Richtig gute Märchen beginnen immer mit: „Es war einmal . . .“ Die jüngere österreichische Skivergangenheit war eine Erfolgsgeschichte, fast wie ein Märchen. Es war nämlich einmal eine Mannschaft, die fuhr die Konkurrenz in Grund und Boden. An der Spitze fuhren Ausnahmekönner wie Hermann Maier, Stephan Eberharter oder Benjamin Raich, dahinter folgten hoch talentierte Allrounder im Überfluss. Ein Luxus, der Lust auf mehr machte. Fortan sollte die Skination über Gesamtweltcupsieger in Serie verfügen, so lautete der Anspruch.

Das Schöne an Märchen ist, dass sie ein gutes Ende nehmen. Der Fehler der Realität ist oft, dass sie auf gute Enden pfeift. Und in der Gegenwart pfeift Österreichs Ski-Herren vor allem in den technischen Disziplinen die Konkurrenz um die Ohren. Und wenn Marcel Hirscher, von Fieber geschwächt, einmal die für ihn falschen Bedingungen mit einer für ihn ungewohnt schlechten Fahrt kombiniert wie beim Nachtslalom in Schladming, wird trotz Schneegestöber klar, was ohnehin alle wissen: Die Dominanz der Österreicher ist in Slalom und Riesentorlauf Geschichte. Kein Märchen.

Programmierfehler

Rainer Schönfelder schrieb selbst einige Kapitel des Skiwunders. In der Zwischenzeit ist der Kärntner zu einem der größten Kritiker des allmächtigen Skiverbands ÖSV mutiert. Er meint die Fehler zu kennen, die gemacht wurden und zur Slalomkrise führten. Und er traut sich auch, sie anzusprechen. „Wir haben uns zu lange in der Sonne eines Maier oder Eberharter gebadet und vergessen, in den Rückspiegel zu schauen – in der Annahme, dass es immer so weitergeht. Über einige Jahrgänge wurde rigoros drübergefahren – das sind die, die jetzt die Lücke füllen sollten, aber nicht da sind“, sagt der mittlerweile 37-Jährige. „Talente wurden zu Polizisten, Serviceleuten, Studenten – weil sie nicht genügten. Wir müssen aber daran arbeiten, solche Talente wieder heranzuzüchten.“

Und weiter: „Im Verband rochieren die Trainer nur intern. Schlechte Leute wandern vom Weltcup in den Nachwuchs – das Argument: Das Know-how soll gehalten werden. Ich nenne das fast ,Inzucht’. Oft wurden gute Leute vergrault, wie Armin Doppelhofer, der jetzt in Deutschland eine starke Truppe aufgebaut hat und gute Arbeit leistet.“

Kommunikation

Weiters identifiziert Schönfelder Fehler in der Kommunikation zwischen Landesverbänden, die Talente ausbilden sollen, und dem ÖSV. „Die Landesverbände haben den Eindruck, dass ihre Talente im ÖSV verhaut und verheizt werden. Und im ÖSV beschwert man sich, dass keine Talente von unten nachkommen. Da stimmt was nicht.“ Zudem findet Schönfelder, dass es zwar gut ist, dass der ÖSV zwei Millionen Euro pro Jahr in ein „Kompetenzcenter“ steckt, aber: „Vielleicht wäre dieses Geld beim Nachwuchs besser aufgehoben. “

Einer, der an der Basis arbeitet, ist Werner Franz. Der ehemalige Weltklasseläufer ist Trainer des Kärntner Landesskiverbandes. Er analysiert nüchtern: „Das Loch im Slalom ist nichts Neues, das kennen wir seit zehn Jahren.“ Und Franz weiß auch, woher es kommt: „Als ich vor acht Jahren als Trainer begonnen habe, war die Systemvorgabe so, dass man vier von fünf Disziplinen fahren musste, sonst kam man nicht in den Nachwuchskader.“ Und ohne Nachwuchskader keine Karriere. Die Folge: Fahrer, die in einer Disziplin zu schwach waren, um spitze zu werden, forcierten vier Disziplinen und rutschten so durch – mitunter auf Kosten wirklicher Talente in einzelnen Disziplinen.
Franz hat dafür auch eine logische Erklärung: „Wenn ein Abfahrer einmal müde Beine hat, ist das verkraftbar. Aber wenn ein Slalomläufer keine spritzigen Beine hat, ist er verloren. Und weil sie ja in allen Disziplinen gut sein mussten, sind viele 50, ja 55 Rennen pro Saison gefahren.“ Die Folge: Im März, bei den Meisterschaften und der Kadersichtung, waren alle am Ende. „Mehr als 50 Rennen pro Saison – das kann sich nicht ausgehen. Das weiß auch meine Großmutter“, sagt Franz.

Erfolg braucht Zeit

An den Folgen der Viel-Disziplinen-Philosophie knabbert man heute. „Die jetzigen Verantwortlichen kommen zum Handkuss, obwohl schon unter Cheftrainer Mathias Berthold gegengesteuert wurde: „Es hat sich schon viel geändert, aber über Nacht lässt sich ein Loch von zehn Jahren nicht schließen.“ Außer man verfügt über Ausnahmekönner wie Marcel Hirscher oder Henrik Kristoffersen. Gibt es die nicht, führt nur Arbeit zum Erfolg. Harte Arbeit. „Ein Choroschilow hat nur Slalom trainiert, fünf Jahre. Erst jetzt ist er an der Spitze. Zaubern kann man halt nicht“, weiß Franz, der aber beruhigt: „Wir haben schon wieder gute Junge, wie Marco Schwarz oder Michael Matt. Die können auch Bestzeiten fahren. Aber sie brauchen Zeit.“ Schlusssatz: „Man soll aber nicht alles schlechtreden. Österreich ist noch immer die Nummer eins.“

MICHAEL SCHUEN