Die Saison ist vorbei, Weltcupsieg Nummer fünf fixiert. Ihr Schützling hat wieder einmal dem Druck standgehalten. Sie sagten einmal, die WM in Schladming war dafür Gradmesser, jetzt kann ihn dahingehend nichts mehr erschüttern. Warum?
MICHAEL PIRCHER: Manchmal reden wir noch über 2013, holen die Erinnerungen zurück. Was Marcel damals aushalten musste, welchem Druck er standhalten musste, ist unglaublich. Einen größeren Druck kann niemand haben. Das hilft heute, wenn wir Druck haben, weil wir anhand dessen klären können, dass das nicht stimmt.

Also war heuer kein Druck da?
PIRCHER: Sagen wir so: Noch nie war im Vorfeld die Zielsetzung so klar dahin gerichtet, den Gesamtweltcup gewinnen zu wollen/können/sollen, wie heuer. Deshalb waren wir noch mehr aufs Durchkommen fokussiert, darauf, keine Fehler zu machen, die Zufälle auszuschalten. . .
. . . und dann passiert im ganzen Jahr etwas. Von Drohne, über Ski-Diebstahl bis zur vereisten Brille.

PIRCHER: Ja, da hab’ ich hin und wieder gedacht, ich bin im falschen Film. Du reißt dir den Hintern auf, schaust, dass im Training jedes Schneekorn passt und dann passieren solche Sachen. Aber das Komische ist: Ich hab fast darüber lachen können, weil es nicht meine Fehler waren. Und Fehler soll man zwar nicht machen, aber sie passieren. Und es waren g’scheite Watschen für die Betroffenen, die nicht mehr vorkommen werden.

Die ewige Frage: Was macht Marcel Hirscher aus?
PIRCHER: An ihm wird schon lange geschliffen. Konditionell etwa, da hat die Arbeit mit Gernot Schweizer vor drei Jahren begonnen. Aber auch skifahrerisch, schleifen wir schon lang, am ganzen Umfeld sowieso. Marcel legt sehr viel Wert darauf, dass immer weiter an den Feinheiten geschliffen wird. Alles wird besprochen, optimiert. Sollte ihm etwas schaden, versuchen wir, es auszuschließen. Beflügelt ihn etwas, wird es eingebaut.Das sind oft minimale Dinge, aber die machen es aus. Und die Konsequenz.

Wie ist Marcel Hirscher in der Zusammenarbeit?
PIRCHER: Er fordert natürlich, aber jeder im Team fordert von sich das Beste. Das beste Material, die besten Bedingungen, die beste Kurssetzung. Alles können wir nicht beeinflussen, aber wir streben in jeder Facette danach, das Beste zu erreichen. Da geht es nicht nur um die Skitechnik. Es geht um die Anreise zu den Rennen, die Pausen, die Flüge, den Jet-Lag. Wir versuchen, alles zu verbessern, weiter zu schleifen.

Und zwischen Ihnen und ihm?
PIRCHER: Wir kennen uns ewig und so gut, dass ein gewisses blindes Verhältnis herrscht. Wir müssen nicht mehr viel reden, wir wissen, an welchen Kanten wir noch zu schleifen, an welchen Schrauben zu drehen haben.

Da gibt es noch viele?
PIRCHER: Wir sind absolut noch nicht bei 100 Prozent angelangt. Im Gegenteil, wir sind weit darunter.

Aber Sie haben nur noch drei Saisonen Zeit, wenn man ihm glaubt, dass 2019 Schluss ist.
PIRCHER: Das hat er vor fünf Jahren auch schon gesagt. Ich hoffe, dass er noch ein paar Jahre anhängt, es für ihn schmackhaft wird, noch mehr Rekorde zu brechen.

Da wären die 86 Siege von Ingemar Stenmark. . .
PIRCHER: Das finde ich gar nicht utopisch, sondern realistisch, wenn ich ehrlich bin. Das wäre auch mein Ziel. Oder vielleicht ist es utopisch, aber, wenn alles läuft, dann ist es möglich. Wir haben uns ja auch schon über den Punkterekord von Hermann Maier (2000, Anm.) unterhalten.

Aber wenn er aufhört?
PIRCHER: Du kannst ja nicht aufhören, wenn du im Hochleistungsalter bist. Und da kommt er gerade erst hin, in den Mittelpunkt der Karriere. Er hat 39 Siege, da fängt es an, interessant zu sein, auf Statistiken zu schauen. Aufhören wäre da schade. Wenn er es aber tut, sage ich: Chapeau für alles, da darf ihm keiner böse sein. Wünschen tu’ ich es mir nicht.

Hat er denn Spaß?
PIRCHER: Ich weiß nicht, wie viele Fahrer wirklich immer Freude haben am Rennsport. Es ist Beruf, ein beinharter Job. Ich kenne wenige, die jede Minute Spaß im Job haben. Wir sind zufrieden, ja. Aber ob es jede Minute ein Traum ist? Nein, ich denke nicht. Es gibt andere Sachen neben dem Skisport. Aber im Moment ist Skisport auf dem Programm. Und er und alle anderen im Team, ob Marcels Vater Ferdl, ob ich, haben da nicht viel Platz für Anderes. Und ich denke, es gibt niemand Anderen, der das so lebt wie er und sein gesamtes Umfeld, bis hin zur Freundin. Auch die stellt alles hinten an, um ihm das gewohnte Umfeld zu schaffen, auch bei den Rennen.

Und sein Umgang mit dem Trubel, der Öffentlichkeit?
PIRCHER: Auch da lernst du im Lauf der Karriere dazu. Auch hier ist viel durchdacht, klar. Marcel will auch da Profi sein. Er will zwar nicht Everybodys Darling sein, aber er will auch anders sein als die, die ihm nicht liegen. Und er will nicht schauspielen.

Wie sieht es aus mit Marcels Lust auf die Abfahrt?
PIRCHER: Die Gefahr ist groß, dann überall nur Durchschnitt zu sein. Und ich hätte gerne, dass Marcel im Slalom und Riesentorlauf Meisterklasse bleibt und nicht Durchschnitt wird, nur weil er dafür in der Abfahrt vom Nobody zum Durchschnitt wird. Weil das würde in Summe nicht reichen für den Gesamtweltcup, wir hatten solche Beispiele schon, aus diesen Fehler will ich lernen. Wenn es für Marcel Ansporn ist, bin ich trotzdem dabei, nur forcieren würde ich es nicht.

INTERVIEW: MICHAEL SCHUEN