Ihre Heimatstadt Freiburg, deren oberster Stadtplaner Sie 30 Jahre lang waren, wurde zur nachhaltigsten Großstadt Deutschlands erkoren. Die Stadt erhielt für ihr städteplanerisches Konzept die Auszeichnung „European City of the Year“. Was hat Freiburg richtig gemacht?

WULF DASEKING: Wir haben Stadtplanung umfassend gesehen und versucht, Ökologie, Ökonomie und die soziale Frage unter Beteiligung der Bevölkerung und Einbeziehung der Region unter einen Hut zu bringen. Das ist möglich, dafür braucht man aber die entsprechende politische Kultur und unabhängige, kritische Fachleute, keine Jasager.

Graz ist wie Freiburg eine stark wachsende Stadt. Bis 2031 soll die Bevölkerung um zehn Prozent zunehmen. Wie begegnet man der Herausforderung als Stadtplaner?

DASEKING: Dass eine Stadt wächst, ist ja an und für sich nicht schlecht. Nur die Stadtstruktur muss stimmen. Man muss ein Einvernehmen mit dem Umland hinkriegen, darf die Stadt nur dort entwickeln, wo es auch Öffentlichen Personennahverkehr gibt, muss dicht und vielfältig bauen. Und ganz ein entscheidender Punkt ist, was sie in den Stadtteilzentren machen.

Warum muss man gerade dort besonders hinschauen?

DASEKING: Wenn Sie auf der grünen Wiese riesengroße Elefanten bauen, läuft in der Stadt gar nichts mehr. So killen sie die Läden, die für die Leute fußläufig erreichbar sind. Wir haben Anfang der 80er Jahre beschlossen, keine großen Einzelhandelsflächen mehr auf die grüne Wiese zu bauen und haben innerhalb des Stadtgebiets Tausende Quadratmeter mit Läden belegt.

Ein völlig neuer Stadtteil soll in den kommenden Jahren im Westen von Graz auf den Reininghausgründen entstehen. Sie haben mit dem Rieselfeld ein ähnliches Projekt in Freiburg umgesetzt. Wie kann so ein Vorhaben gelingen?

DASEKING: Bevor der erste Siedler auf das Gelände kommt, muss die Straßenbahn dorthin rollen. Und die Stadt hat in Rieselfeld genau vorgeben, welche Wohneinheiten entstehen sollen, welche ökologischen Maßnahmen Standard sein müssen, wie viele Sozialwohnungen, Miet- und Eigentumswohnungen entstehen sollen – das kann man nicht dem freien Markt überlassen. Für das Rieselfeld waren etwa Niedrigenergiehäuser der Standard, in Vauban waren es dann auch Passivhäuser.

Der Stadtteil Vauban gilt als Öko-Musterviertel und als internationales Vorzeigeprojekt. Ressourcenschonend und energieeffizient bauen - können da auch Leute etwas damit anfangen, die sich nur eine Sozialwohnung leisten können?

DASEKING: Wenn man im Energiebereich einspart, wird das Wohnen ja nicht teurer, im Gegenteil, man spart bei den laufenden Kosten. Wir haben in Freiburg 2011 beschlossen, dass jedes Haus, das neu gebaut wird, ein Passivhaus ist. Die Stadt hat zwischen 1992 bis 2012 immerhin 20 Prozent CO2 eingespart.

Der Stadtteil Vauban ist weitgehend autofrei. Wie haben Sie den Leuten das eigene Auto ausgeredet?

DASEKING: Wenn Sie etwas ändern wollen, müssen Sie das Messer scharf ansetzen. Stadtplanung tut weh, das ist kein Schmusekurs. Individualverkehr einschränken, der Bequemlichkeit entgegenwirken, ist das Thema. In Vauban gibt es keine Stellplätze bei den Häusern. Normalerweise kommen in Deutschland auf 1.000 Bewohner zwischen 550 und 650 Autos, in Vauban sind es 85. In Deutschland machen übrigens 40 Prozent der jungen Leute gar keinen Führerschein mehr.

Schaut man sich die jüngsten Zahlen für Graz an, werden die meisten Wege in der Stadt noch immer mit dem Auto zurückgelegt. Was tun?

DASEKING: In Freiburg haben wir den öffentlichen Nahverkehr zu einem Rückgrat der Stadt umgebaut. Er ist im Prinzip die Lebensader der Stadt. Stadtentwicklung gibt es grundsätzlich nur entlang dieser Nahverkehrsbänder. Wir haben es geschafft, dass mehr als zwei Drittel der Bevölkerung in einer Entfernung von maximal 250 Metern zur Straßenbahn leben. Vorrang dem Öffentlichen Verkehr und den Radfahrern!

Und die Pendler, die an den Einfahrtsstraßen im Stau stehen?

DASEKING: Ohne Einbeziehung des Umlands läuft gar nichts, da müssen Sie die zuständigen Herren wie in der Sixtinischen Kapelle einsperren, bis weißer Rauch herauskommt. Sie brauchen Knotenpunkte, wo der öffentliche Verkehr hinfährt und Sammelparkplätze da draußen. Firmen könnten etwa die Hälfte des Tickets für den Öffentlichen Verkehr bezahlen, dafür können Sie auf Stellplätze am Firmengelände verzichten und den Platz anders nutzen.

Gibt es etwas, was Sie heute anders machen würden?

DASEKING: In Rieselfeld sind geförderte Wohnungen nach einigen Jahren auf den freien Markt gekommen. Die Preise sind gestiegen, Leute mussten wegziehen. Aber Segregation darf nicht passieren - wenn man das stabilisieren will, muss es dauerhaft geförderte Wohnungen geben.

Welche Städte sind Ihrer Ansicht nach Vorreiter in Sachen Stadtentwicklung?

DASEKING: Wenn sie Stadtentwicklung sehen wollen, die unheimlich gut läuft, müssen sie nach Kopenhagen und Malmö gehen. Was den Radverkehr betrifft, haben die Holländer die Nase vorn. Marseille strukturiert sich hervorragend um, macht eine Art Selbstheilung durch, da wo früher das schlimmste Viertel war, findet man jetzt junge Künstler. Barcelona war einmal ein Rattennest. Die Stadt wurde geschickt wieder ans Meer geholt, indem man die ganzen Eisenbahnlinien, zwischen Meer und Stadt nach Norden gepackt hat.

Die Stadt der Zukunft, wie sieht die aus?

DASEKING: Wenn es darum geht, wie wir in Zukunft leben wollen, müssen wir Alten auf die Jungen hören. Man muss ja nicht gleich alles umsetzen. Aber eine Vision sollte man davon haben, wo es hingehen könnte. Wir müssen Utopien haben, Spinner und Leute, die auch mal hinter den Berg schauen.