Er riss die Arme in die Höhe und genoss die Ovationen der Fans im Zielstadion. Und dann klopfte sich Marcel Hirscher noch einmal kräftig auf die Brust. Ein Zeichen. Denn das, was Marcel Hirscher soeben geleistet hatte, das war eine weitere Demonstration der Stärke gepaart mit einem Schuss Herz. Der 25-Jährige hatte sich soeben zum dritten Mal auf der berühmten Gran Risa im Hochabteital in die Siegerliste eingetragen und seinen Sieg aus dem Vorjahr wiederholt – und ganz nebenbei den fast schon täglichen Eintrag in die Rekordbücher mitgeliefert.

Hirscher hält nun bei 27 Weltcupsiegen und hat Franz Klammer damit endgültig hinter sich gelassen, nur noch Stephan Eberharter (29), Benjamin Raich (36) und natürlich Hermann Maier (50) liegen vor ihm. International liegt er schon auf Rang neun der ewigen Bestenliste. Aber zurück nach Alta Badia – dorthin, wo Hirscher alle wieder staunen ließ. Weil er auch auf einer Kurssetzung, die er heftig kritisierte, alle anderen alt aussehen ließ. „Wir sind hier gefahren, wie wir es vor vier, fünf Jahren hatten, mit an die 90 bis 100 km/h. Meines Erachtens ist das zu schnell für den Riesentorlauf. Aber weil es innerhalb der Grenzen des Reglements war, geht es“, schimpfte Hirscher.

Vollgas statt Abwarten

Sein Rezept bei den brutalen, schwierigen Bedingungen und dem Hochgeschwindigkeitskurs war klar: „Es klingt abgedroschen, aber ich hab mir einfach gedacht: ,Sch... drauf und gib Vollgas!’ Und das war das einzig richtige Rezept. Weil wenn du fährst, dann wartest du den Ausfall auch ab. Nur wenn du die Kontrolle hast und attackierst, bringt es was.“

Die Intention dieser Kurssetzung ist klar: Hirscher den Wind aus den Segeln zu nehmen, oder wie er es sagt: „Es war am Limit, aber erlaubt. Und die Trainer wollten damit sicher die Vorzüge ihre Schützlinge zur Geltung bringen. Wenn es gegen mich gewesen sein sollte, müssen sie sich aber was anderes einfallen lassen.“ Nur was? Die derzeitige Stabilität des Salzburgers scheint fast unbezwingbar zu sein, wie drei Siege in vier Riesentorläufen beweisen.

Was Hirscher auch zum wiederholten Male gelang: eine österreichische Schlappe zu verhindern. Zweitbester Österreicher war nach einem Fast-Ausfall in Lauf eins Raich als 13., Christoph Nösig fuhr auf Platz 16. Aber Philipp Schörghofer etwa war nach Rang 21 ratlos. „Ich arbeite wie ein Tier, aber irgendwas stimmt nicht – und dann bekommst du sofort ein Paket.“ Und bis zur WM wartet nur noch ein Riesentorlauf, der in Adelboden. „Aber“, sagt Schörghofer, „wenn ich da nicht unter die Top fünf fahre, dann habe ich in Beaver Creek nichts verloren.“
Solange Österreich die Nummer eins hat und die liefert (Hirscher: „Ich bin es gewöhnt, dass auf meinen Schultern Druck lastet“), wird dieses Problem nicht evident. Klar ist: Hirscher ist die neue Nummer eins im Riesentorlauf, hat Ted Ligety den Rang abgelaufen, wie 1,45 Sekunden Vorsprung beweisen.

Erinnerungen

Heute im Slalom von Madonna di Campiglio (17.45/20.45 Uhr, live ORF eins) will Hirscher nachlegen, den nächsten Sieg einfahren, den besten Saisonstart aller Zeiten hat er jetzt schon hingelegt, auch seine Verkühlung bremst ihn nicht. Vor zwei Jahren siegte er hier schon, heute darf man sich auf Lauf eins freuen. Denn den setzt sein Trainer Mike Pircher. Und der wird bei den Kurssetzungen auf den Riesentorlauf in Alta Badia kontern, vermutet Hirscher. „Aber dann soll sich keiner darüber aufregen, auch wir bewegen uns im Reglement. Und ich habe gemerkt, dass ihn die Setzung hier schon geärgert hat.“ Klar scheint: Die Konkurrenz wird doppelt gefordert sein.
Marcel Hirscher wird es egal sein. Denn wie antwortete er auf die Frage, ob er nun der neue Ted Ligety sei, mit einem Lächeln? „Nein. Weil ich ja Slalom fahren auch kann.“

Michael Schuen, Alta Badia