Nicht nur auf dem Papier dürfte der Kampf um die große Kristallkugel im Damen-Alpinski-Weltcup 2015/16 ein Duell zwischen Lindsey Vonn und Mikaela Shiffrin werden. Es ist vor allem die skifahrerische Klasse, die die beiden US-Amerikanerinnen zu den großen Favoritinnen in einer Saison ohne Titelkämpfe macht. Vonn (31) wäre die älteste Gesamtsiegerin überhaupt.

Zwar wurde auch diesmal Vonns Vorbereitung durch einen Knöchelbruch im Sommer und einen kürzlichen Hundebiss gestört, sie ist aktuell aber die einzige im Feld, die den Weltcup schon gewonnen hat. Das liegt daran, dass Titelverteidigerin Anna Fenninger (verletzt) sowie Tina Maze (pausiert) fehlen. Nicole Hosp und Kathrin Zettel sind zurückgetreten, damit sind von den Top-Sieben der vergangenen Gesamtwertung überhaupt nur noch vier Damen dabei.

Die Nachbarinnen

Das klingt ungeachtet der Ambitionen von Lara Gut, Tina Weirather und Viktoria Rebensburg nach einer Steilvorlage für die beiden Amerikanerinnen. Damit kämpfen aber auch nicht nur erstmals zwei US-Damen um den "Globe", sondern sogar zwei "Nachbarinnen". Nur acht Meilen liegen die Behausungen von Vonn in Vail und Shiffrin im nahen Eagle-Vail auseinander.

"Ich hätte schon noch Platz für einige Kugeln", scherzte Vonn vor dem Riesentorlauf in Aspen, mit dem sie ihr erstes Saisonrennen bestritt. Während Shiffrin in Sölden Zweite geworden war, hatte Vonn dort noch gepasst.

Nun ist die vierfache Weltcup-Gesamtsiegerin aber fit. "Top fünf oder ein Podium" wäre zum Einstieg schon okay, versicherte sie. "Ich bin vor allem bereit für die kommenden Speed-Rennen in Lake Louise", blickte sie vielmehr schon eine Woche voraus. Alleine in Kanada hat Vonn bekanntlich schon 15 Mal gewonnen.

Duell mit dem einstigen Idol

Gefordert werden sollte die routinierte Speed-Königin vor allem von "Wunderkind" Shiffrin, da ist sich die Szene einig. Shiffrin ist zwar elf Jahre jünger als ihr einstiges Vorbild, hat mit ihren 20 Jahren aber schon drei Mal den Slalom-Weltcup gewonnen, ist Olympiasiegerin und zweifache Weltmeisterin in ihrer Paradedisziplin.

Vor allem ist sie nun aber bereit für den nächsten Schritt. Erstmals wird sie diesen Winter auch in Super-G und Kombi antreten und damit ihr Repertoire dramatisch erweitern. Wie weit sie nun auch im Speed-bereich ist, hatte sie kürzlich bei zwei FIS-Abfahrten in Copper Mountain bewiesen.

"Sensationell, wie geschmeidig sie über die Wellen gefahren ist", schwärmte etwa Österreichs Damenchef Jürgen Kriechbaum. Auch für ihn ist Shiffrin eine kommende Gesamtsiegerin. "Sie ist einfach ein Ski-Wunderkind. Sie würde bei den fünf wichtigsten Dingen, die eine gute Skifahrerin ausmachen, hundert Punkte bekommen."

Shiffrin will in Aspen jedenfalls gleich mächtig vorlegen. Weil dort auch der abgesagte Levi-Slalom nachgeholt wird, "kann ich in gleich drei Rennen auf dem Podium stehen", gab sie sich wie immer forsch. Einzige US-Siegerin bisher in Aspen war freilich Tamara McKinney 1981.

"Ich bin bereit"

Aber auch Vonn ist guter Dinge. "Trotz der Verletzung im Sommer und der Operation nach dem Hundebiss habe ich kaum Trainingstage verloren", betonte sie. "Die Vorbereitung war gut, ich bin gut drauf und bereit. Vor allem für Lake Louise", versicherte Vonn. "Ich habe insgesamt viel mehr Trainingstage in den Beinen als vor dem vergangenen Winter."

Dass die große Kugel wegen der vielen Ausfälle quasi nur noch abzuholen sei, dagegen wehrte sich Vonn aber vehement. "Es ist natürlich schade, dass Anna und Tina nicht dabei sind. Es wird dennoch nicht leicht, denn es gibt schon viel gute Konkurrenz", versicherte die 31-Jährige.

Ein Duell, das Spaß macht

Dass mit Shiffrin ausgerechnet eine Landsfrau die größte Konkurrentin sein dürfte, findet Vonn interessant. "Das wird auf jeden Fall ein heißes Duell." Prinzipiell sei es ihr an sich egal, woher eine Gegnerin komme. "Dass wir aber aus dem gleichen Land sind, das wird sicher ein großes Drama. Dass macht richtig Spaß."

Shiffrin sieht es ähnlich, war Vonn doch einst ihr großes Vorbild. "Würde ich nun nicht selbst um die Kugel fahren, würde ich für Lindsey die Daumen drücken."

Richtig Freude haben beide Amerikanerinnen beim Blick auf die folgende Saison, denn 2017 geht das Weltcup-Finale in Aspen in Szene. Es wäre der perfekte Ort für einen Showdown zwischen Vonn und Shiffrin. "Es ist verdammt viel einfacher, wenn du die Kugeln nicht in einen Flieger verpacken musst", scherzte Vonn.

Kopfschütteln bei Riml

Mit dem ganzen Ballyhoo nichts anfangen konnte Patrick Riml. Der Österreicher ist weiterhin Alpindirektor beim US-Skiverband (USSA) und hat mit Paul Kristofic einen neuen Damenchef nominiert, nachdem Roland Pfeifer vergangenes Jahr von Shiffrin abgezogen worden war. "Wir hatten bisher nur Sölden und diskutieren schon, wer den Weltcup gewinnt", schüttelte der Tiroler den Kopf und empfahl: "Lasst uns doch einfach mal einige Rennen fahren."