Die EU-Kommission drängt die europäischen Regierungen einem vertraulichen Bericht zufolge hinter verschlossenen Türen dazu, im Zusammenhang mit dem Freihandelsabkommen TTIP weiter mit den USA über die umstrittenen Schiedsgerichte für den Investorenschutz (ISDS) verhandeln zu können.

Die Kommission "machte deutlich, dass es aus verhandlungsstrategischen Gründen immens wichtig sei, dass ISDS nicht aus TTIP herausgenommen werde", heißt es in einem vertraulichen Bericht der deutschen Ständigen Vertretung in Brüssel über ein Treffen Mitte Jänner, der AFP am Mittwoch vorlag. Die "EU müsste hierfür ansonsten einen sehr hohen Preis bezahlen".

Die Kommission kündigte demnach zugleich an, mit den USA erst wieder über die Schiedsgerichte sprechen zu wollen, "wenn der Meinungsbildungsprozess in der EU abgeschlossen sei".

Streichung provoziere Gegenreaktionen

Bei dem Treffen informierte die EU-Kommission die Vertreter Deutschlands und der übrigen Mitgliedstaaten über die Verhandlungen zum Freihandelsabkommen TTIP mit den USA. Die EU-Kommission ist auf EU-Seite federführend. Dem Report zufolge würde die Streichung von ISDS Gegenreaktionen provozieren: "Sollte ISDS aus TTIP herausgenommen werden, so würden die USA infolgedessen auch Themen, die für die EU wichtig seien, von der Verhandlungsagenda streichen." So fasst der deutsche Bericht die Befürchtungen der EU-Kommission zusammen.

Bei ISDS geht es um den Schutz von Investoren durch umstrittene nicht-staatliche Schiedsgerichte. Kritiker befürchten, dass diese gesetzliche Standards aushebeln und die Demokratie unterhöhlen.

Öffentlichkeit sprach sich gegen ISDS aus

Die EU-Kommission hatte jüngst eine Befragung der Öffentlichkeit organisiert, bei der sich die große Mehrheit skeptisch gegenüber ISDS zeigte. Daraufhin kündigte die Kommission weitere Konsultationen darüber an, bevor sie "irgendwelche politischen Empfehlungen" zu dem Thema abgeben wolle, wie es in einer Erklärung der Kommission hieß. Dies war ein bis zwei Tage vor dem Treffen, auf das sich der vertrauliche Report bezieht.

Andererseits bekräftigte die Kommission aber auch bei der öffentlichen Ankündigung, dass sie ein gegenüber bestehenden Regelungen verbessertes ISDS anstrebe. Das heißt, dass sie auch öffentlich bereits erkennen ließ, dass sie auf Schiedsgerichte für den Investorenschutz in dem Freihandelsabkommen nicht verzichten will.

Deutsche Auto-Bosse machen Druck

Mit dem massiven Aufgebot fast aller Chefs erhöhen unterdessen die deutschen Autobauer den Druck für einen Abschluss des umstrittenen Freihandelsabkommens TTIP mit den USA. Die Vorstandsvorsitzenden von Daimler, BMW, Audi, Porsche und den Kölner Ford-Werken traten in Berlin gemeinsam auf, um für den Wegfall von Handelshemmnissen zu werben.

Unterstützt wurden sie dabei von den Zulieferern Bosch und Kirchoff. Die Branche treibt der zunehmende Widerstand gegen das Freihandelsabkommen um.

"TTIP bietet eine einmalige Chance, unsere Märkte auf beiden Seiten des Atlantiks besser zu integrieren", warb Daimler-Chef Dieter Zetsche. BMW-Chef Norbert Reithofer sagte, Autozölle als Schutz der heimischen Wirtschaft vor Wettbewerb, seien zwischen Europa und den USA nicht mehr zeitgemäß. "Keine Seite muss vor der anderen geschützt werden." Ein so massives politisches Statement haben die Autobosse noch nie abgegeben. Lediglich am Rande von Messen waren Konzernchefs in der Vergangenheit gemeinsam aufgetreten, um sich für die Förderung der Elektromobilität einzusetzen.

Zölle machen eine Milliarde Euro aus

Die Autokonzerne argumentieren damit, dass sie viel Geld sparen können, wenn wegen unterschiedlicher Vorgaben nicht mehr verschiedene Blinker, Seitenspiegel und Abblendlichter für die USA und Europa produziert werden müssten. Allein die Zölle in den USA und der EU addieren sich laut Branchenverband VDA auf rund eine Milliarde Euro im Jahr.

VDA-Chef Matthias Wissmann sagte, man nehme die Ängste der TTIP-Gegner ernst, teile sie aber nicht. Das Abkommen werde "eine Quelle nachhaltigen Wachstums und Wohlstands für alle Bürger in den USA und der EU". Die Chefs von Volkswagen, Martin Winterkorn, und Opel, Karl-Thomas Neumann, nahmen aus Termingründen an dem Treffen nicht teil.

Für die Autobauer ist Nordamerika nach China der zweitwichtigste Wachstumsmarkt. Dank des billigen Sprits steigt die Pkw-Nachfrage dort nach Jahren der Krise wieder. Mehr als 16 Millionen Fahrzeuge wurden in den USA im vergangenen Jahr verkauft, ein Plus von knapp sechs Prozent. Allein die deutschen Hersteller kommen auf knapp eine Million verkaufte Fahrzeuge.

In Deutschland, aber auch in anderen EU-Ländern, gibt es bei einer Vielzahl gesellschaftlicher Gruppen - von Gewerkschaften über Umwelt- und Verbraucherschützer bis hin zu kirchlichen und kulturellen Organisationen - Widerstand gegen TTIP. Im Zentrum der Kritik stehen Ängste, dass durch das Freihandelsabkommen Umwelt-, Arbeits- und Verbraucherschutzrechte in Europa ausgehebelt werden könnten. Die in der Automobilbranche in Deutschland stark vertretene IG Metall warnt zudem vor einer Aushöhlung von Mitbestimmungsrechten. Die Befürworter des Abkommens versprechen sich davon mehr Wachstum und Arbeitsplätze in Europa wie in den USA.