwerfkultur

Nun setzt ein erster Gegentrend ein: Produkte mit Schönheitsfehlern sollen wieder salonfähig gemacht werden. Bei Schweiggls Abnehmer Rewe (Billa, Merkur) hat man im Oktober 2013 die Eigenmarke „Wunderlinge“ eingeführt. Dort finden sich nun auch Äpfel mit Hagelschäden oder einem Durchmesser von „nur“ 55 Millimetern. Normalerweise gilt: Zwischen 70 und 75 müssen es sein.

Bei Rewe, auch Erdäpfel oder Karotten laufen unter der Marke, erzählt man heute jedenfalls stolz von der Kundenakzeptanz der neuen Linie. Pro Woche würde man 70 Tonnen „Wunderlinge“ verkaufen, Tendenz steigend.
Auch die Anzahl internationaler Vorbilder ist beachtlich. „We love ugly fruit and veg“ – „Wir lieben hässliches Obst und Gemüse“ – ließ die britische Handelskette Sainsbury’s wissen. In der Schweiz baut Supermarktriese Coop auf zerdepschte Marillen, Zitronen oder Auberginen und die dafür kreierte Marke „Ünique“.

Kritiker sehen "Marketing-Gag"

Freilich: keine Weiterentwicklung ohne kritische Stimmen. Einen „Marketing-Gag“ orten Branchenkenner – geschickter wäre es, gute Qualitäten mit höheren Preisen zu segnen, sagen einige Produzenten. Wie dem auch sei, der Weg weg vom Wegwerfen scheint sinnvoll. Alleine in Österreich landen laut „United Against Waste“ pro Jahr Hunderttausende Tonnen genießbarer Lebensmittel im Müll: 200.000 Tonnen soll die Gastronomie wegschmeißen, 160.000 Tonnen kübeln Konsumenten, 75.000 Tonnen der Handel.

MARKUS ZOTTLER